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"Global Prayers"

Neue religiöse Bewegungen verändern weltweit Alltag, Gesellschaft und Ökonomien in globalen Metropolen. Diesem Phänomen geht die Ausstellung "Global Player" im Haus der Kulturen der Welt in Berlin nach.

Von Carsten Probst | 10.11.2011
    Neue Kirchen und religiöse Vereinigungen erkennt man mitunter nicht auf den ersten Blick. Manche sind in bestimmten Ländern schlichtweg verboten, gelten als kriminelle Vereinigungen und agieren im Untergrund; andere haben sich ganz einfach nur der globalisierten Realität angepasst und geben sich als neoliberal wirtschaftende, ortsflexible Wohltätigkeitsunternehmen, die ihre Mitglieder nicht mit Traditionen nerven, sondern ihnen ein nettes, funktionierendes Freizeitangebot machen wollen, das irgendwo zwischen Suppenküche, Popevent, Wellnessoase und Lebenshilfe angelegt ist.

    Das Künstlerinnenduo Magdalena Kallenberger und Dorothea Nold hat einige neuevangelikale Vereinigungen dabei gefilmt, wie sie ihre kleinen, stets temporär angemieteten Versammlungshallen binnen kurzer Zeit in heimelige Andachtsstuben verwandeln, mal eher in Wohnzimmeratmosphäre, mal als sakrales Lichtermeer, mal als Eventarena, je nach Adressat der eigenen Lehre. Und wenn alles vorbei ist, wird schnell wieder abgebaut und weitergezogen. Der spirituelle Wanderzirkus hat auch in Europa schon seit einiger Zeit Methode, er richtet sich oft an ein junges mittelständisches Publikum, dessen Bedürfnisse von Mobilität und Flexibilität und dem Wunsch nach Effizienz bei allen Lebensfragen geprägt sind.

    In Schwellenländern und der sogenannten Dritten Welt sind solche Privatkonzerne des spirituellen Entertainments längst schon Massenbewegungen und haben das Erbe der Kolonialkirchen weitgehend übernommen. Ihre Funktion ist oft hochpolitisch. In der Ausstellung ist die größte Pfingstkirche der Welt dokumentiert, sie befindet sich in Nigerias Hauptstadt Lagos und sieht nicht aus wie ein gigantischer Tempel. In einem ehemaligen Flugzeughangar versammeln sich Menschenmassen, bis zu 700.000 Anhänger zu den Beschwörungsmessen, Zahlen, von denen auch ein römischer Papst nur träumen kann. Längst sind diese Kirchen so etwas wie das soziale Rückgrat in zerrütteten Gesellschaften und Königsmacher obendrein. Nigerias Präsident Goodluck Johnson musste, um im Wahlkampf halbwegs aussichtsreich ins Rennen zu gehen, sich auf dem riesigen Altar von einem Pfingstpriester vor versammelter Menschenmenge den Segen geben lassen und war erst dann wirklich wählbar.

    Die Ausstellung verzichtet auf drastische Bilder, die Künstlerinnen und Künstler betätigen sich als Erzähler und Dokumentaristen aus Bereichen, in die die Medien eher nicht vordringen, und fördern gerade dadurch eine beklemmende Realität einer globalisierten Sinnsuche-Industrie zutage.

    Die Künstlerin Sevgi Ortac hat in einem Vorort von Istanbul eine entsprechende Sonderform für vergleichsweise wohlhabende Regionen gefilmt: eine muslimische Gated Community für wohlhabende Aufsteigerfamilien aus dem Istanbuler Business District. Neben einer eigenen Moschee verfügen die luxuriösen Hochhäuser auch über einen ZEN-Garten, und ihre Bewohner lassen sich in der Wellnessanlage mit buddhistischen Klangmassagen verwöhnen. Solch ein geldgesteuerter Privatsynkretismus wäre vor zehn Jahren auch in einem vergleichsweise säkularen Staat wie der Türkei noch undenkbar gewesen.

    Jenseits des Establishments oder der reinen Armenfürsorge wächst zugleich der Markt der radikalen Gruppen, die sich autonom geben und gleichgesinnten ein passendes, möglichst geheimbündlerisches Lifestyleangebot machen. In einer Wellblechhütteninstallation mitten in der Ausstellung werden von der Künstlervereinigung Rika Collective die seltsamen Praktiken einer Untergrundorganisation in Kongos Hauptstadt Nairobi untersucht, die offiziell verboten ist und über die niemand sprechen mag.

    Denn die Gruppe gilt als rachsüchtig, Aussteiger werden verfolgt, angeblich sogar ermordet, Schutzgelder werden erpresst. Aber es könnte sich dabei auch um bewusst von der Regierung gestreute Gerüchte handeln, die um ihren Einfluss bei der Jugend fürchtet. In den vom Drogenkrieg zerrütteten Krisenregionen Mexicos hat die Santa-Muerte-Bewegung großen Zulauf, deren oft junge Anhänger sich gerne mit schwarzen Totenkopf-T-Shirts versammeln, eine Madonna mit Totenkopfgesicht in der Hand und auf Knien die Straßen entlangrutschen, um Gnade zu erflehen.