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Global Summit der Ethikräte
"Wertedebatten in der Gesellschaft verankern"

Nicht Relativismus und Uniformität solle durch eine globale Ethikdebatte erzeugt werden, sondern Pluralismus und Universalität, sagte Christiane Woopen, Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, im Deutschlandfunk. Die Aufgabe der Ethikräte sei es auch, dass Debatten angeregt würden - und jeder Einzelne sich mit ethischen Fragen auseinandersetze.

Christiane Woopen im Gespräch mit Michael Köhler | 20.03.2016
    Michael Köhler: Ebola und Zika-Virus, Epidemien, Umweltverschmutzung, globaler Klimawandel, neue Technologien, nicht nur bei der medizinischen Forschung. Sie erfordern auch ethische Reflexionen darüber, was gewünscht, gewollt und geduldet ist. Dafür gibt es Gremien. Am vergangenen Donnerstag und Freitag, da war der Deutsche Ethikrat Gastgeber des 11. Global Summit der Nationalen Ethikräte und Bioethik-Kommissionen. Und die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates und damit Gastgeberin in Berlin war die deutsche Ärztin und Philosophin Christiane Woopen.
    - Sie habe ich gefragt: Saurer Regen lässt sich bekanntlich nicht mit nationalen Gesetzen bekämpfen. Sterbehilfedebatten oder Ähnliches sind ausschließlich aber nationaler Gesetzgebung unterworfen. Was kann ein Global Summit der Ethikräte und Kommissionen da mehr sein als ein kluges Betroffenheitsgremium?
    Christiane Woopen: Zum einen geht es auf der ganz strukturellen Ebene um eine Unterstützung, dass in den einzelnen Ländern überhaupt Institutionen geschaffen und gefördert und auch politisch unterstützt werden, die für eine unabhängige und interdisziplinäre Debatte stehen und die diese Debatte auch tatsächlich an ethischen Maßstäben orientieren.
    Köhler: Die gibt es zu wenig Ihrer Meinung nach?
    Woopen: Die gibt es zu wenig. Es gibt in den unterschiedlichen Ländern sehr unterschiedliche Arten von Ethikgremien. Manche kümmern sich ausschließlich um Forschungsfragen, andere sind auch sehr in die politische Beratung eingebunden. Aber Sie können sich vorstellen, dass in unterschiedlichen Ländern da auch ganz unterschiedliche Grade von Abhängigkeit und Unabhängigkeit mit verbunden sind. Die Vertreter, die dann für den Global Summit benannt werden, sind - und das war eine ganz wertvolle Erfahrung für mich - tatsächlich sehr motiviert und sehr leidenschaftlich dabei, diese Wertedebatten auch in der Gesellschaft zu verankern und nach vorne zu bringen. Und die Kraft, die sie dann tatsächlich dafür auch aus einem solchen Global Summit mit nachhause nehmen, hatte ich vorher gar nicht so hoch eingeschätzt, wie ich das jetzt erlebt habe.
    Köhler: Was stand, Frau Woopen, denn so auf Ihrem Programm in Zeiten von Big Data und Epidemien? Ich habe so ein bisschen das Gefühl, dass Sie sich arg große Schuhe angezogen haben.
    Woopen: Ja, man muss natürlich tatsächlich nach dem Großen streben, um dann überhaupt etwas weiter zu kommen. Der Titel der Veranstaltung, globale Gesundheit, globale Ethik, globale Gerechtigkeit, ist ja jetzt keine Zustandsbeschreibung unserer Welt, sondern tatsächlich ein Ziel. Und wir haben auch zwei Sitzungen den Themen gewidmet der öffentlichen Bewusstseinsbildung, also der gesellschaftlichen Bewusstseinsbildung. Denn die Techniken, über die wir sprechen, die ragen in das Leben jedes einzelnen Menschen hinein. Er muss damit umgehen lernen, wie seine Daten gewonnen, verwaltet, verwendet werden. Er muss auch dazu beitragen, er kann es natürlich gar nicht mehr vollständig, seine Privatheit zu schützen etc.
    Das zweite Thema befasste sich dann mit der biopolitischen und biorechtlichen Regulierung: Was ist das angemessene Verhältnis zwischen Gesetzgebung und politischem Handeln, also politischen Richtlinien, Leitlinien oder auch solchen, die aus Berufsverbänden oder Institutionen kommen. Da sind natürlich alle Länder ganz unterschiedlich aufgestellt. Aber der Austausch darüber hilft ungemein und beispielsweise ist nun auch ein weiterer Schritt für den Global Summit im Senegal in zwei Jahren, dass wir dort versuchen werden, auch vielleicht eine gemeinsame Resolution zu bestimmten Fragestellungen zu entwickeln.
    Köhler: Mir will das einleuchten, dass Sie solch ein Gremium, das über solche Fragen spricht, auf institutioneller Ebene und gesellschaftlicher Ebene etablieren wollen. Aber gerade diese Wertedebatte zeigt doch ein Problem, nämlich es gibt ja so was wie gesellschaftliche Pluralität der Lebensauffassung und zugleich die staatliche Neutralität. Die einen sind konfessionell gebunden, die anderen sind nicht konfessionell gebunden, die dritten sind überhaupt nicht an nichts gebunden. Wo führt das hin, zur Verrechtlichung aller Lebensfragen?
    Woopen: Das wäre sehr schade. Das würde ich jetzt nicht begrüßen. Pluralismus ist nicht das gleiche wie Relativismus und Universalität ethischer Ansprüche ist nicht das gleiche wie Uniformität ethischer Aussagen. Das heißt, um eine werteorientierte Debatte zu führen und natürlich dann auch über bestimmte Prämissen oder Folgerungen zu streiten, muss man nicht dieselbe ethische Theorie oder religiöse Überzeugung teilen. Wichtig ist aber, dass man die Menschenrechte als den entscheidenden Orientierungsrahmen wahrt. Und dass man dann auch klar herausarbeitet - und dafür braucht es ja eine solche Debatte -, wo eigentlich die Unterschiede in der Wahrnehmung bestimmter Technologien, in den dahinter stehenden Menschenbildern, in den Folgerungen, in den Abwägungen dann vielleicht auch konfligierender Werte liegen. Man darf aber, glaube ich, gerade in diesen ethischen Herausforderungen Pränataldiagnostik, Sterbehilfe etc. auf keinen Fall unterschätzen, wie wichtig das ist, dass eine solche gesellschaftliche Debatte stattfindet und jeder Einzelne zuhause mit seiner Familie, seinen Freunden darüber spricht und sich eine Meinung bildet.
    Köhler: Das nimmt einem kein Ethikrat ab. Christiane Woopen war das, die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates und Gastgeberin des Global Summit der Nationalen Ethik- und Bioethik-Kommission, die in Berlin getagt hat.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.