Karin Beindorff:
Kapitalrenditen von 25 Prozent in Zeiten sinkender Arbeitseinkommen, steigende Aktienkurse vor dem Hintergrund von Massenentlassungen, astronomische Gewinne der Ölindustrie bei steigenden Benzin- und Heizkosten für Otto Normalverbraucher – diese Entwicklung treibt den Kritikern der liberalisierten Märkte neue Zustimmung zu. Globalisierungskritiker und ihre Argumente werden häufiger zur Kenntnis genommen, das Weltsozialforum, dieses Jahr in Caracas, fand schon mehr mediale Beachtung als seine Vorgänger. Die Auseinandersetzungen der dort versammelten Gruppen und Einzelpersonen um die richtige politische Strategie für eine andere, sozial gerechtere Welt haben auch angesichts der jüngsten Wahlergebnisse in lateinamerikanischen Ländern wie Bolivien und Chile öffentliches Interesse auf sich gezogen. Über die Verantwortlichen für eine ökonomische Ordnung, die für eine immer größere Schere zwischen Armen und Reichen sorgt, ist man sich schnell einig. Doch was tun? Zu den bekanntesten Stimmen der globalisierungskritischen Szene gehört Susan George, in den USA geboren und seit 1994 französische Staatsbürgerin, Vizepräsidentin von Attac in Frankreich und Autorin des umstrittenen Lugano-Reports, in dem sie ein fiktives Horrorszenario der Zukunft des Kapitalismus entworfen hatte. In diesen Tagen erscheint in Deutschland ein neues Buch von ihr: "Change it! Eine Anleitung zum politischen Ungehorsam". Walter van Rossum hat es schon gelesen:
Beitrag Walter van Rossum
Kürzlich lernte ich einen jungen Pfarrer kennen, der eine für ihn verwirrende Entdeckung gemacht hatte. Erst durch eine Kabarettveranstaltung sei ihm klar geworden, dass das furchtbare Taliban-Regime in Afghanistan ohne Zutun der Vereinigten Staaten von Amerika und deren massive Unterstützung für den Widerstand gegen die sowjetische Besatzung gar nicht möglich gewesen wäre. Gelernt habe er da auch, dass der heute so verteufelte irakische Diktator Saddam Hussein von Regierungen der sog. Freien Welt eine Weile gehätschelt und mit Waffen versorgt worden war. Seit dieser Erkenntnis sei er außerordentlich misstrauisch gegenüber den Medien und ihren offenbar selektiven Informationen. Und er fragte mich, ob ich ihm eine Lektüre empfehlen könne, die seine neue, kritische Sicht politischer Zusammenhänge vertiefen könnte und die ihm helfen würde, sich gegen gezielte Desinformation zu wehren.
Heute würde ich ihm zum jüngsten Buch von Susan George raten: "Change it! Anleitung zum politischen Ungehorsam". Die Autorin selbst weist in ihrem Vorwort ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei ihrem Buch um eine Gebrauchsanweisung für Debütanten der Außerparlamentarischen Opposition handele:
"Ich hoffe, dass auch gewitzte Demonstranten und erfahrene Weltverbesserer dieses Buch nützlich finden werden, aber wenigstens ein Teil davon könnte den Titel 'Globalisierung und die Bewegung für globale Gerechtigkeit für Anfänger’ tragen. (...) Eine andere Welt ist möglich, wenn wir einige verbreitete Fehler vermeiden, die richtigen Ziele ins Auge fassen und die richtigen Strategien anwenden. Ich gebe gewiss nicht vor, sämtliche Antworten parat zu haben, aber vielleicht qualifiziert mich meine jahrzehntelange Erfahrung als Autorin, Rednerin und Kämpferin für eine Veränderung der Welt dazu, einige einschlägige Fragen zu stellen, auf Lösungsmöglichkeiten hinzuweisen und einige vorsichtige Bemerkungen zu machen."
Ihre Anstiftung zum Ungehorsam für Anfänger beginnt Susan George mit sehr allgemeinen Ausführungen zum Begriff der Globalisierung. Nun ist kritischeren Zeitgenossen gewiss nicht unbekannt, dass die vielbeschworene Globalisierung keineswegs eine neue Erscheinung ist. Neu ist vor allem, dass der Zugriff der kapitalistischen Ökonomie jetzt auch den letzten Winkel der Erde erreicht hat. Doch wenn die Akteure der neoliberalen Globalisierung dingfest gemacht werden, wird das Buch aufschlussreich. Susan George stellt die Aktivitäten der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation genauer vor und macht dabei deutlich, dass Globalisierung keineswegs ein unausweichliches Schicksal ist, wie von ihren Befürwortern unablässig behauptet, sondern Schritt für Schritt von Interessengruppen und ihren Lobbyisten durchgesetzt wird. Und spätestens von Seite 80 an wird auch ein aufmerksamer Zeitungsleser mit Realitäten konfrontiert, die ihm die etablierten Medien weitgehend vorenthalten:
"Obwohl viele unter der Schirmherrschaft der Welthandelsorganisation (WTO) geschlossene Abkommen Anlass genug sind, sich ernste Sorgen zu machen, möchte ich das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen, kurz: GATS, für den ersten Preis nominieren, dicht gefolgt vom Abkommen über die Landwirtschaft und dem TRIPS für geistiges Eigentum. Ebenso wie die anderen Abkommen der WTO ist das GATS nicht gerade eine leichte Urlaubslektüre, aber wenn man sich durch den Fachjargon hindurch gearbeitet hat, stellt man fest, dass es eine tickende Zeitbombe ist, eine gigantische Bedrohung für die Bürger im Allgemeinen und für die öffentlichen Dienstleistungen im Besonderen."
Susan George versteht es, ihren Lesern vor Augen zu führen, dass nicht nur nationale Politik von solchen schwer verständlichen Vertragswerken in Telefonbuchstärke diktiert wird, von denen die meisten Bürger noch nie etwas gehört haben dürften. Kein Wunder, schließlich werden solche Vertragswerke öffentlich niemals diskutiert, geschweige denn den Betroffenen je zur Abstimmung vorgelegt. Wähler haben bekanntlich die Wahl zwischen politischen Parteien, deren Programme sich oft genug in Formeln erschöpfen. Selbst wenn man sich die Mühe macht, diese Programme gründlich zu studieren, wird man feststellen, das GATS, TRIPS und weitere Ausgeburten der Welthandelsorganisation dort kaum behandelt werden, obwohl ihr Einfluss auf das Alltagsleben aller Bürger gewaltig ist.
Susan George folgert aus dem Versagen der politischen Repräsentanten, dass politischer Ungehorsam sich heute nicht darin erschöpfen könne, auf lodernden Barrikaden "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" zu fordern. Politischer Ungehorsam beginne damit, sich in eine sehr spezielle und komplexe Materie einzuarbeiten, die für alle Bürger die allergrößten politischen und ökonomischen Folgen hat, auch wenn sie in den ritualisierten Auseinandersetzungen parlamentarischer Demokratien kaum mehr zum Gegenstand gemacht wird. Was im Gefolge dieser jenseits demokratischer Prozesse beschlossenen Vertragswerke wachse, seien vor allem multinationale Konzerne, deren Umsatz das Sozialprodukt vieler Länder übersteigt. Und diese industriellen Komplexe entschieden dann ebenso wie die Finanzmärkte über das Geschick der Nationen.
Allerdings ist es, das weiß auch Susan George, vergleichsweise einfach, die Akteure der neoliberalen Globalisierung auszumachen und zu kritisieren, sehr viel schwieriger aber ist es, den politischen Ungehorsam, den Widerstand dagegen zu organisieren:
"Diejenigen, die behaupten, der eigentliche Widersacher sei das ganze Wirtschaftssystem, mögen Recht haben. Dennoch ist es nicht gerade ermutigend, wenn man aufgefordert wird, den Kapitalismus zu bekämpfen. Wie soll man gegen ein Konzept oder eine vielköpfige Hydra kämpfen?"
Susan George sieht wenig Chancen für revolutionäre Veränderungen traditionellen Stils. Stattdessen skizziert sie in ihrem Buch ein ganzes Bündel von Maßnahmen und Aktivitäten. Sie untersucht, wie es z. B. gelingen könnte, Europa gegen die neue imperiale Politik der USA in Stellung zu bringen, wie ganz normale Bürger politischen Druck ausüben und ihren Protest sowohl lokal als auch international organisieren können. In der Summe plädiert Susan George für den vielstimmigen Pragmatismus einer internationalen Bewegung für soziale Gerechtigkeit:
"Die klassischen Debatten über Revolution contra Reform und alles, was dazwischen liegt, sind nicht wichtig, solange wir uns dahingehend einigen können, den Kampf aller anderen zu respektieren und als Beitrag zu einer weltweiten Veränderung zu sehen, die zu einer gerechteren Verteilung von Wohlstand, Ressourcen und Macht führt, sowohl innerhalb als auch zwischen den Nationen."
Walter van Rossum besprach: "Change it! Anleitung zum politischen Ungehorsam" von Susan George. Das Buch erscheint im Verlag Droemer/Knaur, hat 288 Seiten für 16,90 Euro.
Kapitalrenditen von 25 Prozent in Zeiten sinkender Arbeitseinkommen, steigende Aktienkurse vor dem Hintergrund von Massenentlassungen, astronomische Gewinne der Ölindustrie bei steigenden Benzin- und Heizkosten für Otto Normalverbraucher – diese Entwicklung treibt den Kritikern der liberalisierten Märkte neue Zustimmung zu. Globalisierungskritiker und ihre Argumente werden häufiger zur Kenntnis genommen, das Weltsozialforum, dieses Jahr in Caracas, fand schon mehr mediale Beachtung als seine Vorgänger. Die Auseinandersetzungen der dort versammelten Gruppen und Einzelpersonen um die richtige politische Strategie für eine andere, sozial gerechtere Welt haben auch angesichts der jüngsten Wahlergebnisse in lateinamerikanischen Ländern wie Bolivien und Chile öffentliches Interesse auf sich gezogen. Über die Verantwortlichen für eine ökonomische Ordnung, die für eine immer größere Schere zwischen Armen und Reichen sorgt, ist man sich schnell einig. Doch was tun? Zu den bekanntesten Stimmen der globalisierungskritischen Szene gehört Susan George, in den USA geboren und seit 1994 französische Staatsbürgerin, Vizepräsidentin von Attac in Frankreich und Autorin des umstrittenen Lugano-Reports, in dem sie ein fiktives Horrorszenario der Zukunft des Kapitalismus entworfen hatte. In diesen Tagen erscheint in Deutschland ein neues Buch von ihr: "Change it! Eine Anleitung zum politischen Ungehorsam". Walter van Rossum hat es schon gelesen:
Beitrag Walter van Rossum
Kürzlich lernte ich einen jungen Pfarrer kennen, der eine für ihn verwirrende Entdeckung gemacht hatte. Erst durch eine Kabarettveranstaltung sei ihm klar geworden, dass das furchtbare Taliban-Regime in Afghanistan ohne Zutun der Vereinigten Staaten von Amerika und deren massive Unterstützung für den Widerstand gegen die sowjetische Besatzung gar nicht möglich gewesen wäre. Gelernt habe er da auch, dass der heute so verteufelte irakische Diktator Saddam Hussein von Regierungen der sog. Freien Welt eine Weile gehätschelt und mit Waffen versorgt worden war. Seit dieser Erkenntnis sei er außerordentlich misstrauisch gegenüber den Medien und ihren offenbar selektiven Informationen. Und er fragte mich, ob ich ihm eine Lektüre empfehlen könne, die seine neue, kritische Sicht politischer Zusammenhänge vertiefen könnte und die ihm helfen würde, sich gegen gezielte Desinformation zu wehren.
Heute würde ich ihm zum jüngsten Buch von Susan George raten: "Change it! Anleitung zum politischen Ungehorsam". Die Autorin selbst weist in ihrem Vorwort ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei ihrem Buch um eine Gebrauchsanweisung für Debütanten der Außerparlamentarischen Opposition handele:
"Ich hoffe, dass auch gewitzte Demonstranten und erfahrene Weltverbesserer dieses Buch nützlich finden werden, aber wenigstens ein Teil davon könnte den Titel 'Globalisierung und die Bewegung für globale Gerechtigkeit für Anfänger’ tragen. (...) Eine andere Welt ist möglich, wenn wir einige verbreitete Fehler vermeiden, die richtigen Ziele ins Auge fassen und die richtigen Strategien anwenden. Ich gebe gewiss nicht vor, sämtliche Antworten parat zu haben, aber vielleicht qualifiziert mich meine jahrzehntelange Erfahrung als Autorin, Rednerin und Kämpferin für eine Veränderung der Welt dazu, einige einschlägige Fragen zu stellen, auf Lösungsmöglichkeiten hinzuweisen und einige vorsichtige Bemerkungen zu machen."
Ihre Anstiftung zum Ungehorsam für Anfänger beginnt Susan George mit sehr allgemeinen Ausführungen zum Begriff der Globalisierung. Nun ist kritischeren Zeitgenossen gewiss nicht unbekannt, dass die vielbeschworene Globalisierung keineswegs eine neue Erscheinung ist. Neu ist vor allem, dass der Zugriff der kapitalistischen Ökonomie jetzt auch den letzten Winkel der Erde erreicht hat. Doch wenn die Akteure der neoliberalen Globalisierung dingfest gemacht werden, wird das Buch aufschlussreich. Susan George stellt die Aktivitäten der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation genauer vor und macht dabei deutlich, dass Globalisierung keineswegs ein unausweichliches Schicksal ist, wie von ihren Befürwortern unablässig behauptet, sondern Schritt für Schritt von Interessengruppen und ihren Lobbyisten durchgesetzt wird. Und spätestens von Seite 80 an wird auch ein aufmerksamer Zeitungsleser mit Realitäten konfrontiert, die ihm die etablierten Medien weitgehend vorenthalten:
"Obwohl viele unter der Schirmherrschaft der Welthandelsorganisation (WTO) geschlossene Abkommen Anlass genug sind, sich ernste Sorgen zu machen, möchte ich das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen, kurz: GATS, für den ersten Preis nominieren, dicht gefolgt vom Abkommen über die Landwirtschaft und dem TRIPS für geistiges Eigentum. Ebenso wie die anderen Abkommen der WTO ist das GATS nicht gerade eine leichte Urlaubslektüre, aber wenn man sich durch den Fachjargon hindurch gearbeitet hat, stellt man fest, dass es eine tickende Zeitbombe ist, eine gigantische Bedrohung für die Bürger im Allgemeinen und für die öffentlichen Dienstleistungen im Besonderen."
Susan George versteht es, ihren Lesern vor Augen zu führen, dass nicht nur nationale Politik von solchen schwer verständlichen Vertragswerken in Telefonbuchstärke diktiert wird, von denen die meisten Bürger noch nie etwas gehört haben dürften. Kein Wunder, schließlich werden solche Vertragswerke öffentlich niemals diskutiert, geschweige denn den Betroffenen je zur Abstimmung vorgelegt. Wähler haben bekanntlich die Wahl zwischen politischen Parteien, deren Programme sich oft genug in Formeln erschöpfen. Selbst wenn man sich die Mühe macht, diese Programme gründlich zu studieren, wird man feststellen, das GATS, TRIPS und weitere Ausgeburten der Welthandelsorganisation dort kaum behandelt werden, obwohl ihr Einfluss auf das Alltagsleben aller Bürger gewaltig ist.
Susan George folgert aus dem Versagen der politischen Repräsentanten, dass politischer Ungehorsam sich heute nicht darin erschöpfen könne, auf lodernden Barrikaden "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" zu fordern. Politischer Ungehorsam beginne damit, sich in eine sehr spezielle und komplexe Materie einzuarbeiten, die für alle Bürger die allergrößten politischen und ökonomischen Folgen hat, auch wenn sie in den ritualisierten Auseinandersetzungen parlamentarischer Demokratien kaum mehr zum Gegenstand gemacht wird. Was im Gefolge dieser jenseits demokratischer Prozesse beschlossenen Vertragswerke wachse, seien vor allem multinationale Konzerne, deren Umsatz das Sozialprodukt vieler Länder übersteigt. Und diese industriellen Komplexe entschieden dann ebenso wie die Finanzmärkte über das Geschick der Nationen.
Allerdings ist es, das weiß auch Susan George, vergleichsweise einfach, die Akteure der neoliberalen Globalisierung auszumachen und zu kritisieren, sehr viel schwieriger aber ist es, den politischen Ungehorsam, den Widerstand dagegen zu organisieren:
"Diejenigen, die behaupten, der eigentliche Widersacher sei das ganze Wirtschaftssystem, mögen Recht haben. Dennoch ist es nicht gerade ermutigend, wenn man aufgefordert wird, den Kapitalismus zu bekämpfen. Wie soll man gegen ein Konzept oder eine vielköpfige Hydra kämpfen?"
Susan George sieht wenig Chancen für revolutionäre Veränderungen traditionellen Stils. Stattdessen skizziert sie in ihrem Buch ein ganzes Bündel von Maßnahmen und Aktivitäten. Sie untersucht, wie es z. B. gelingen könnte, Europa gegen die neue imperiale Politik der USA in Stellung zu bringen, wie ganz normale Bürger politischen Druck ausüben und ihren Protest sowohl lokal als auch international organisieren können. In der Summe plädiert Susan George für den vielstimmigen Pragmatismus einer internationalen Bewegung für soziale Gerechtigkeit:
"Die klassischen Debatten über Revolution contra Reform und alles, was dazwischen liegt, sind nicht wichtig, solange wir uns dahingehend einigen können, den Kampf aller anderen zu respektieren und als Beitrag zu einer weltweiten Veränderung zu sehen, die zu einer gerechteren Verteilung von Wohlstand, Ressourcen und Macht führt, sowohl innerhalb als auch zwischen den Nationen."
Walter van Rossum besprach: "Change it! Anleitung zum politischen Ungehorsam" von Susan George. Das Buch erscheint im Verlag Droemer/Knaur, hat 288 Seiten für 16,90 Euro.