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Globale Wirtschaft im Fusionsfieber - Bedrohung für Politik und Wettbewerb?

Meurer: Am Telefon begrüße ich Karel van Miert, ehemaliger Wettbewerbskommissar der Europäischen Union. Guten Morgen Herr van Miert!

    Van Miert: Guten Morgen.

    Meurer: Ist die Fusion von Deutscher und Dresdner Bank ein Fall für den EU-Wettbewerbskommissar?

    Van Miert: Ja, so sieht es aus. Es hat vorher auch schon mehrere Fälle gegeben, zum Beispiel vor einigen Jahren die Fusion in Österreich oder die Großbanken in der Schweiz und auch in Frankreich. Es sieht also aus, als ob sich die Kommission das genau angucken muss.

    Meurer: Wie problematisch ist der Fall Deutsche/Dresdner Bank?

    Van Miert: Das ist noch zu früh zu sagen. Das muss erst noch angemeldet werden. Natürlich hängt das davon ab, wie es weiter geht, wie problematisch die Sache auch im Bankenbereich wird. Bis jetzt hat es noch eine ganze Menge Banken gegeben; die gibt es noch immer. Normalerweise hat das noch nicht zu großen Problemen geführt. Erinnern Sie sich an die Deutsche Bank und eine amerikanische Bank. Das war komplementär und die Kommission konnte innerhalb eines Monats ihre Genehmigung erteilen. Hier geht es aber um einen großen Fall und ich bin sicher, das muss sich die Kommission sehr genau angucken.

    Meurer: In Deutschland gibt es ja nicht erst jetzt, aber jetzt ganz besonders eine Diskussion, ob die Banken einfach so mächtig werden. Ist die Bankenmacht dabei, zu groß zu werden?

    Van Miert: Ja, natürlich. Wegen der Tatsache, dass jetzt der Binnenmarkt und auch die Wirtschafts- und Währungsunion sowie dazu die Globalisierung zugreift, gibt es eigentlich drei Elemente, die dazu führen, dass im Bankenbereich vieles passiert. Bis jetzt hat das wie gesagt noch nicht zu großen Problemen geführt, aber das könnte es eines Tages wohl geben.

    Meurer: Sehen Sie die Notwendigkeit kommen, dass man die Bankenmacht, den Bankeneinfluss gesetzlich beschränken sollte?

    Van Miert: Das ist eine andere Sache. Es gibt natürlich schon Bereiche, wo die Konsolidierung schon sehr weit gegangen ist. Die Kommission hat gelegentlich auch schon mal nein sagen müssen oder sehr strenge Bedingungen auferzwingen müssen. Wahrscheinlich wird es das in der Zukunft auch im Bankenbereich geben. Unter allen Umständen muss es in allen Bereichen genug Wettbewerb geben, also in allen Dienstleistungsbereichen der Bankgeschäfte.

    Meurer: Die Banken besitzen ja auch Anteile, große Anteile sogar an den größten Industrieunternehmen.

    Van Miert: Ja, das ist ein spezifisches Problem. Das hat es damals auch schon in Österreich gegeben, und damals haben die Banken sämtliche Beteiligungen verkaufen müssen. Das ist für Österreich und sicher auch für Deutschland noch ein Sonderproblem, das man genau angucken muss.

    Meurer: Sind die Industriebeteiligungen sogar das entscheidende Problem bei Bankenfusionen, die damit noch größer und undurchsichtiger werden?

    Van Miert: Wie gesagt, das ist ziemlich typisch für Deutschland. Andernorts ist das meistens nicht so. Aber auch in diesem Fall glaube ich, dass das genau angeguckt werden muss.

    Meurer: Sind eigentlich diese Zusammenschlüsse, deren Zeugen wir im Augenblick werden, Fusionen und Konzentrationen, quasi schon fast Naturereignisse, die eben im Zuge der Globalisierung einfach an der Tagesordnung liegen?

    Van Miert: Ja, aber gleichzeitig gibt es auch eine ganze Reihe von Defusionierungen. Man sieht das nicht immer. Es geht also nicht nur in eine Richtung. Es geht gelegentlich auch mal in eine andere Richtung. Was aber zutrifft ist natürlich, dass die Konsolidierung in sämtlichen Bereichen auch zu weit gehen könnte. Da muss man gut aufpassen, dass man statt Marktwirtschaft nicht mit einer Machtwirtschaft endet. Da sind natürlich die Behörden gefordert und ganz besonders die Wettbewerbsbehörden.

    Meurer: Kann die Machtwirtschaft so weit gehen, dass Banken und Industrieunternehmen politische Macht übernehmen beziehungsweise sich politischem Einfluss auf Grund ihrer Größe entziehen?

    Van Miert: Das hat es immer gegeben. Das ist nichts neues.

    Meurer: Aber es könnte schlimmer werden!

    Van Miert: Bis jetzt war das so auf nationaler Ebene. In Zukunft könnte es natürlich auch auf europäischer oder sogar globaler Ebene geben. Man soll nie vergessen, damals ist die Wettbewerbspolitik entstanden wegen diesem allzu großen "Trust", wie man das damals nannte. Deswegen redet man auch in den Vereinigten Staaten über "Anti-Trust". Ich glaube, eigentlich stecken wir wieder in einer Phase, obwohl das einerseits natürlich und logisch ist, dass es wegen Globalisierung, wegen Wirtschafts- und Währungsunion, Euro und Binnenmarkt diese Konsolidierung gibt. Im Prinzip muss man das glaube ich schon akzeptieren, aber man muss andererseits sehr genau zugucken, dass es nicht zu weit geht.

    Meurer: In Brüssel wird noch an einem Übernahmegesetz gearbeitet. Warum ist das eigentlich noch nicht verabschiedet, Herr van Miert?

    Van Miert: Ach, da gibt es immer wieder Schwierigkeiten in einem bestimmten Mitgliedsstaat. Beispielsweise muss das auch einstimmig stattfinden. Das zeigt natürlich, dass man mit diesem Einstimmigkeitsprinzip manchmal nicht voran kommt. Wenn es um Wettbewerb geht, zum Beispiel auch um Fusionen geht, dann ist glücklicherweise die Kommission zuständig und sogar alleine zuständig. Deswegen kann die Kommission auch rasch Beschlüsse fassen.

    Meurer: Also besser die Kommission prüft den Wettbewerb als der Ministerrat?

    Van Miert: Ja, sonst kann man das auch nicht zügig machen.

    Meurer: Das war der frühere EU-Wettbewerbskommissar Karel van Miert. - Herzlichen Dank für das Gespräch am Morgen hier im Deutschlandfunk und auf Wiederhören!