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Globalisierte Babyfabrik
Leihmutterschaft in Indien

Frauen aus armen Ländern vermieten ihren Bauch als Gebärmaschine und Frauen aus reichen Ländern zahlen viel Geld als Miete dafür. In Indien blüht das Geschäft mit den Leih-Mutterschaften - schließlich rauchen und trinken die Inderinnen nicht, so die zynische Aussage eines indischen Arztes.

Von Sandra Petersmann | 23.08.2014
    Neelu sitzt aufgeregt in der Fruchtbarkeitsklinik von Dr. Gupta in Neu Delhi. Die 67-jährige wird bald Großmutter. Ihr ältester Sohn Ashish und ihre Schwiegertochter bekommen Zwillinge. Das Paar lebt in England. Die Zwillinge wird eine indische Leihmutter zur Welt bringen.
    "Die Kinder sind überglücklich und können es kaum noch abwarten. Die beiden haben alles versucht. Sie sind seit über 10 Jahren verheiratet."
    Nach vielen Jahren der Frustration entschieden sich Ashish und seine Frau schließlich für eine Leihmutterschwangerschaft in Indien. Im Heimatland des zukünftigen Vaters. Indien erlaubt kommerzielle Leihmutterschaften seit 2002. Im Billiglohnland kostet das medizinische Komplettpaket inklusive juristischer Begleitung heute rund 20.000 Euro. In den USA ist eine kommerzielle Leihmutterschaft sechs Mal teurer, in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern ist sie verboten.
    „Am Anfang musste ich schlucken. Aber mein Sohn erklärte mir: ‚Mama, das ist doch heute etwas ganz Normales.' Irgendwann habe ich dann zugestimmt. Wenn die beiden so ein Baby bekommen können, warum nicht?
    Kommerzielle Leihmutterschaften sind in Indien erlaubt
    Die zukünftige Großmutter bereitet alles vor. Das Paar aus England wird bald zur Geburt anreisen – voller Vorfreude auf die Zwillinge. Auf die Frage, was sie über die Leihmutter denkt, die ihre Enkelkinder unter dem Herzen trägt, reagiert Neelu verlegen.
    "Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Sie ist vermutlich in einer schwierigen finanziellen Lage. Ich habe gehört, dass die meisten Leihmütter arm sind. Und wenn die Frauen so Geld verdienen können, warum nicht?"
    Die Zwillinge werden in der Klinik von Dr. Anoop Gupta zur Welt kommen. Per Kaiserschnitt. Der Arzt vergleicht eine Leihmutterschaft mit einer Blutspende.
    "Was ist das Problem? Wenn eine außereheliche Schwangerschaft erlaubt ist, wenn eine Abtreibung erlaubt ist, warum sollte eine Leihmutterschaft dann verboten sein? Das Paar nimmt die medizinische Hilfe einer Frau in Anspruch, die schon mit einem Kind gesegnet ist. Und die Leihmutter verdient Geld, das sie braucht."
    Knapp 2 Milliarden Euro werden jährlich erwirtschaftet
    In Indien soll es inzwischen mindestens 3.000 Fruchtbarkeitskliniken geben. Und allein in Delhi bieten etwa 50 wie Dr. Gupta auch Leihmutterschaften an. Doch offizielle Zahlen gibt es nicht. Der indische Industrieverband schätzt, dass die Branche pro Jahr knapp 2 Milliarden Euro erwirtschaftet.
    Es dauert nicht mehr lange, dann wird Dr. Gupta sein 500. Leihmutter-Baby auf die Welt holen. Er betreut im Durchschnitt sieben ausländische Paare im Monat. Doch auch indische Paare setzen immer öfter auf Leihmütter.
    "Wenn du darauf angewiesen bist, dann sagst du ja. Und wenn nicht, dann sagst du Nein oder ist mir egal."
    "Ich würde das nicht noch einmal machen. Wenn die Babies mich treten, dann tun sie mir ganz schön weh", berichtet Meena und lacht. Sie ist im achten Monat schwanger. Mit den Zwillingen des Paares aus England. Die Eizelle stammt von einer Spenderin, der Samen vom zukünftigen Vater. Meena glaubt, dass es ihr nicht schwerfallen wird, die Babies nach der Geburt abzugeben. Zu den zukünftigen Eltern hat die 30-jährige keinen Kontakt. Meena ist vorübergehend umgezogen. Sie hält ihre Schwangerschaft geheim.
    "Ich werde die Babies nicht sehen. Die Mutterliebe wächst erst, wenn du in das Gesicht schaust. Ich habe zwei eigene Kinder und bin glücklich. Wir machen das für die Zukunft unserer Söhne. Die beiden Jungs sind 9 und 11 Jahre alt. Ich habe meinen Mann erst nach einem Jahr von einer Leihmutterschaft überzeugen können. Er hat sich schwergetan. Aber zu diesem einen Mal hat er dann ja gesagt."
    Leihmutterschaft nicht gesetzlich geregelt
    Der Ehemann verdient als Fahrer etwas mehr als 100 Euro im Monat. Das reicht für die Miete und für das Essen. Meena träumt von einem kleinen Haus und von einer höheren Schulbildung für ihre Söhne. Für ihre Leihmutterschaft bekommt sie rund 5.000 Euro.
    "Schwarz oder weiß, das funktioniert hier nicht. Das sind keine hilflosen Frauen, die gezwungen werden. Diese Frauen treffen eine bewusste Entscheidung mit den Informationen, die sie haben", sagt Deepa von der Frauenorganisation Sama. Deepa kritisiert, dass es in Indien kein Gesetz gibt, das die Leihmutterschaft regelt. Der Entwurf hängt seit Jahren im Parlament fest.
    "Im Moment ist die Leihmutter unsichtbar. Ihre Rechte spielen keine Rolle. Feministinnen fordern zu Recht schon seit Jahrzehnten, die Rolle der Mutter zu überdenken. Eine Mutterschaft ist auch Arbeit, die entsprechend gewürdigt werden muss."
    Deepa und ihre Organisation Sama wollen erreichen, dass das Gesetz die Leihmutter in den Mittelpunkt stellt. Der aktuelle Entwurf konzentriert sich auf die Industrie. Auf die Kliniken, Ärzte, Leihmutter-Agenten, Rechtsanwälte und Reiseveranstalter, die am Geschäft beteiligt sind.