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"Globalisierung braucht eine kritische Öffentlichkeit"

Gerner: Am Telefon begrüße ich Reinhard Marx, Weihbischof von Paderborn und Mitglied in der Kommission für gesellschaftliche Fragen der katholischen Kirche. Ich grüße Sie!

    Marx: Guten Morgen!

    Gerner: Herr Marx, wir haben es eben gehört: Acht Männer an einem Tisch besprechen die Probleme stellvertretend für die Weltbevölkerung. Kann das so bleiben?

    Marx: Sicher ist das ein gewisses demokratisches Defizit. Insofern sind manche Kritiker dort im Recht. Aber ich bin erst einmal froh - das darf ich auch sagen -, dass die wirtschaftlich und sicher auch politisch Mächtigen sich über Fragen verständigen wollen. Dass das noch verzahnt werden muss, auch mit der UNO und anderen Bereichen, wo eben die demokratische Legitimation vielleicht stärker sichtbar ist, das ist etwas anderes. Aber die Länder, die dort vertreten sind, sind ja im wesentlichen auch Demokratien. So darf uns das zunächst einmal freuen, dass sie sich mit Problemen beschäftigen, die die ganze Welt betreffen.

    Gerner: Die acht Regierungschefs treffen sich auf einem Luxus-Liner entlang der Küste. Ist das ein Symbol für Dialog?

    Marx: Sicher kein Symbol für Dialog, aber wahrscheinlich sind die Sicherheitsvorkehrungen wichtig. Bezüglich der Demonstranten darf ich auch sagen, als das in Seattle damals begann, habe ich mich zunächst gefreut, denn ich bin der Meinung, dass die Globalisierung schon ein Phänomen ist, das eine kritische Öffentlichkeit braucht. Nun sind die Gruppen ja auch sehr heterogen und man kann nicht alle über einen Leisten schlagen. Gewalt ist kein Thema für uns, das ist klar. Aber insgesamt muss ich sagen bin ich zunächst einmal über die Bewegung ganz zufrieden, dass eine kritische Öffentlichkeit diese ganzen Dinge begleitet. Die Nachteile sind dann vielleicht, dass die Sicherheitsvorkehrungen so sind, dass man sich so ein bisschen auf eine Insel oder auf ein Schiff zurückziehen muss.

    Gerner: Bezeichnen Sie sich selbst auch als Globalisierungskritiker?

    Marx: In gewisser Weise ja, aber ich würde sagen, die Globalisierung ist ein ambivalenter Prozess. Wir haben keine Alternative dazu. Wir als Christen sagen natürlich auch, dass die eine Welt zusammenwächst war ja immer unser Thema. Wir haben Eine-Welt-Gruppen und die Menschheit ist eine Familie, die universalen Menschenrechte. All das ist ja auch ein Thema geworden. Aber die andere Seite ist eben, dass diese Globalisierung auch Verlierer und Gewinner hat.

    Gerner: Sie haben eben Seattle angesprochen. Das ist kaum zwei Jahre her. Inzwischen hat sich das unwahrscheinlich hochgeschaukelt, Proteste und Sicherheitsmaßnahmen. Wie sind wir in dieser kurzen Zeit dahin gekommen?

    Marx: Einmal ist das Thema virulenter und die Entwicklung ist vorangeschritten und die Sensibilität der Leute ist größer geworden. Das ist eigentlich eine positive Sache, dass man eben nicht mehr hinter verschlossenen Türen über die Weltprobleme reden kann, sondern dass sich viele beteiligen. Das haben wir in anderen Themen ja auch. Das was wir Zivilgesellschaft nennen ist international wacher geworden.

    Gerner: Ich will es mal an einem Beispiel konkret machen, Herr Marx, wenn Sie erlauben. Die jüngste Fusion von BP und Eon, das freut die Aktionäre. Für das Tankstellennetz bedeutet das beispielsweise, dass wo bisher zwei Konkurrenten in unmittelbarer Nähe waren in Zukunft eine Tankstelle wegfallen wird. Das vernichtet mithin Arbeitsplätze. Ist das als Beispiel typisch für die Globalisierung als ganzes?

    Marx: Nein, das ist erst einmal typisch für wirtschaftliche Prozesse. Das kann man nicht generell sagen. Die Globalisierung hat positive Effekte. Sie schafft ja auch neue Investitionen. Es wird ja auch in anderen Ländern investiert. Wo das Problem ist, dass die Wettbewerbsbedingungen weltweit global eben nicht ganz gleich sind. Vor allen Dingen die Armen haben natürlich nicht die gleichen Wettbewerbsbedingungen. Zu einem wirklich guten Markt gehört eben auch eine Rahmenordnung, eine politische Ordnung, eine Wettbewerbsordnung, die wir weltweit nicht haben, so dass sich die Starken durchsetzen. Insofern gehören solche Dinge in den Kontext hinein, aber man muss sie jeweils einzeln untersuchen. Die Marktwirtschaft hat immer solche Fusionen und auch wieder andere Entwicklungen, Zerstörungen erlebt, Neuaufbrüche, aber eben in einem Rahmen, in einem nationalstaatlichen Rahmen und der ist völlig weg. Das ist unser Problem, dass wir hier daran arbeiten müssen. Da sind die G7 oder die G8 gefordert mitzuhelfen, dass hier ein Rahmen, eine Weltordnungspolitik langsam in Gang kommt, die den Markt auch zum richtigen hinführt.

    Gerner: Nun ja, die G8 sagen, WTO und IWF und andere Organisationen sind dafür da, dies in den Griff zu kriegen. Die Kritiker sagen, die ähneln mächtigen Geheimklubs, die undurchsichtig agieren. Kann man das ganze demokratischer kriegen?

    Marx: Natürlich kann man das demokratischer kriegen. Die WTO kann transparenter sein. Die WTO ist auch nicht verzahnt mit den anderen Bereichen, mit der UNO und eben mit G7 und G8. Es gibt schon eine Möglichkeit. Diese Vielfalt der internationalen Organisationen, die ich schon für gut halte, sind so ein Kern der Weltordnungspolitik.

    Gerner: Aber Sie meinen doch nicht im Ernst, dass die UNO der Allheilsbringer ist?

    Marx: Nein, nein. Deswegen sage ich ja muss das schon einer Reform unterzogen werden. Die G7 sind dort besonders gefordert, weil die ja nun die stärkeren sind. In der UNO ist natürlich manchmal ein ganz großes Feld von vielen Interessen. Bis die zu einer gemeinsamen Meinungsbildung kommen ist das nicht so ganz ohne. Ich denke schon, dass die reichen Völker und die, die die wirtschaftliche Macht haben, eine besondere Verantwortung haben gerade für die Armen und dort vorangehen müssen.

    Gerner: Wie ist es mit mehr Transparenz für Finanzströme? Ich habe die Aktionärsinteressen angesprochen. Die Kirchen selbst, katholische und evangelische, haben ja auch Bank- und Aktiengesellschaften, insgesamt elf Institute. Einige davon propagieren Negativlisten. Das heißt, dort darf nicht investiert werden in Rüstung, Tabak und Pharmafirmen. Wünschen Sie sich, dass das Schule machen würde?

    Marx: Ja! Auch die kirchlichen Banken in Deutschland haben ja einen sogenannten Ethikfonds aufgelegt. Ich habe immer dafür geworben, auch in unserem innerkirchlichen Bereich, dass wir Kriterien für Investitionen anlegen müssen. Wir haben nichts gegen die Börse, wir haben nichts gegen Marktwirtschaft, aber man soll das nicht so ganz unschuldig sehen. Wenn wir als Kirche mit Geld umgehen, sollte man schon sorgsam darauf achten. Das muss aber nicht bedeuten, dass man deswegen weniger verdient. Man kann auch mit Aktien, die einigermaßen negative Dinge ausschließen, einiges machen.

    Gerner: Wie ist es mit einer internationalen Spekulationssteuer?

    Marx: Ich glaube diese Überlegungen sind wichtig. Es gab ja in Amerika den Ökonomen Tobin, der über eine solche Spekulationssteuer nachgedacht hat. Wir haben ja im letzten Jahr nun wirklich erlebt, dass dort einige Dinge aus dem Ruder gegangen sind. Da muss ich auch die Banken kritisieren, die sonst von jeder Oma mit ihrem kleinen Häuschen Sicherheiten verlangen und dann in einer Weise spekuliert haben, was aus meiner Sicht nicht mehr im Rahmen einer richtigen Marktwirtschaft gelaufen ist. Da haben viele gewonnen, aber es haben eben auch viele verloren, und das ist nicht in Ordnung.

    Gerner: Sollte man die G8 zu einem G9 machen mit einem Repräsentanten der Globalisierungskritik am Tisch?

    Marx: Ich glaube, so lange die demokratischen Länder dort sind, werden sie in ihren Ländern - deswegen meine ich ist auch das, was Kirche oder andere Gruppen tun, wichtig - in ihren Ländern wachsend auch unter kritische Beobachtung gestellt. Das kann man diskutieren, aber ich glaube nicht, dass das viel bringt, wenn nun unter acht einer ist, der immer dagegen ist, sondern wir müssen in unseren Ländern und global immer wieder eine kritische Öffentlichkeit darstellen. Ich glaube, dass das schon zukunftsträchtig ist.

    Gerner: Reinhard Marx war das, Weihbischof von Paderborn und Vorsitzender der Organisation für Entwicklungspolitik in der katholischen Kirche. - Ich danke Ihnen!

    Link: Interview als RealAudio