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Globalisierung im Zwielicht

Medizin. - Neue Arzneien werden nicht nur weltweit vermarktet, sondern auch weltweit in klinischen Studien erforscht. Immer häufiger erproben Unternehmen aus den USA oder Westeuropa ihre neuen Wirkstoffe in der Dritten Welt. Kritiker befürchten, dass dabei ethische Grundsätze in den Hintergrund geraten könnten.

Von Volkart Wildermuth | 23.02.2009
    Professor Kevin Schulman von der amerikanischen Duke Universität ist Gesundheitsökonom. Zahlen sind sein Metier und so hat er für seinen Beitrag im "New England Journal of Medicine" untersucht, wo die größten Pharmaunternehmen der USA eigentlich ihre Studien machen lassen. 2007 fand ein Drittel der abschließenden Zulassungsstudien komplett außerhalb der Vereinigten Staaten statt. Tendenz steigend. In erster Linie lassen amerikanische Firmen in Westeuropa und Kanada forschen, zunehmend gewinnt aber auch der Studienstandort Dritte Welt an Bedeutung. Das gilt im Übrigen nicht nur für die USA, sondern auch für Europa und Deutschland, bestätigt Dr. Siegfried Throm vom Verband forschender Arzneimittelhersteller in Berlin.

    "Es gibt mehrere Gründe dafür, einer davon ist, die Studien in solchen Ländern sind etwas günstiger zu haben. Es eröffnet sich für die Firmen durch andere Länder, in denen die Studien durchgeführt werden, die Möglichkeit, große Studien wesentlich schneller durchzuführen, als das bisher der Fall gewesen ist. Primärer Gesichtspunkt muss allerdings die Qualität sein, die Firmen führen solche Studien nur durch, wenn auch eine hohe Qualität gesichert ist."

    In Indien etwa sind Studien 20 Prozent günstiger, so Siegfried Throm, die nötigen Patientenzahlen lassen sich dank der großen Bevölkerung leichter erzielen und schließlich öffnen diese Studien auch die Tür für den Absatzmarkt Indien, der zunehmend interessant wird. Klinische Forschung wird in Zukunft verstärkt exportiert, so viel steht fest. Die Frage ist nun, ist das ein Problem? Kevin Schulman meint ja.

    "Wir sehen mehrere Probleme. Nützt diese Forschung den Menschen in diesen Ländern, werden die Arzneimittel dort jemals angeboten werden, oder setzen wir die Menschen nur dem Risiko aus, ohne das es eine Chance auf einen Nutzen gibt?"

    2007 finanzierten amerikanische Unternehmen keine einzige Abschlussstudie zur Tuberkulose in der Dritten Welt, forschte dort aber an Medikamenten gegen Reizdarm und Heuschnupfen. Die Forschung der US-Unternehmen orientiert sich nicht an den Bedürfnissen der Entwicklungsländer. Allerdings nimmt auch dort die Bedeutung der Zivilisationskrankheiten ständig zu. Kevin Schulman sieht auch ethische Probleme. Als Beleg zitiert er einen Bericht aus dem Jahr 2004, nach dem Patienten in China sehr häufig nicht richtig über die Risiken und Nutzen der Teilnahme an einer klinischen Studie aufgeklärt werden. Offen bleibt in diesem Artikel aber, ob es sich um Studien westlicher Pharmaunternehmen handelt. Siegfried Throm bezweifelt das.

    "Es gibt strenge Regularien für die Durchführung von klinischen Studien, die auch am Durchführungsort 'Dritte-Welt-Länder' berücksichtigt werden. In den Richtlinien ist festgeschrieben, dass solche Studien mindestens den ethischen und sonstigen Standards entsprechen müssen, die auch hier zum Beispiel in der Europäischen Union gelten."

    Die europäische Arzneimittelbehörde EMEA hat erst im Dezember darauf hingewiesen, dass sie nur Studien akzeptiert, die diese Bedingungen einhalten. Sie will auch noch häufiger als bisher Studien in Entwicklungsländern vor Ort kontrollieren. Länder wie Indien achten auch selbst auf den Schutz ihrer Bevölkerung. Dort dürfen westliche Firmen nur Wirkstoffe erproben, deren Sicherheit sie in ihren Heimatländern belegt haben. Neben ethischen sieht Kevin Schulman aber auch wissenschaftliche Probleme beim Verlagern der Studien.

    "Die Frage ist, können wir die Ergebnisse auf die Bevölkerung in den USA oder Westeuropa übertragen? Wir führen entscheidende Studien so durch, dass sie uns nicht weiterbringen."

    Kevin Schulman zitiert einen Bericht der amerikanische Arzneimittelbehörde FDA, die 2007 Studien zu einem Nierenmedikament beanstandete. 90 Prozent der Patienten stammten aus Osteuropa, die FDA befürchtete, dass dort häufige genetische Varianten das Nebenwirkungsprofil verschieben könnten. Das Beispiel zeigt aber auch, dass die Behörden das Problem offenbar erkannt haben. Keine Frage, in Zukunft werden mehr Studien in Länder der Dritten Welt verlagert werden. Kevin Schulman fordert deshalb die strikte Einhaltung ethischer und wissenschaftlicher Richtlinien. Im Detail kann hier sicher viel verbessert werden, grundsätzlich achten die Arzneimittelbehörden FDA und EMEA aber schon heute auf ihre Einhaltung.