Archiv


Globalisierungskritik als Kulturkritik

An diesem Wochende treffen sich Globalisierungskritiker im indischen Bombay zum Weltsozialforum. Wie sie die Welt gestalten wollen, welche Vorstellung sie haben und wie sie sie umsetzen wollen, darüber wollen sie diskutieren. Könnte es dabei gar um eine Kulturrevolution gehen?

Christoph Burgmer im Gespräch |
    Burgmer: Von einer Kulturrevolution direkt kann man natürlich nicht sprechen, weil man sich vorstellen muss, dass die Teilnehmerzahl etwa 100.000 beträgt – und Bombay hat fast 18 Millionen Einwohner. Wir sind jetzt schon einige Tage hier und in der Öffentlichkeit wird dieses Forum in Bombay überhaupt nicht wahrgenommen. Auf dem Gipfel selbst sind diese Gruppen sehr präsent und man könnte schon fast sagen sie prägen auch diesen Gipfel und das betrifft nicht nur die Unberührbaren, die dort mit vielen bunten Aktionen auf sich aufmerksam machen – mit Demonstrationen innerhalb des Geländes natürlich nur, sondern auch die Adivasis, die Ureinwohner Indiens, die sehr stark unter der Globalisierung auch zu leiden haben.

    Fischer: In welcher Form?

    Burgmer: Die Ureinwohner sind eine Gruppe, die sehr schlecht ausgebildet ist, die zum größten Teil analphabetisch ist und noch unter sehr traditionellen Lebensbedingungen hier lebt. Sie könne sich vorstellen, der indische Staat enteignet das Land der Adivasis und dann werden Kooperationen mit internationalen Firmen geschlossen. Joint Ventures zum Abbau von Kohle zum Beispiel oder von Eisenerz und so weiter und so fort.

    Fischer: Sie haben davon gesprochen, auch die öffentliche Aufmerksamkeit ist vom globalen Gefälle betroffen? Auf der Eröffnungsveranstaltung hat Arundati Roy gesprochen – die indische Schriftstellerin, die mit ihrem Buch "Der Gott der kleinen Dinge" bekannt wurde und die ja ein berühmtes Sprachrohr der Bewegung, wenn auch hier zulande nicht unumstritten ist. Was hat sie gesagt?

    Burgmer: Arundati Roy hat einmal darauf hingewiesen, dass der Irakkrieg zu verurteilen sei. Das war ja nicht nur sie, sondern auch die anderen Redner. Es scheint, dass bei den Veranstaltern, bei den Organisatoren und bei den international bekannten Gästen das eine größere Rolle spielt, als bei den teilnehmenden Gruppen. Sie haben ja eben über die Adivasis gesprochen und so scheint es, als ob es ein wenig Diskrepanz gibt zwischen der Leitung dort und den teilnehmenden Gruppen.

    Fischer: Es gibt natürlich auch Kultur beim Weltsozialforum – wenn auch als Begleitprogramm. Aber das Wichtigere scheint vielleicht das zu sein, was Sie gerade ansprachen. Nämlich, dass die großen Themen also Globalisierung, Krieg, Amerikanischer Imperialismus letztlich vielleicht doch auf die Kultur der kleinen Gruppen, also auf das menschliche Maß hinuntergebrochen werden. Ist diese Diskrepanz - glauben Sie - ein Signum einer solchen Veranstaltung oder scheint auf diesem Weltsozialforum auch die Möglichkeit einer neuen Welt-Verfassung im Sinne einer Organisation von unten überhaupt auf?

    Burgmer: Das lässt sich nach wenigen Stunden, die diese überhaupt alt ist – im Moment läuft sie noch, der erste Tag, der erste Nachmittag - noch nicht sagen. Zumal die Veranstaltung in einem extremen Maß chaotisch organisiert ist. Man muss sich das recht bunt vorstellen: Es gibt zahlreiche Bühnen, es gibt zahlreiche Lesungen und dazwischen finden Demonstrationen von Gruppen statt, die begleitet von Musik afrikanischer Gruppen durch die Gegend ziehen. Man hat das Gefühl, das muss sich im Laufe der nächsten Tage erst einmal finden.

    Fischer: Das heißt für Sie ist das eher ein sozusagen Welt-Jahrmarkt, als der Anlass einen radikalen Perspektivwechsel zu vollziehen, als westlicher Beobachter?

    Burgmer: Einmal ist es eine Bewusstwerdung der verschiedenen indischen Gruppen überhaupt, die hier in Bombay ein Forum haben sich einmal zu treffen und auszutauschen. Die zweite Sache ist die, dass man glaube ich sagen kann, dass es eine Art Versuch ist einmal von unten heraus darzustellen, wie denn eigentlich die Lebensbedingungen sind und der Gipfel unterscheidet sich dabei in keinster Weise von Bombay überhaupt. Man hat das Gefühl, dass man erst mal eine gemeinsame Sprache finden muss. Das ist glaube der Unterschied zu den Gipfeln, die bisher in Brasilien stattgefunden haben.