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Globalisierungskritiker und Optimist

Im New York Times Book Review ist der amerikanische Gelehrte Noam Chomsky einmal als der "wichtigste Intellektuelle der Gegenwart" bezeichnet worden. Wahr ist, dass Chomsky, einer der innovativsten und bedeutendsten Sprachwissenschaftler des 20. Jahrhunderts, seit mehr als 40 Jahren vor allem mit seinen politischen Interventionen die Öffentlichkeit in und außerhalb der USA provoziert und polarisiert. Heute wird Noam Chomsky 80 Jahre alt.

Von Hans Martin Lohmann | 07.12.2008
    Noam Chomskys bahnbrechende linguistische Arbeiten lassen sich am ehesten als Versuch beschreiben, die Darstellung natürlicher Sprachen zu formalisieren. Da formale Sprachen in Informatik und Computerwissenschaft eine zentrale Rolle spielen, gelten die Werke Chomskys - neben denen des britischen Mathematikers Alan Turing - als wegweisend auf dem Gebiet der Computerlinguistik. Mit seinem 1957 veröffentlichten Buch "Syntactic Structures" schrieb sich der soeben promovierte Gelehrte auf einen Schlag an die Spitze der zeitgenössischen Linguistik.

    Avram Noam Chomsky wurde am 7. Dezember 1928 in Philadelphia im US-Bundesstaat Pennsylvania als Sohn des jüdischen Hebraisten William Chomsky und seiner Ehefrau Elsie Simonofsky geboren. Im Jahr 1945 nahm er an der University of Pennsylvania das Studium der Philosophie und Linguistik auf. 1961 erhielt er eine ordentliche Professur für Linguistik und Philosophie am renommierten Massachusetts Institute of Technology in Cambridge, wo er bis zu seiner Emeritierung lehrte.

    Chomskys ausgeprägt libertäre politische Überzeugungen, die ihm bis heute geblieben sind, bildeten sich biographisch früh heraus, nicht zuletzt dank der intensiven Beschäftigung mit den anarchistischen Experimenten während des Spanischen Bürgerkriegs.

    "Schon in jungen Jahren zog mich der Anarchismus an, das heißt sobald ich anfing, die Welt jenseits einer eingeschränkten Perspektive zu betrachten. Und ich sehe bis heute keinen Grund, diese frühe Einstellung zu revidieren. Ich denke, es ist allein sinnvoll, autoritäre, hierarchische und überhaupt Herrschaftsstrukturen in allen Lebensbereichen zu erkennen und sie infrage zu stellen."

    Was Chomsky über die Fachwissenschaft hinaus berühmt gemacht hat, ist denn auch in erster Linie sein öffentliches politisches Engagement. Früh bekannte er sich zur "Verantwortlichkeit der Intellektuellen", denen er 1966 ins Stammbuch schrieb:

    "Für eine privilegierte Minderheit hält die westliche Demokratie die Muße, die Einrichtungen und die Ausbildung bereit, die es ihr erlauben, die Wahrheit zu suchen, die sich hinter dem Schleier von Verzerrung und Verdrehung, Ideologie und Klasseninteresse verbirgt ... Die Intellektuellen haben die Verantwortung, die Wahrheit zu sagen und Lügen aufzudecken."

    Seit Mitte der sechziger Jahre gehört Chomsky zu den radikalsten Wortführern einer Kritik, die an der Außen- und Wirtschaftspolitik der USA und an deren zunehmend militarisiertem Charakter kein gutes Haar lässt. In seinem 1969 publizierten Buch "Amerika und die neuen Mandarine" - gewidmet den jungen Männern, die den Kriegsdienst in Vietnam verweigerten - klagte Chomsky nicht nur die politische Klasse und die Politik seines Landes an, sondern auch die Willfährigkeit vieler Wissenschaftler und Intellektueller, mit der sie diese Politik unterstützen.

    Chomskys politische Analysen sind stets glasklar und untermauert durch eine Vielzahl beglaubigter Fakten, die es seinen nicht eben wenigen Kritikern schwer macht, sie als bloße Hirngespinste abzutun. Dass er Partei ergreift, etwa im Nahostkonflikt, in Fragen der Menschenrechte, hinsichtlich der neoliberalen Weltordnung - es ist für ihn die pure Selbstverständlichkeit. Dabei kann Chomsky ebenso witzig wie sarkastisch sein, etwa wenn er, im Kontext des Irakkriegs, die subalterne Haltung des britischen Premiers gegenüber dem großen Bruder in Amerika charakterisiert:

    In England werde Tony Blair oft George Bushs Pudel genannt. Das sei unfair, er sei sein Kampfhund.

    Trotz der Unversöhnlichkeit seiner Kritik an den Vereinigten Staaten teilt Chomsky, eine Ikone der Globalisierungskritiker, eine uramerikanische Eigenschaft - den unverwüstlichen Optimismus im Hinblick auf die Zukunft Amerikas:

    "Dieses Land ist heute viel zivilisierter als vor 20 oder 30 Jahren, und es gilt auch für andere Länder. Dinge, die wir heute als selbstverständlich hinnehmen, wie etwa die Rechte der Frau, Solidarität mit der Dritten Welt, globale Gerechtigkeit, Umweltschutz - das gab es vor 30, 40 Jahren überhaupt nicht. Wir waren als Gesellschaft viel unterwürfiger. Mit der Zeit haben sich die Dinge geändert und die Welt wird wirklich ein besserer Ort zu leben, heute mehr als je zuvor."