Die Zahl der Mohammad-Biografien geht weltweit in die Tausende. Binnen Jahresfrist ist Tariq Ramadans Buch bereits die dritte auf Deutsch erschienene Lebensbeschreibung des islamischen Propheten. Seine Intention, so schreibt Tariq Ramadan, bestehe darin, den Propheten selbst kennenzulernen. Es gehe ihm ...
" ... um Versenkung, Anteilnahme und vor allem Liebe."
Tariq Ramadan präsentiert ein Erbauungsbuch über den Propheten Mohammad. Er liefert eine lupenreine Hagiografie, eine Heiligenlegende, eine wunderbare Folie eines in jeder Hinsicht perfekten und idealen Menschen. Ramadans Mohammad-Biografie ist eine Glorifizierung des Gepriesenen – so die Bedeutung des Namens Mohammad. Der Autor beschränkt sich nicht darauf "Auf den Spuren des Propheten" - wie der Untertitel verheißt – zu wandeln. Er deutet, er wertet, er interpretiert die von ihm ausgesuchten Spuren, er drückt ihnen seine Lesart auf. Das Grundanliegen seines Buches besteht für Ramadan darin:
"Das Leben des Gesandten zu einem Spiegel zu machen, durch den der Leser, der sich den Anforderungen unserer Zeit stellen muss, sein Herz und seine Sinne erkunden und zum Verständnis der Fragen von Sein und Sinn bis hin zu ethischen und sozialen Fragen gelangen kann."
Das ist ein hoher und interessanter Anspruch und lässt sich auf die Fragestellung zuspitzen: Wie würde der Prophet im übertragenen Sinne mit den Herausforderungen und Problemen der heutigen Zeit umgehen?
Als Ausgangspunkt zu diesen überzeitlichen Betrachtungen entscheidet Ramadan sich dafür ...
" ... mitten in das Leben des Propheten einzutauchen und daraus seine zeitlosen, spirituellen Lehren zu extrahieren."
Der Blick auf das Leben des Propheten, das den Lesern als Spiegel dienen soll, geschieht durch die Brille Tariq Ramadans. Das gilt es bei der Lektüre dieses Buches in besonderer Weise zu bedenken. Verglichen mit den kürzlich erschienenen deutschsprachigen Mohammad-Biografien von Tilman Nagel und Hans Jansen bietet Tariq Ramadan in Sachen Geschichtlichkeit des Propheten schmale Kost. Nagel und Jansen beleuchten als Arabisten und Islamwissenschaftler das Leben Mohammads, sie fragen nach Belegen, Zeugnissen, Daten und Fakten.
Tariq Ramadan hingegen liefert eine wohlmeinende Interpretation dessen, was die frühesten muslimischen Biografen Ibn Ishaq und ibn Hisham über Mohammads Leben zusammengestellt haben. Sein Buch folgt der Tradition des ibn Sa'ad, der bereits im 9. Jahrhundert eine spezielle Form der Prophetenbiografie begründet hat, in der es vor allem um eines geht: die Verehrung des Propheten durch die Herausstellung dessen angenommener Charaktereigenschaften zu begründen.
Genau das tut Tariq Ramadan. Die historische Figur Mohammeds erhält nur schemenhafte Konturen. Die Lebensstationen des Propheten von der Zeugung bis zum Tod liefern die Stichworte für Ramadans spagatartige Exkurse, was Islam zwischen wertkonservativem Verständnis und liberaler Reform sein könnte. Er bemüht sich dabei darum, Verknüpfungen zu zeitgenössischen Befindlichkeiten herzustellen - etwa über Bedeutung und Umgang mit der Natur.
"Die Natur ist zugleich Führerin und engste Gefährtin des Glaubens. Deshalb entschied Gott, seinen Propheten von frühester Kindheit an der Erziehung durch seine Schöpfung auszusetzen, einer Schule, in der der Geist nach und nach lernt, Zeichen der Bedeutung zu erkennen und zu begreifen. Im Gegensatz zum Formalismus seelenloser religiöser Rituale fördert diese Nähe zur Natur eine Beziehung zum Göttlichen, die auf Kontemplation beruht."
Tariq Ramadan ist ein einflussreicher Denker. Vor allem auf junge in Europa und den USA lebende Muslime übt er eine große Anziehung aus. Vor wenigen Jahren hat ihn das "Time Magazin" zu den weltweit 100 einflussreichsten Persönlichkeiten gezählt. Es ist daher für die Lektüre seines Buches nicht ganz unerheblich, wofür der Enkel Hassan el-Banna's steht, des Begründers der weltweit operierenden Muslimbruderschaft.
Ramadans Kritiker sehen in ihm einen verkappten Muslimbruder, einen Apologeten des islamischen Fundamentalismus, der seine zutiefst wertkonservative Botschaft modern zu verpacken verstehe. Der Erfurter Islamwissenschaftler Kai Hafiz gesteht Ramadan eine Art Mittlerrolle zu.
""Auf der einen Seite kritisiert er die Fundamentalisten für ihren Dogmatismus, für ihr Festhalten am alten islamischen Recht. Auf der anderen Seite kritisiert er auch die Liberalen für eine zu große Beliebigkeit in Glaubenfragen – so hätte Luther das vielleicht ausgedrückt. Er versucht eine Art neuen Konsens über bestimmte Wertefragen herzustellen, eine Art neue muslimische Identität, die durchaus neue Regeln schafft, neue Verbindlichkeiten, aber auch reformatorisch und offen ist und sich sozusagen von alten Dogmen befreit, die die Fundamentalisten nach wie vor hoch halten."
Ramadan selbst sieht sich als Reformer. Der Islam stecke weltweit in einer Krise, aus der die Muslime nur aus eigener (Geistes-)Kraft herausfinden könnten. Seine Bücher, seine Vorträge und Reden richten sich vornehmlich an ein muslimisches Publikum. Ganz bewusst sagt er.
"Ich möchte die Mentalität ändern. Ich muss mich mit den Muslimen auseinandersetzen. Nehmen wir die Texte – stimmt das, was sie sagen? Ich stelle den Gelehrten drei Fragen: Was sagen die Texte, was waren die Umstände, was war der Zusammenhang? "
Tariq Ramadan ist in Genf aufgewachsen. Wenn er von "radikaler Reform" spricht, dann ist er sich der unzulänglichen sozialen und politischen Zustände in vielen islamischen Ländern bewusst. Er will einen mit demokratischen Grundsätzen und internationalen Menschenrechten vereinbaren europäischen Islam. Aufgrund seines unbestritten großen Einflusses ist es daher nicht unerheblich, wenn er in seiner Mohammad-Biografie Khadija, die erste Gemahlin des Propheten, als eine
tatkräftige, selbstbewusste und unabhängige Frau schildert; wenn er darauf hinweist, dass der Prophet Apostaten nicht hat töten oder bestrafen lassen; wenn er schildert, welches Verhältnis Muhammad zu Juden und Christen pflegte.
Wer sich eine von historischen Daten und Fakten getragene Prophetenbiografie wünscht, um den Islam besser in seiner geschichtlichen Dimension verstehen zu können, der ist bei Tariq Ramadan nicht gut aufgehoben. Ramadans Buch gewährt hingegen einen hochinteressanten Blick auf den Propheten des Islams aus der Sicht eines gleichermaßen wichtigen wie auch umstrittenen muslimischen Gelehrten unsrer Zeit. Und es kann aufgrund der jeder Zeile innewohnenden Verehrung Mohammads dazu beitragen, die tiefe Ehrfurcht vieler Muslime gegenüber ihrem Propheten besser zu verstehen.
Reinhard Baumgarten war das über Tariq Ramadan: Muhammad – Auf den Spuren des Propheten. Erschienen bei Diederichs, 283 Seiten kosten 21,95 Euro.
" ... um Versenkung, Anteilnahme und vor allem Liebe."
Tariq Ramadan präsentiert ein Erbauungsbuch über den Propheten Mohammad. Er liefert eine lupenreine Hagiografie, eine Heiligenlegende, eine wunderbare Folie eines in jeder Hinsicht perfekten und idealen Menschen. Ramadans Mohammad-Biografie ist eine Glorifizierung des Gepriesenen – so die Bedeutung des Namens Mohammad. Der Autor beschränkt sich nicht darauf "Auf den Spuren des Propheten" - wie der Untertitel verheißt – zu wandeln. Er deutet, er wertet, er interpretiert die von ihm ausgesuchten Spuren, er drückt ihnen seine Lesart auf. Das Grundanliegen seines Buches besteht für Ramadan darin:
"Das Leben des Gesandten zu einem Spiegel zu machen, durch den der Leser, der sich den Anforderungen unserer Zeit stellen muss, sein Herz und seine Sinne erkunden und zum Verständnis der Fragen von Sein und Sinn bis hin zu ethischen und sozialen Fragen gelangen kann."
Das ist ein hoher und interessanter Anspruch und lässt sich auf die Fragestellung zuspitzen: Wie würde der Prophet im übertragenen Sinne mit den Herausforderungen und Problemen der heutigen Zeit umgehen?
Als Ausgangspunkt zu diesen überzeitlichen Betrachtungen entscheidet Ramadan sich dafür ...
" ... mitten in das Leben des Propheten einzutauchen und daraus seine zeitlosen, spirituellen Lehren zu extrahieren."
Der Blick auf das Leben des Propheten, das den Lesern als Spiegel dienen soll, geschieht durch die Brille Tariq Ramadans. Das gilt es bei der Lektüre dieses Buches in besonderer Weise zu bedenken. Verglichen mit den kürzlich erschienenen deutschsprachigen Mohammad-Biografien von Tilman Nagel und Hans Jansen bietet Tariq Ramadan in Sachen Geschichtlichkeit des Propheten schmale Kost. Nagel und Jansen beleuchten als Arabisten und Islamwissenschaftler das Leben Mohammads, sie fragen nach Belegen, Zeugnissen, Daten und Fakten.
Tariq Ramadan hingegen liefert eine wohlmeinende Interpretation dessen, was die frühesten muslimischen Biografen Ibn Ishaq und ibn Hisham über Mohammads Leben zusammengestellt haben. Sein Buch folgt der Tradition des ibn Sa'ad, der bereits im 9. Jahrhundert eine spezielle Form der Prophetenbiografie begründet hat, in der es vor allem um eines geht: die Verehrung des Propheten durch die Herausstellung dessen angenommener Charaktereigenschaften zu begründen.
Genau das tut Tariq Ramadan. Die historische Figur Mohammeds erhält nur schemenhafte Konturen. Die Lebensstationen des Propheten von der Zeugung bis zum Tod liefern die Stichworte für Ramadans spagatartige Exkurse, was Islam zwischen wertkonservativem Verständnis und liberaler Reform sein könnte. Er bemüht sich dabei darum, Verknüpfungen zu zeitgenössischen Befindlichkeiten herzustellen - etwa über Bedeutung und Umgang mit der Natur.
"Die Natur ist zugleich Führerin und engste Gefährtin des Glaubens. Deshalb entschied Gott, seinen Propheten von frühester Kindheit an der Erziehung durch seine Schöpfung auszusetzen, einer Schule, in der der Geist nach und nach lernt, Zeichen der Bedeutung zu erkennen und zu begreifen. Im Gegensatz zum Formalismus seelenloser religiöser Rituale fördert diese Nähe zur Natur eine Beziehung zum Göttlichen, die auf Kontemplation beruht."
Tariq Ramadan ist ein einflussreicher Denker. Vor allem auf junge in Europa und den USA lebende Muslime übt er eine große Anziehung aus. Vor wenigen Jahren hat ihn das "Time Magazin" zu den weltweit 100 einflussreichsten Persönlichkeiten gezählt. Es ist daher für die Lektüre seines Buches nicht ganz unerheblich, wofür der Enkel Hassan el-Banna's steht, des Begründers der weltweit operierenden Muslimbruderschaft.
Ramadans Kritiker sehen in ihm einen verkappten Muslimbruder, einen Apologeten des islamischen Fundamentalismus, der seine zutiefst wertkonservative Botschaft modern zu verpacken verstehe. Der Erfurter Islamwissenschaftler Kai Hafiz gesteht Ramadan eine Art Mittlerrolle zu.
""Auf der einen Seite kritisiert er die Fundamentalisten für ihren Dogmatismus, für ihr Festhalten am alten islamischen Recht. Auf der anderen Seite kritisiert er auch die Liberalen für eine zu große Beliebigkeit in Glaubenfragen – so hätte Luther das vielleicht ausgedrückt. Er versucht eine Art neuen Konsens über bestimmte Wertefragen herzustellen, eine Art neue muslimische Identität, die durchaus neue Regeln schafft, neue Verbindlichkeiten, aber auch reformatorisch und offen ist und sich sozusagen von alten Dogmen befreit, die die Fundamentalisten nach wie vor hoch halten."
Ramadan selbst sieht sich als Reformer. Der Islam stecke weltweit in einer Krise, aus der die Muslime nur aus eigener (Geistes-)Kraft herausfinden könnten. Seine Bücher, seine Vorträge und Reden richten sich vornehmlich an ein muslimisches Publikum. Ganz bewusst sagt er.
"Ich möchte die Mentalität ändern. Ich muss mich mit den Muslimen auseinandersetzen. Nehmen wir die Texte – stimmt das, was sie sagen? Ich stelle den Gelehrten drei Fragen: Was sagen die Texte, was waren die Umstände, was war der Zusammenhang? "
Tariq Ramadan ist in Genf aufgewachsen. Wenn er von "radikaler Reform" spricht, dann ist er sich der unzulänglichen sozialen und politischen Zustände in vielen islamischen Ländern bewusst. Er will einen mit demokratischen Grundsätzen und internationalen Menschenrechten vereinbaren europäischen Islam. Aufgrund seines unbestritten großen Einflusses ist es daher nicht unerheblich, wenn er in seiner Mohammad-Biografie Khadija, die erste Gemahlin des Propheten, als eine
tatkräftige, selbstbewusste und unabhängige Frau schildert; wenn er darauf hinweist, dass der Prophet Apostaten nicht hat töten oder bestrafen lassen; wenn er schildert, welches Verhältnis Muhammad zu Juden und Christen pflegte.
Wer sich eine von historischen Daten und Fakten getragene Prophetenbiografie wünscht, um den Islam besser in seiner geschichtlichen Dimension verstehen zu können, der ist bei Tariq Ramadan nicht gut aufgehoben. Ramadans Buch gewährt hingegen einen hochinteressanten Blick auf den Propheten des Islams aus der Sicht eines gleichermaßen wichtigen wie auch umstrittenen muslimischen Gelehrten unsrer Zeit. Und es kann aufgrund der jeder Zeile innewohnenden Verehrung Mohammads dazu beitragen, die tiefe Ehrfurcht vieler Muslime gegenüber ihrem Propheten besser zu verstehen.
Reinhard Baumgarten war das über Tariq Ramadan: Muhammad – Auf den Spuren des Propheten. Erschienen bei Diederichs, 283 Seiten kosten 21,95 Euro.