
Etwas merkwürdig war es schon, dass die Internationalen Gluck Opern-Festspiele in diesem Jahr ausgerechnet mit einer Gala eröffnet wurden, bei der Gluck nicht auf dem Programm stand. Stattdessen waren u.a. Orchesterstücke und Arien aus Bizets Oper "Carmen" zu hören. Als rotgewandete femme fatale brillierte Elina Garanca zusammen mit dem Philharmonischen Orchester Brünn und überzeugte auch in anderen Partien, beispielsweise in Tschaikowskys "Jungfrau von Orleans. Hohe, umjubelte Gesangeskunst der Mezzosopranistin, keine Frage. Doch was, bitteschön, hat das alles mit Gluck zu tun? Erklärungsversuche des künstlerischen Direktors, Christian Baier.
Elina Garanca als femme fatale
"Es ist eine Sängerin, ein Sängertypus, den Gluck sich gewünscht hat für seine Opern. Die Authentizität, mit der sie uns erleben lässt, dass Musik noch immer etwas ist, das in unserer gecoolten Zeit eine Saite in uns zu schwingen bringt. Das ist Elina Garanca und deshalb steht sie am Anfang dieser Gluck-Festspiele."
Auf dem Programm der Gluck-Tage sind in diesem Jahr mehrere deutsche Erstaufführungen vorgesehen. Den Anfang machte am Montag "Iphigénie en Tauride". Die "Tragédie lyrique" in vier Akten nach dem Libretto von Alphonse du Congé Dubreuil hat Niccolò Piccinni vertont, der Gegenspieler von Christoph Willibald Gluck beim sogenannten Pariser "Opernstreit".
Musik 1: Niccolò Piccinni, Iphigénie en Tauride
"Piccinni ist ein typischer Neapolitaner, was die Gesangskunst betrifft, wesentlich kunstvoller, wesentlich ausgezierter und artifizieller als die Tonsprache von Gluck. Auf der anderen Seite beruht sie teilweise noch auf den Formprinzipien der Opera seria, also der Oper vor Christoph Willibald Gluck. Das Tolle an dieser Partitur allerdings ist, dass Piccinni die Gratwanderung zwischen italienischer Oper und französischer Diktion wählt und dadurch in einen Bereich vorstößt, den wir heute als psychologisch bezeichnen würden."
Iphigenie von Piccinni
Die Handlung kreist um den aus der Antike bekannten Iphigenie-Stoff. Die Tochter des griechischen Heerführers Agamemnon soll, um das Kriegsglück gegen Troja zu fördern, den himmlischen Mächten geopfert werden, wird aber von der Göttin Diana gerettet und nach Tauris versetzt, der heutigen Krim. Dort herrscht König Thoas. Ihm verleiht der aus Rennes stammende Jean-Vincent Blot mit seinem mächtigen Organ eine ausdrucksstarke, keinen Widerspruch duldende Stimme. Von der Hohepriesterin Iphigenie verlangt er, jeden Fremden, der die Insel betritt, zu töten. Doch Iphigenie widersetzt sich.
Musik 2: Niccolò Piccinni, Iphigénie en Tauride
"Es ist ein Thema, in dem eine Frau sagt: Ich entstamme einem Geschlecht, in dem es von Generation zu Generation Blutschuld gegeben hat. Und jetzt wird von mir verlangt, dass ich diese Tradition fortsetze. Und Iphigenie sagt: Ich setze diese Tradition nicht fort. Ich sage Nein dazu."
Nein zu islamistischem Terror
Nein sagten auch die Veranstalter zum islamistischen Terroranschlag von Nizza. Deshalb setzten sie an diesem Abend ein unmissverständliches Zeichen, das sonst bei Festspielen dieser Art eher selten ist. Für den Intendanten Axel Baisch bestand kein Zweifel, ...
"... dass wenn wir jetzt in Nürnberg, die ja Partner-Stadt von Nizza ist, eine der großen französischen Opern, nämlich Iphigénie en Tauride zeigen mit französischer Besetzung, in französischer Sprache, im Beisein des französischen Honorarkonsuls, dass wir das dann den Opfern und den Angehörigen widmen."
Eine Hommage, die auch beim Dirigenten Wolfgang Katschner auf Resonanz stieß. Nicht nur wegen der aktuellen Ereignisse in Nizza, auch musikalisch war die deutsche Erstaufführung für den Dirigenten etwas ganz Besonderes.
"Bei Piccinni sieht man in der Partitur und hört man dann auch, dass er versucht, die Musik dramatisch zuzuspitzen, zu schärfen. Es gibt viele Tempounterschiede. Es wird sehr viel mit Lautstärke gespielt, also mit dynamischen Kontrasten von laut und leise. Es ist manchmal sehr schroff, manchmal sehr weich. Und insgesamt – und da sind sich, glaube ich, Piccinni und Gluck eher ähnlich – sieht man ganz genau, dass versucht wird, eine Geschichte an der Geschichte entlang mit Musik zu erzählen und dabei andere Mittel zu finden, als es in der Barockoper üblich war üblich war. Es gibt keine Secco-Rezitative, sondern einen einzigen Musikfluss, der die Geschichte erzählt."
Musik 3: Niccolò Piccinni, Iphigénie en Tauride
Auf der Flucht vor Rachegöttinnen
Zunächst überrascht die Schärfe, mit der Claudia Sorokina die Partie der Iphigenie singt: kein süß-einschmeichelnder Schmelz, sondern ein eher distanziert-schroff wirkender Vortrag. Zunehmend aber ist der Hörer von der Ausdruckskraft und Intensität ihrer Stimme gefesselt. Kongenial entspricht sie der Dramatik des Geschehens, etwa wenn Iphigenie ihren Bruder Orest töten soll, den es mit seinem Freund Pylades an die Gestade von Tauris verschlagen hat: auf der Flucht vor den Rachegöttinnen. Zu guter Letzt werden aber nicht die Fremden hingerichtet, sondern der Despot Thoas wird ermordet.
Musik 4: Niccolò Piccinni, Iphigénie en Tauride
Ein aufwühlender, intensiver Opernabend, der unter die Haut ging mit durchwegs grandiosen Leistungen der Sänger, des Berliner Vocalconsort und der Camerata Salzburg, ein musikalischer Auftakt, der dem diesjährigen Motto "Zeitkultur/Streitkultur" auf ungewöhnliche Weise gerecht wurde und der neugierig auf die anderen Aufführungen und Veranstaltungen der diesjährigen Gluck Opern-Festspiele macht.