Im wahren Musikerleben scheint die Long-Distance-Variante auch gut zu funktionieren. Bestes Beispiel: das Trio Jean Paul, dessen Dreierbeziehung sich seit Langem abspielt zwischen Zürich, Berlin und Hannover. Und das mit Erfolg! 20 Jahre Trio Jean Paul wurden 2011 gefeiert. Mit dem Jubiläum im Rücken stellten sich die drei Musiker denn auch einer ganz besonderen Herausforderung. Sie haben die Klaviertrios von Franz Schubert eingespielt – zum ersten Mal in ihrer Triogeschichte. Denn, so verraten sie im Interview mit dem Magazin "Fono Forum", sie mussten erst viel Erfahrung im Umgang mit Schubert sammeln.
Sammeln und Warten haben sich gelohnt – das beweist die neue Doppel-CD, die letzte Woche bei CAvi music erschienen ist.
Allegro moderato aus D 929
CD II
Track 4
3'39
Franz Schubert, der Meister des Lichtwechsels. Was gerade noch hell und freundlich schien, ist plötzlich fahl und düster. Wie der Himmel über Wien an einem stürmischen Herbsttag: Wolken türmen sich auf, sind aber im Nu wieder verschwunden, der Himmel reißt auf, doch dann kommt das Donnergrollen, ganz unerwartet, aus der anderen Richtung. Wer sich nur dem Schwelgen oder nur dem Wüten hingeben möchte, ist mit Schuberts Klaviertrios falsch beraten. Das einzig Beständige bei ihnen ist die Veränderung: vom Zarten zum Derben, von Dur nach Moll, von Forte zu Piano, von getupften Klängen zu krachenden Akkorden.
Wie aber findet man den "Schubertton", wenn sich ein Extrem ans andere reiht? Ihn zu treffen, so schreiben es die Jean-Paul-Musiker im Beiheft zu ihrer neuen Doppel-CD, sei schließlich stetes Ziel der Interpretation. Die Drei tun das einzig Richtige: Sie bewahren einen kühlen Kopf, gestalten die Musik mit Klarheit und Bestimmtheit. Zum kühlen Kopf gesellt sich zwar auch das pochende Herz, aber ohne romantisierende Gefühlsduselei.
Die Schuberteinspielung des Trio Jean Paul hebt sich ab von anderen Schubertaufnahmen der letzten Jahre, in denen oft zu viel des Guten geboten wurde und schnell aus Zartheit Schwülstigkeit, aus Kraft Rohheit wurde. Dagegen legen sich der Pianist Eckart Heiligers, der Geiger Ulf Schneider und der Cellist Martin Löhr vom Trio Jean Paul nicht zu weit in die Kurve. Sie halten sich zurück mit rasendem Tempo, waberndem Vibrato und übertriebener Agogik. Weniger ist mehr. Damit hat das Trio Jean Paul so recht und liefert dennoch alles andere als eine blutarme Interpretation.
Scherzo aus D 898
CD I
Track 4
2'09
Seine Zeit wurde knapp, das muss Franz Schubert gespürt haben, seine Lebenskräfte begannen zu schwinden. Und so verausgabte er sich regelrecht in seinen letzten Lebensjahren und nahm sogar Gattungen in Angriff, um die er bislang einen Bogen gemacht hatte – etwa das Klaviertrio. Nicht ganz, um genau zu sein: Denn ein jugendlicher Triosatz für Klavier, Violine und Violoncello von Schubert ist erhalten. Elf Minuten solide Kompositionsarbeit eines 15jährigen, geschrieben in seiner Zeit im Wiener Stadtkonvikt, wo er von Antonio Salieri unterrichtet wurde. Ein konventionelles Stück Musik, das aber schon erahnen lässt, wohin die Reise gehen wird – allein schon in zeitlicher Hinsicht, denn ein einzelner Kammermusiksatz von elf Minuten Länge? Ein gewaltiges Ausmaß. Und auch als sich Franz Schubert 15 Jahre später, 1827 also, in Beethovens Sterbejahr, dem Klaviertrio zuwendet, da beschränkt er sich ebenfalls nicht auf konventionelle Dimensionen. Für seinen unbändigen Einfallsreichtum braucht er Raum und somit Zeit. Die beiden Klaviertrios, das eine in B-, das andere in Es-Dur, sie sprengen den Rahmen des damals Üblichen. Und das bedeutet heute, dass sie nicht zusammen auf eine CD passen. Mit allen Wiederholungen bringt es das Trio Jean Paul auf knapp 44 beziehungsweise gut 55 Minuten. Und wenn schon eine Doppel-CD, dann versteht es sich quasi von selbst, das gesamte Klaviertrio-Schaffen von Schubert einzuspielen – mit besagtem Satz aus Schülerzeiten und dem mit "Notturno" titulierten Adagio, das ebenfalls 1827 entstanden ist. Ein ungewöhnlicher Satz: geradezu meditativ mit seinem sanften Pendeln zwischen Anspannung und Entspannung. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte ihn Schubert als langsamen Satz eines Trios vorgesehen, diesen Plan aber offensichtlich wieder verworfen. Ungewöhnlich ist der Satz nicht nur, weil er mehr um sich kreist, als sich weiterzuentwickeln, sondern auch, weil Geige und Cello einen ungewöhnlichen Bund miteinander eingehen. Die beiden parallel geführt auf der einen Seite und auf der anderen das eigenständige Klavier.
"Notturno" D897
CD II
Track 5
3'05
Ein einzelner Satz, der ein Torso bleiben sollte. Auch wenn der Verleger Diabelli ihm den verkaufsfördernden Namen "Notturno" gab, wurde dieses Adagio kein großer Erfolg. An den war aber Schubert ohnehin nicht gewöhnt, hatte er sich doch für einen schweren Weg entschieden: Weder Staat noch Adel sollten ihn aushalten, er wollte ein unabhängiger Komponist sein. Der Preis dafür allerdings war hoch: Nur enge Freunde und ein erlauchter Kennerkreis wussten seine Werke zu schätzen, nur wenige wurden zu Schuberts Lebzeiten aufgeführt und noch weniger verlegt. Eine der Ausnahmen: das Es-Dur-Klaviertrio, op. 100, später von Otto Erich Deutsch mit der Verzeichnisnummer 929 versehen. Gleich zwei Mal durfte Schubert erleben, wie es vor Publikum gespielt und – so seine eigene Beobachtung - mit "außerordentlichem Beyfall" bedacht wurde. Eine seltene Sternstunde für Schubert, der das Trio trotzig überschrieben hatte mit den Worten "Dedicirt wird dieses Werk Niemandem außer jenen, die Gefallen daran finden."
Ein solcher war Robert Schumann. Er äußerte sich 1836 begeistert über beide Klaviertrios und kam zu dem Schluss "Die Zeit, so zahllos und Schönes sie gebiert, einen Schubert bringt sie so bald nicht wieder!"
Während andere Schuberts Instrumentalmusik noch für unspielbar hielten und – wenn überhaupt – dessen gewaltigem Liedschaffen Beachtung schenkten, hatte Schumann die Größe Schuberts auch in dessen Kammermusik längst erkannt. Liedhaftes steckt übrigens auch darin: Schubert zitiert in seinen beiden Klaviertrios mehrere eigene Lieder. Und auch sonst prägt das Sangliche, die schlichten und darum bezaubernden Melodien, das musikalische Geschehen – zum Beispiel ein schwedisches Volkslied den langsamen Satz im Es-Dur-Trio.
Andante con moto aus D 929
CD II
Track 2
3'05
Cello, Klavier und Geige teilen sich die Führungsrolle. Jeder steht mal im Mittelpunkt, jeder tritt aber auch mal in den Hintergrund. Instrumentale Gleichberechtigung war in dieser Form ein Novum. Und das Trio Jean Paul wird ihr gerecht: Wohlbalanciert ist das Spiel von Eckart Heiligers, Ulf Schneider und Martin Löhr, technisch ohnehin brillant, und bei aller Reduzierung der Mittel so ausdrucksstark, dass es einem ein wenig den Atem nimmt.
Das Trio Jean Paul spielt die Klaviertrios von Franz Schubert: das in B- und das in Es-Dur sowie die beiden Einzelsätze. Diese neue Platte ist eine Co-Produktion des WDR mit dem Kölner CD-Label CAvi music und seit einer guten Woche im CD-Handel erhältlich.
Trio Jean Paul:
Eckart Heiligers, Klavier
Ulf Schneider, Violine
Martin Löhr, Violoncello
CAvi music 8553236, LC 15080
EAN 4260085532360
Sammeln und Warten haben sich gelohnt – das beweist die neue Doppel-CD, die letzte Woche bei CAvi music erschienen ist.
Allegro moderato aus D 929
CD II
Track 4
3'39
Franz Schubert, der Meister des Lichtwechsels. Was gerade noch hell und freundlich schien, ist plötzlich fahl und düster. Wie der Himmel über Wien an einem stürmischen Herbsttag: Wolken türmen sich auf, sind aber im Nu wieder verschwunden, der Himmel reißt auf, doch dann kommt das Donnergrollen, ganz unerwartet, aus der anderen Richtung. Wer sich nur dem Schwelgen oder nur dem Wüten hingeben möchte, ist mit Schuberts Klaviertrios falsch beraten. Das einzig Beständige bei ihnen ist die Veränderung: vom Zarten zum Derben, von Dur nach Moll, von Forte zu Piano, von getupften Klängen zu krachenden Akkorden.
Wie aber findet man den "Schubertton", wenn sich ein Extrem ans andere reiht? Ihn zu treffen, so schreiben es die Jean-Paul-Musiker im Beiheft zu ihrer neuen Doppel-CD, sei schließlich stetes Ziel der Interpretation. Die Drei tun das einzig Richtige: Sie bewahren einen kühlen Kopf, gestalten die Musik mit Klarheit und Bestimmtheit. Zum kühlen Kopf gesellt sich zwar auch das pochende Herz, aber ohne romantisierende Gefühlsduselei.
Die Schuberteinspielung des Trio Jean Paul hebt sich ab von anderen Schubertaufnahmen der letzten Jahre, in denen oft zu viel des Guten geboten wurde und schnell aus Zartheit Schwülstigkeit, aus Kraft Rohheit wurde. Dagegen legen sich der Pianist Eckart Heiligers, der Geiger Ulf Schneider und der Cellist Martin Löhr vom Trio Jean Paul nicht zu weit in die Kurve. Sie halten sich zurück mit rasendem Tempo, waberndem Vibrato und übertriebener Agogik. Weniger ist mehr. Damit hat das Trio Jean Paul so recht und liefert dennoch alles andere als eine blutarme Interpretation.
Scherzo aus D 898
CD I
Track 4
2'09
Seine Zeit wurde knapp, das muss Franz Schubert gespürt haben, seine Lebenskräfte begannen zu schwinden. Und so verausgabte er sich regelrecht in seinen letzten Lebensjahren und nahm sogar Gattungen in Angriff, um die er bislang einen Bogen gemacht hatte – etwa das Klaviertrio. Nicht ganz, um genau zu sein: Denn ein jugendlicher Triosatz für Klavier, Violine und Violoncello von Schubert ist erhalten. Elf Minuten solide Kompositionsarbeit eines 15jährigen, geschrieben in seiner Zeit im Wiener Stadtkonvikt, wo er von Antonio Salieri unterrichtet wurde. Ein konventionelles Stück Musik, das aber schon erahnen lässt, wohin die Reise gehen wird – allein schon in zeitlicher Hinsicht, denn ein einzelner Kammermusiksatz von elf Minuten Länge? Ein gewaltiges Ausmaß. Und auch als sich Franz Schubert 15 Jahre später, 1827 also, in Beethovens Sterbejahr, dem Klaviertrio zuwendet, da beschränkt er sich ebenfalls nicht auf konventionelle Dimensionen. Für seinen unbändigen Einfallsreichtum braucht er Raum und somit Zeit. Die beiden Klaviertrios, das eine in B-, das andere in Es-Dur, sie sprengen den Rahmen des damals Üblichen. Und das bedeutet heute, dass sie nicht zusammen auf eine CD passen. Mit allen Wiederholungen bringt es das Trio Jean Paul auf knapp 44 beziehungsweise gut 55 Minuten. Und wenn schon eine Doppel-CD, dann versteht es sich quasi von selbst, das gesamte Klaviertrio-Schaffen von Schubert einzuspielen – mit besagtem Satz aus Schülerzeiten und dem mit "Notturno" titulierten Adagio, das ebenfalls 1827 entstanden ist. Ein ungewöhnlicher Satz: geradezu meditativ mit seinem sanften Pendeln zwischen Anspannung und Entspannung. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte ihn Schubert als langsamen Satz eines Trios vorgesehen, diesen Plan aber offensichtlich wieder verworfen. Ungewöhnlich ist der Satz nicht nur, weil er mehr um sich kreist, als sich weiterzuentwickeln, sondern auch, weil Geige und Cello einen ungewöhnlichen Bund miteinander eingehen. Die beiden parallel geführt auf der einen Seite und auf der anderen das eigenständige Klavier.
"Notturno" D897
CD II
Track 5
3'05
Ein einzelner Satz, der ein Torso bleiben sollte. Auch wenn der Verleger Diabelli ihm den verkaufsfördernden Namen "Notturno" gab, wurde dieses Adagio kein großer Erfolg. An den war aber Schubert ohnehin nicht gewöhnt, hatte er sich doch für einen schweren Weg entschieden: Weder Staat noch Adel sollten ihn aushalten, er wollte ein unabhängiger Komponist sein. Der Preis dafür allerdings war hoch: Nur enge Freunde und ein erlauchter Kennerkreis wussten seine Werke zu schätzen, nur wenige wurden zu Schuberts Lebzeiten aufgeführt und noch weniger verlegt. Eine der Ausnahmen: das Es-Dur-Klaviertrio, op. 100, später von Otto Erich Deutsch mit der Verzeichnisnummer 929 versehen. Gleich zwei Mal durfte Schubert erleben, wie es vor Publikum gespielt und – so seine eigene Beobachtung - mit "außerordentlichem Beyfall" bedacht wurde. Eine seltene Sternstunde für Schubert, der das Trio trotzig überschrieben hatte mit den Worten "Dedicirt wird dieses Werk Niemandem außer jenen, die Gefallen daran finden."
Ein solcher war Robert Schumann. Er äußerte sich 1836 begeistert über beide Klaviertrios und kam zu dem Schluss "Die Zeit, so zahllos und Schönes sie gebiert, einen Schubert bringt sie so bald nicht wieder!"
Während andere Schuberts Instrumentalmusik noch für unspielbar hielten und – wenn überhaupt – dessen gewaltigem Liedschaffen Beachtung schenkten, hatte Schumann die Größe Schuberts auch in dessen Kammermusik längst erkannt. Liedhaftes steckt übrigens auch darin: Schubert zitiert in seinen beiden Klaviertrios mehrere eigene Lieder. Und auch sonst prägt das Sangliche, die schlichten und darum bezaubernden Melodien, das musikalische Geschehen – zum Beispiel ein schwedisches Volkslied den langsamen Satz im Es-Dur-Trio.
Andante con moto aus D 929
CD II
Track 2
3'05
Cello, Klavier und Geige teilen sich die Führungsrolle. Jeder steht mal im Mittelpunkt, jeder tritt aber auch mal in den Hintergrund. Instrumentale Gleichberechtigung war in dieser Form ein Novum. Und das Trio Jean Paul wird ihr gerecht: Wohlbalanciert ist das Spiel von Eckart Heiligers, Ulf Schneider und Martin Löhr, technisch ohnehin brillant, und bei aller Reduzierung der Mittel so ausdrucksstark, dass es einem ein wenig den Atem nimmt.
Das Trio Jean Paul spielt die Klaviertrios von Franz Schubert: das in B- und das in Es-Dur sowie die beiden Einzelsätze. Diese neue Platte ist eine Co-Produktion des WDR mit dem Kölner CD-Label CAvi music und seit einer guten Woche im CD-Handel erhältlich.
Trio Jean Paul:
Eckart Heiligers, Klavier
Ulf Schneider, Violine
Martin Löhr, Violoncello
CAvi music 8553236, LC 15080
EAN 4260085532360