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Glück: Was auf Dauer mit Tradition begründet wird, hat keinen Bestand

Im Interview der Woche spricht der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück, über die Gleichberechtigung in Ämtern der katholischen Kirche, den Umgang mit dem Thema Homosexualität und schaut auf die ersten 100 Tage von Papst Franziskus im Amt.

Alois Glück im Gespräch mit Matthias Gierth | 23.06.2013
    Matthias Gierth: Herr Glück, vor 100 Tagen ist Jorge Mario Bergoglio zum Papst gewählt worden. Welches waren für Sie die herausragenden Momente dieser ersten Zeit?

    Alois Glück: Wie sehr dieser Papst auf die Menschen wirkt, was es für eine Botschaft ist und wie die Menschen darauf reagieren in so einer großen Zahl – auf die Zuwendung dieses Papstes zu den Menschen. Es sind vor allem seine Gesten, so wie sie sie erleben in diesem Amt – so menschennah, so wirklichkeitsnah. Und das gibt vielen Menschen Hoffnung. Er setzt Kräfte frei in unserer Kirche, die auch genau in diesem Sinne sich angesprochen fühlen und auch pastoral und Seelsorge und Glaube verstehen. Auf der anderen Seite will ich gleich hinzufügen: Es hat in sich natürlich auch die Gefahr einer Übererwartung, dass dieser Papst alles richtet. Aber ich finde, es ist geradezu phänomenal. Das geht an bei dem, was ich in Gesprächen erlebe von Menschen, ja, die sich mehr oder minder oft schon enttäuscht abgewandt haben und es geht bis zu diesem unglaublichen Zuspruch beim Angelus auf dem Petersplatz, der regelmäßig jetzt zu klein ist.

    Gierth: Aber wie ist das zu erklären, dass er zu einem solchen Hoffnungsträger in der katholischen Kirche in so kurzer Zeit geworden ist – mithilfe einiger Gesten der Bescheidenheit.

    Glück: Wobei natürlich die Menschen spüren: Diese Gesten sind eben nicht nur Gesten, sondern es ist sein Wesen, es ist sein Glaube, es ist seine Theologie. Nun ja, und letztlich ist es wohl eine starke Reaktion, weil viele Menschen Kirche anders erlebt haben. Und jetzt kommt da jemand, der so ganz anders erlebt wird: Der Papst, der Seelsorger ist von seinem Verständnis und von seiner Art her.

    Gierth: Das heißt aber doch auch, dass es im Pontifikat von Benedikt XVI. offensichtlich an etwas gemangelt hat, wenn die Sympathien jetzt in einem neuen Pontifikat dem Nachfolger Petri so entgegen eilen.

    Glück: Es ist einfach eine andere Ausprägung, und jeder Papst hat seine eigene Prägung. Johannes Paul II. war der charismatische Mensch für das Volk. Es war eine durchaus wichtige Phase unserer Kirche, gerade im Zeitalter der beginnenden Globalisierung. Benedikt war dann mehr der Theologe. Der jetzige Papst ist mehr der Seelsorger. Und Benedikt mit seinen intellektuellen Fähigkeiten, der Qualität seiner geistlichen und geistigen Argumentation ist zum Beispiel in all diesen Fragen wie Glaube und Vernunft, die weit über die Kirche hinaus in der intellektuellen Welt ernst genommen wurden. Ein durchaus wichtiger Aspekt. Aber gleichzeitig erleben wir jetzt, dass natürlich die große Zahl der Menschen genau dieses sucht: die Zuwendung der Kirche zu den Menschen. Und das wertet nicht das, was vorher war, ab. Aber es ist auch offensichtlich ganz wichtig, dass jetzt eine andere Prägung da ist.

    Gierth: Auffällig ist ja trotzdem, dass vielerorts jetzt von einer Kontinuität die Rede ist, obwohl die beiden Päpste doch so deutlich sichtbar sich unterscheiden. Ist das der Versuch traditionalistischer Kreise, den Bruch, der sich in Rom gerade offensichtlich vollzieht, zu negieren?

    Glück: Ich glaube, das muss die weitere Entwicklung zeigen. Ja, es gibt gegenwärtig manchmal fast auffallende Anstrengungen gewissermaßen, Franziskus unbedingt in die volle Tradition von Benedikt zu stellen. Ich finde es falsch, es gegeneinanderzustellen. Aber ob es nun wirklich eine solche Kontinuität ist – die Menschen empfinden es jedenfalls insoweit anders. Nun wird, denke ich, die weitere Entwicklung ganz wichtig sein, vielleicht auch das nächste halbe Jahr.

    Die Frage: Kann der Papst den Zentralismus und das Denken in der Kurie wirklich verändern? Die Hoffnung, die sich mit ihm verbindet innerhalb derer, die im kirchlichen Leben Verantwortung tragen, ist ja, dass der römische Zentralismus in der Weise nicht fortgeschrieben wird. Der ja zum Teil bis in Bevormundungen ins Detail geht von Liedtexten und ähnlichen Dingen mehr. Dafür steht wohl dieser Papst. Aber das muss sich natürlich jetzt – ich sage mal, mindestens innerhalb des nächsten Jahres – auch konkreter zeigen, weil sonst ist die Gefahr groß, dass nach einer zum Teil übersteigerten Erwartung anschließend eine Welle der Enttäuschung kommt.

    Gierth: Das heißt, Sie wären enttäuscht, wenn es nur bei Zeichen und Gesten bliebe und es nicht auch tatsächlich zu Veränderungen in Rom käme?

    Glück: Ja natürlich, das wäre dann zu wenig, wenn dann quasi im Alltag der Zentralismus und die Macht des Apparats das kirchliche Leben weiter so prägen würde. Und das wird natürlich auch in Rom nicht ohne Auseinandersetzungen gehen, das ist eine Herkules-Arbeit. Interessant ist ja, dass in dem Gesprächsprotokoll, das kürzlich veröffentlicht wurde, er selbst ganz offen sagt: Ich selbst bin nicht der Geeignete für eine Reform, weil ich bin eher schlecht organisiert. Aber er beruft acht Kardinäle, die dies zu leisten haben.

    Gierth: Aber ist es nicht gerade ein Problem – Sie sprechen dieses Protokoll an, das bekannt geworden ist nach einer Audienz. Der Vatikan hat diesem Protokoll nicht widersprochen, insofern kann man gute Gründe dafür anführen, dass dort tatsächlich berichtet wird, was besprochen wurde. Ein Papst, der bekennt, dass er seine Stärken nicht darin sieht, einen Verwaltungsapparat zu reformieren, obwohl er gerade gewählt worden ist auch im Blick auf die Reform dieses Verwaltungsapparates. Droht da nicht doch die Kurienreform, die alle Seiten seit Langem erhoffen, zu scheitern?

    Glück: Ich denke, das muss der Papst nicht selbst machen, aber das wird ganz wesentlich einmal verbunden sein mit Personalentscheidungen, die anstehen. Ganz konkret beispielsweise: Wer wird berufen als Kardinal-Staatssekretär? Und da braucht es natürlich Persönlichkeiten, die seine innere Linie, seine Theologie – einer Kirche, die nicht narzisstisch um sich selbst kreist –, wie er es selbst formuliert hat, innerlich bejahen, vertreten, aber gleichzeitig natürlich auch die organisatorischen Qualitäten haben und auch die notwendige Konsequenz in Führungsstärke und Durchsetzungsvermögen, um die Dinge zu verändern.

    Gierth: Den gegenwärtigen Präfekten der Glaubenskongregation, Erzbischof Ludwig Müller, hat Benedikt berufen. Er hat gerade in einem Zeitungsartikel die Unmöglichkeit unterstrichen, wiederverheiratet Geschiedene zu den Sakramenten zuzulassen. Der Papst hat dagegen sehr häufig von Barmherzigkeit in letzter Zeit gesprochen. Das passt so gar nicht zu Müllers harter Linie. Setzt sich hier der Vatikan-Apparat vom Papst ab?

    Glück: Ich glaube, dass das gegenwärtig auch in Rom ein Findungsprozess ist. An solchen Fragen wird sich natürlich die weitere Entwicklung festmachen, dabei geht’s ja nicht darum, Dogmatisches infrage zu stellen in allen Bereichen. Aber der Papst selbst spricht und handelt aus einem anderen Blickwinkel, nämlich vom Menschen her. Er handelt nicht nach dem Motto, zuerst Prinzipien zu Ende zu denken, um dann zu sagen, was ist möglich – oder wie wollen wir es haben. In diesem Gesprächsprotokoll der südamerikanischen Ordensvertreter ist ja eine Passage, die sinngemäß sagt: Und Ihr werdet möglicherweise Briefe bekommen von der Glaubenskongregation, aber lasst Euch nicht beirren. Das ist natürlich ein starkes Wort, selbst wenn es in der Gesprächsform geschehen ist. Das wird man schon irgendwann auf einen Nenner bringen müssen, weil sonst die Dinge nicht funktionieren und ein Dualismus entsteht. Aber es zeigt, wie er denkt.

    Und es ist auch hier in Deutschland eine ganz wichtige Frage. Eine Kommission der Bischofskonferenz arbeitet auch daran, wie das Thema "Situation Geschiedene/ Wiederverheiratete" in unserer Kirche künftig anders gestaltet werden kann. Es geht ja bei niemand, der ernsthaft in unserer Kirche darüber berät darum, die Unauflösbarkeit der Ehe aufzuheben, aber es geht darum: Gibt’s Wege, wie meinetwegen in der orthodoxen Kirche oder andere Wege?

    Gierth: Das heißt, eine solche Positionierung wie jene der Glaubenskongregation gerade, entmutigt Sie nicht? Denn es ist ja immerhin das Dikasterium, das für die Glaubenslehre verantwortlich ist.

    Glück: Nein, erstens braucht man in der Kirche einen langen Atem, was natürlich nicht immer tröstlich ist, weil wir in der Zeit Problemlösungen brauchen. Aber darüber hinaus, ich sehe die Situation so, dass hier ein Ringen im Gang ist. Nun muss man aber auch hinzufügen, der ganze Weg der Kirche durch die Zeit ist immer wieder ein Ringen gewesen, auch um viele Konflikte, manchmal ja in brutaler Weise wie da mit sogenannten Ketzern umgegangen wurde.
    Es wird auch in dieser Zeit das Ringen um den besten Weg immer ein Ringen sein. Und deswegen sollten wir uns da nicht sofort immer entmutigen lassen und gerade bei diesem Papst nicht, der eben aus dem Leben heraus, und weil er die Kirche bei den Armen sieht, bei den Menschern, nicht in den Papieren gewissermaßen. Es geht darum, ihn dabei zu stärken.

    Gierth: Hat die katholische Kirche in Deutschland eigentlich schon wirklich realisiert, welcher epochale Wandel sich gegenwärtig in Rom vollzieht? Denn die Armen auch ins Zentrum zu stellen, wie Franziskus es fordert, ist für eine Kirche, in der die Kirchensteuereinnahmen enormst sprudeln wie zur Zeit, ja auch alles andere als einfach, oder?

    Glück: Der Aspekt, den Armen sich zuzuwenden, heißt nicht, man muss sich unbedingt selbst arm machen. Aber man muss sich darauf ausrichten, dass wir unseren Dienst in den Dienst der Menschen stellen. Und arm ist nicht nur materiell arm. Arm, dazu gehören alle die Menschen, die Zuwendung brauchen, weil sie meinetwegen irgendwo einsam sind, weil sie verzweifelt sind. Das ist eine breite Facette. Nur ich glaube, viel entscheidender – und das drückt sich auch in dieser Formulierung vom Papst aus: "den Armen zuwenden" – ist aus meiner Sicht, die Kirche kreist nicht um sich selbst und um ihren inneren Betrieb und um ihre glanzvolle Selbstdarstellung und um das Image der Kirche willen dies und jenes nicht, sondern, was müssen wir tun, um die Botschaft des Evangeliums, die Botschaft von Jesus den Menschen dieser Zeit verständlich zu machen.

    Also arm, das sehe ich in unseren modernen Gesellschaften anders, als wenn "nur" die Kategorie der materiell Armen, die natürlich in weiten Teilen der Bevölkerung in der Welt damit in einer Situation sind, wo sie ihre Menschenwürde überhaupt nicht entfalten können.

    Gierth: Innerhalb des deutschen Episkopats hat es während des Pontifikats von Benedikt XVI. ja eine sehr starke Polarisierung auch gegeben. Inwieweit glauben Sie, dass durch den Wechsel in Rom diese Polarisierung, die auch dadurch hervorgerufen war, dass bestimmte Bischöfe einen mehr oder minder sehr direkten Kontakt in den Vatikan gepflegt haben, inwieweit glauben Sie, dass diese Polarisierung jetzt zurückgeht? Beobachten Sie Veränderungen, die da eine Prognose schon möglich machen?

    Glück: Ja, ich beobachte, dass offener und freier geredet wird, auch von Bischöfen, dass diese Angst, von Rom sofort Sanktionen zu bekommen, zumindest ein Stück geringer geworden ist. Wie es sich im weiteren Prozess entwickelt, das muss sich zeigen. Aber es verändern sich wahrscheinlich schon damit auch Kräftefelder.

    Gierth: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk, heute mit dem Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück.
    Herr Glück, der Katholikentag im kommenden Jahr in Regensburg steht, der Stadt gemäß, im Zeichen von Brücken. Brücken braucht es, wo es Gräben gibt. Welche Gräben sehen Sie in der katholischen Kirche in Deutschland derzeit?

    Glück: Das Motto "Mit Christus Brücken bauen" gilt sowohl für den kirchlichen Bereich wie für den gesellschaftlichen Bereich. Und wir haben innerhalb unserer Gesellschaft Grenzenauseinanderentwicklung. Brücken bauen, wird auch heißen Brücken bauen in Europa, von Regensburg aus in den mittleren osteuropäischen Raum. Und es ist natürlich auch ein Aspekt für den innerkirchlichen Bezug. Die Katholikentage haben gerade in der Entwicklung der letzten Jahre ja eine wichtige integrierende Wirkung für die katholische Kirche in Deutschland, weil hier fast, sage ich jetzt, die ganze Bandbreite des katholischen Lebens hier ja einen gemeinsamen Ort hat, man voneinander lernt. Aber es ist ja auch natürlich nicht zu übersehen, dass beispielsweise bestimmte Ausprägungen in dem mehr konservativ beschriebenen Spektrum sich auf einem Katholikentag nicht vertreten fühlen und auch gar nicht wollen, dass sie da mit dabei sind. Und der Katholikentag soll die Brücken bauen, das heißt innerkirchlich auch in dem Sinn, dass man nicht vorher immer gleich ausgrenzt, auch wechselseitig, nur weil es oft vielleicht andere Frömmigkeitsformen sind oder dem anderen sofort die Rechtgläubigkeit abspricht, sondern dass man miteinander ins Gespräch kommt.

    Gierth: Zu den Gräben gehört sicher auch die Frage, inwieweit Frauen in der katholischen Kirche der Zugang zu den kirchlichen Ämtern eröffnet werden kann. Sie selbst haben immer wieder darauf hingewiesen, dass es in der Welt von heute begründungpflichtig ist, wenn in einer Organisation Frauen und Männer nicht gleichberechtigt in allen Diensten und Ämtern sind. Nun hat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Zollitsch, ein eigenes Diakoninnen-Amt ohne Weihe ins Spiel gebracht. Das hat aber sofort zu Interventionen von Zollitsch' Bischofskollegen in Rom geführt. Verteidigt wurde er öffentlich von keinem Amtsbruder. Wird darin nicht überdeutlich, dass ein patriarchal strukturierter Episkopat diese Gleichberechtigung theologisch letztlich ablehnt?

    Glück: Zunächst will ich feststellen: Selbstverständlich hat eine Religionsgemeinschaft oder auch eine andere Gemeinschaft und damit eben auch die katholische Kirche für ihren eigenen Lebensbereich das Recht, Dinge zu regeln in einer Weise, die nicht den allgemeinen Maßstäben der Demokratie und des Staates entsprechen, auch im Sinne der Gleichberechtigung, aber es wird dann begründungspflichtig. Das heißt, man muss es den Menschen von heute verständlich machen, warum es denn so ist und warum es nicht anders sein könnte. Und es geht bei dieser Thematik konkret um das Diakonat im Sinne eines Weiheamtes.
    Was Erzbischof Zollitsch vorgeschlagen hat, ist ja eine Anknüpfung an die Rede von Kardinal Kasper bei der Studientagung der Bischofskonferenz zum Thema Frauen eine neue Form von Diakonat zu entwickeln. Wir sehen positiv, dass das Thema Rolle der Frau in unserer Kirche schon einen neuen Stellenwert bekommen hat, dass die Bischofskonferenz einen ganzen Studientag zu dem Thema macht – und die Referentinnen, es waren ja überwiegend Frauen, die referiert haben – und man sehr ernsthaft sich damit auseinandergesetzt hat, man von einem Frauenförderplan spricht, in der Richtung, alles, was nicht Weiheamt ist, muss Frauen zugänglich werden, ist schon ein Riesenschritt gegenüber dem, was die Diskussionen vielleicht noch vor drei Jahren waren.
    Der Reibungspunkt ist jetzt die Frage Weiheamt. Der Erzbischof Zollitsch hat also ein Diakonat vorgeschlagen unterhalb der Schwelle des Weiheamtes. Da haben auch Bischöfe ihn sofort kritisiert und haben es gar nicht richtig registriert, die Presse zum Teil auch nicht, und haben gemeint, das ist dasselbe. Ja, das ist ein Punkt, da gibt es Meinungsverschiedenheit. Das ist allerdings auch etwas, was wir innerhalb der katholischen Kirche in Deutschland nicht regeln können. Das ist eine weltkirchliche Frage. Und insofern wird dieses Thema wie auch etwa das Thema Zölibat natürlich nach der weltkirchlichen Situation letztlich entschieden werden, wird ein Thema sein, das nicht einfach von der Tagesordnung genommen werden kann, weil man meint, es geht nicht. Ich füge aber hinzu, wir dürfen uns in dieser Frage "Die Aufgaben und die Rolle der Frau in unserer Kirche" nicht nur fixieren auf das Thema Diakonat der Frau als Weiheamt. Das wäre auch wieder eine Engführung.

    Gierth: Ein weiteres, derzeit sehr umstrittenes Thema ist der Umgang der katholischen Kirche mit homosexuellen Lebensformen. Halten Sie die Position "Gelebte Homosexualität ist Sünde", wie sie die katholische Moral vertritt, für vermittelbar?

    Glück: Natürlich ist es so im Weltkatechismus. Und ich denke, es ist nicht die richtige Interpretation. Es ist eine Art von Sexualität, die ja nicht in der Kategorie von Krankheit liegt. Ich nehme gerne eine Formulierung auf, die – ich weiß nicht mehr, wer – damals gebraucht hat, der gesagt hat, Gott liebt diese Menschen genau so wie Menschen, die anders veranlagt sind. Die Frage ist dann der verantwortliche Umgang mit Sexualität, so wie generell dies für die Menschen gilt. Das ist natürlich eine Thematik, die auch tief in die Kulturen hinein geht, wie wir das weltweit gegenwärtig in den Auseinandersetzungen spüren. Deswegen darf man mit der Thematik nicht so oberflächlich umgehen, wie das bei uns gegenwärtig auch in der politischen Debatte geschieht . . .

    Gierth: Stichwort Homoehe?

    Glück: Stichwort Homoehe. Ich stehe schon für die Position, wo Menschen verbindlich füreinander Verantwortung übernehmen, muss man das respektieren. Und in der Konsequenz wird das dann eben auch zum Beispiel im Steuerrecht Ausdruck finden. Für mich ist hier zum Beispiel ein entscheidender Punkt der Debatte, die uns bevorsteht, etwa der Anspruch auf ein allgemeines Adoptionsrecht. Und das ist mir zu vordergründig in der Debatte nach der Kategorie Modernität oder konservativ.
    Da gibt es viele Themen, die angesprochen werden müssen. Was bedeutet die Polarität der Geschlechter zum Beispiel für die Entwicklung von Kindern? Hier muss man das Kindeswohl in den Mittelpunkt stellen. Ein Problem ist, dass wir uns mit der kirchlichen Stimme in der Öffentlichkeit etwas schwer tun, wenn Homosexualität als solches in die Ecke geschoben wird und man sagt, das ist Sünde und das ist abartig oder sonst etwas.
    Ich glaube, wir sind dabei, das zu überwinden, auch mittlerweile in Wortbeiträgen auch von Repräsentanten der Hierarchie. Und ich füge auch hinzu, ich glaube, das ist eines der Themen, wo es eine innerkirchliche Realität gibt, siehe auch, was jetzt gerade der Papst zur Kurie beispielsweise gesagt hat, und dass hier zum Teil auch innerkirchlich unehrlich mit dem Thema umgegangen worden ist.

    Gierth: Weil eben die Praxis vieler Katholiken den moralischen Normen der Kirche nicht entspricht?

    Glück: Ja, nicht nur in diesem, sondern generell in der Frage Homosexualität und Umgang mit Homosexualität. Und für mich sind die größten Gefährdungen in unserer Kirche nicht Angriffe von außen, sondern innere Unwahrhaftigkeiten. Und das ist ein Thema, wo wir auch innerkirchlich zu viel Unwahrhaftigkeit haben.

    Gierth: Das Thema Sexualität hat auch in eine Debatte mit hineingespielt, die zur Jahreswende die katholische Kirche in Deutschland ziemlich beschäftigt hat, die Abweisung einer mutmaßlich vergewaltigten Frau an einer katholischen Kölner Klinik. Die Bischöfe haben daraufhin ihre Position zur Pille danach noch einmal neu bestimmt. Sie haben in diesem Zusammenhang auch eine neue aggressive Religionsfeindlichkeit beklagt. Worin besteht für Sie diese Religionsfeindlichkeit und welche Ursachen sehen Sie dafür?

    Glück: Zunächst muss man einmal feststellen, denke ich, dass Religion als Ganzes einen weit höheren Stellenwert hat in der Gesellschaft und bei den Menschen als vor zehn Jahren. Es ist dabei häufig sehr diffus, aber es ist eine Sehnsucht da nach Orientierung. Es ist manchmal auch eine Bequemlichkeit, sich aus verschiedenen Religionen etwas zusammenzusuchen. Und möglicherweise als Reaktion darauf gibt es Minderheiten, die in aggressiver Weise der Religion die öffentliche Existenz absprechen, die Religion am liebsten irgendwo in den privaten Winkel verdrängen wollten. Das ist nicht eine generelle religionsfeindliche Strömung, aber diese Aggressivität gibt es, und das nicht nur bei uns.

    Nun kommt hinzu, dass wir heute durch Ereignisse wie damals in dem Krankenhaus in Köln oder im Zusammenhang mit der ganz traurigen Thematik Missbrauch gelegentlich auch Anlass dafür geben oder Stoff, wo sich die Aggressivität auch ausleben kann. Ich denke, man muss es richtig einordnen. Also man darf jetzt nicht generell unterstellen, wir sind schon verfolgte Kirche oder so etwas. Worauf es in Zukunft sehr ankommen wird, ist, dass wir sprechfähig sind, dass wir gute Argumente haben. Natürlich hat auf Dauer nichts Bestand, wenn wir es nur begründen könnten mit dem Argument der Tradition, sondern wir müssen, wo es uns wichtig ist, wo Werte uns wichtig sind, müssen wir in der Lage sein zu vermitteln, dass letztlich unabhängig von Glaube und Zugehörigkeit zu einer Kirche es für die Menschen wichtig ist, meinetwegen den ganzen Themenkreis der Menschenwürde, die Würde des Menschen von Beginn bis zum Ende des Lebens und ähnliche Dinge.

    Die Begründung, weil es christliche Werte sind, werden in einer Welt, in der die Christen in eine Minderheitensituation kommen, auf Dauer nicht tragen. Aber wir haben etwas anzubieten, wo wir überzeugt sind, dass es für die Menschen gut ist und nicht speziell für die Christen oder gar nur für die Kirche. Wir müssen über die Dimension der Kirchenpolitik hinaus kommen. Und das heißt aber auch, wir haben hohe Anforderungen, weil viele Dinge nicht mehr einfach Selbstläufer sind. Wir haben hohe Anforderungen an die Qualität unserer Argumentation, unseres Denkens, die Qualität der Argumente und der Sprache, um das in der heutigen Zeit vermitteln zu können. Und an dem wird sich weitgehend entscheiden, inwieweit die weitere politische Entwicklung von uns mitgestaltet werden kann. Das größte Problem in dem Zusammenhang ist, dass immer weniger Menschen aus kirchlichen Gemeinschaften ins öffentliche Leben gehen. Denn es geht nicht über Papiere, die wir aus unserem Naturschutzpark an die da draußen in der Welt schicken oder so ähnlich. Und hier muss es auch wieder mehr Unterstützung und Ermutigung aus der Kirche, aus dem Amt heraus geben für die Bedingungen des politischen Handelns, zu dem auch Kompromiss gehört, weil ohne das gibt es – ja was denn? Einen Gottesstaat oder irgendeine Form von Diktatur.

    Gierth: Nun kommt ja gerade aus der Politik verstärkt die Anfrage an das bestehende Verhältnis von Staat und Kirche. Der Ruf ist nach einer strikteren Trennung dieser beiden Bereiche. Lehnen Sie eine solche striktere Trennung ab, oder könnte nicht auch eine Trennung zu einer neuen Rückbesinnung der Kirche auf ihre ureigenen Aufgaben darstellen und damit eine Chance?

    Glück: Ich glaube, dass wir insgesamt in Deutschland eine sehr gute Regelung haben der Selbständigkeit von Staat, der Trennung von Religion und Staat und eine Kooperation, die für beide Seiten sehr hilfreich ist. Es gibt der Kirche Wirkungsmöglichkeiten, wie sie sie sonst kaum irgendwo hat, im Bildungssystem, im Sozialsystem et Cetera.

    Auf der anderen Seite stellen sich schwierige Fragen: Wie bleibt man authentisch bei sinkenden Ressourcen? Aber es ist für die Gesellschaft auch unendlich wertvoll. Nur, wir werden es neu durchbuchstabieren müssen. Und deswegen die Frage der Situation und der Rolle im Staat-Kirchen-Verhältnis wird einmal wesentlich abhängen von der Rolle der Religion in der Gesellschaft und dass wir uns darüber bewusst sind, dass das, was historisch gewachsen ist, sich so nicht unreflektiert fortschreiben wird. Wir müssen uns jedenfalls in diese Debatte hineinbegeben und nicht primär, um Besitzstände zu verteidigen, sondern auch die Entwicklung wird sich entscheiden an der Plausibilität, dass es für das Ganze gut ist, wenn die Kirchen dies oder jenes tun oder es die Zusammenarbeit gibt oder nicht gibt.

    Gierth: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Glück.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.