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Glückliche Schweine - eher die Ausnahme

Der Tierschutz ist seit zehn Jahren im Grundgesetz als Staatsziel verankert. Dennoch leben die meisten Nutztiere unter beklagenswerten Bedingungen, da sind sich Tierschützer, Umweltverbände und viele Wissenschaftler einig.

Von Britta Fecke | 16.05.2012
    Mit hohem Tempo kommen die Sauen durch den Stall gerannt, es gibt Kartoffelschalen. Und während die Muttertiere ihre Zwischenmahlzeit verschlingen, tollen unzählige Ferkel durch das Stroh, sie spielen fangen, mit allen Tieren, die bei Theo Schürmann im Stall stehen.

    "Hier sind jetzt drei Sauen, die zusammen 27 Ferkel haben. Ja, hier können die Ferkel, also die Sauen auch, aber vor allem die Ferkel haben Spaß, wenn die durch den großen Bullenstall flitzen und auch schon mal an den Bullenschwänzen knabbern. Soziale Kontakte tun allen gut! (lacht)"

    Schweine sind intelligente und soziale Tiere, die in der Natur in Gruppen leben. Sie laufen, wühlen und spielen gern, und sie sind sehr neugierig. Die Schweinehaltung bei Biolandwirt Schürmann in Oer-Erkenschwick kommt ihren natürlichen Verhaltensweisen entgegen: Sie sind die glücklichen Schweine, von denen die Landwirtschaftsminister so gerne reden. Sie sind die Ausnahme! Denn obwohl der Tierschutz seit zehn Jahren im Grundgesetz als Staatsziel verankert ist, leben die meisten Nutztiere unter beklagenswerten Bedingungen, da sind sich Tierschützer, Umweltverbände und viele Wissenschaftler einig. Allein mehr als 90 Prozent der Schweine verbringen ihr kurzes Leben hier zu Land in engen, dunklen Ställen auf Spaltenböden. Besonders hart trifft es die Sauen in den industriellen Mastbetrieben. Sie werden in der Regel in körpergroße Käfige - sogenannte Kastenstände - gezwängt, in denen sie höchstens zwei Schritte vor oder zurückgehen können, eine Drehung um die eigene Achse ist in der Enge nicht möglich. Dr. Hermann Focke, Tierschützer und ehemaliger Veterinäramtsleiter:

    "Und das nicht nur während der Stillzeit, sondern auch über einen großen Zeitraum ihres Daseins - und gerade die Sauenhaltung - die Sauen sind die ärmsten Schweine, die überhaupt unter unseren Mitgeschöpfen dahin vegetieren!"

    In der EU-Richtlinie für Schweinehaltung wird die Käfighaltung der Sauen mit dem Schutz der Ferkel gerechtfertigt, die sonst möglicherweise von der Mutter zerdrückt würden. Auf Schürmanns Hof ist soviel Platz, dass sich alle Tiere ausweichen können, und so schnell, wie die Ferkel durch den Stall rennen, besteht eher die Gefahr, dass sie entwischen, als dass sie zerdrückt würden. Das Leben der Ferkel auf ökologisch wirtschaftenden Höfen ist nicht nur freier und artgerechter, sondern auch länger als das ihrer Artgenossen in den geschlossenen Mastanlagen. Biolandwirt Theo Schürmann:

    "Normal sind die konventionell nach sechs Monaten schlachtreif, bei mir sind es so acht bis zehn Monate, die wachsen halt langsamer, kriegen natürlich keine Wachstumsförderer, dürfen sich mehr bewegen, und dadurch dauert das natürlich ein bisschen länger."

    Zeit zum Wachsen und Platz zur Entfaltung ist für die industrielle Landwirtschaft zu teuer: In Deutschland werden immer noch über vier Millionen Legehennen in Käfigen gehalten, der Tierschutzbund rechnet vor, dass mehr als 30 Millionen männliche Küken direkt nach dem Schlüpfen getötet werden, jährlich werden rund 20 Millionen Ferkel ohne Betäubung kastriert. Nach wie vor leben laut Tierschutzbund 600 Millionen Masthühner eingezwängt in dunklen, schlecht belüfteten Zuchtanlagen. Die Zustände in den Massentieranlagen hätten sich in den vergangenen zehn Jahren, seit der Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz, nicht verbessert. Der Tierschützer Eckard Wendt von der Arbeitsgemeinschaft für artgerechte Nutztierhaltung bringt es auf den Punkt:

    "Der Zusatz im Grundgesetz ist fast folgenlos geblieben, 'der Staat schützt' wird hier definitiv festgestellt, aber er tut es einfach nicht!"

    Auch Eckard Wendt prangert besonders die Tierquälerei bei der konventionellen Schweinehaltung an, die Tiere würden auf engstem Raum zu Tausenden zusammengepfercht; ohne Bewegung, ohne Beschäftigung, damit sie so schnell wie möglich Fleisch ansetzen. Dass Schweine Paarhufer sind, die nur auf weichem Boden lange stehen können, interessiere in der konventionellen Haltung auch niemanden:

    ""Diese Tiere stellt man aber auf harten Spaltenboden, zunächst, wenn die Tiere klein sind, auf Kunststoffspaltenboden und später auf Beton-Spaltenboden. Das hat zur Folge, dass es zu Gelenkentzündungen kommt, und wer schon einmal so etwas hatte, der weiß, dass das sehr schmerzhaft ist."

    Viele Schweine sind zum Zeitpunkt der Schlachtung aufgrund der Gelenkentzündungen nicht einmal mehr in der Lage zu gehen. Doch damit nicht genug. Eckhart Wendt:

    "Schweine haben hochsensible Nasen und leben ständig über ihren eigenen Exkrementen, das wär so, als wenn wir auf die Toilette gehen und kräftig stinken, aber das Fenster die ganze Zeit zu halten. Die aggressiven Gase bereiten dann das Atemwegsgewebe vor, zur Aufnahme von Krankheitskeimen. Deswegen haben wir es in Schweineställen oft mit Atemwegserkrankungen zu tun, die nur mit schärfsten Medikamenten - insbesondere Antibiotika - bekämpft werden können."

    Damit die Tiere dem physischen und psychischen Stress in den Mastställen standhalten und nicht schon vor dem Schlachttermin sterben, werden in der industriellen Landwirtschaft Antibiotika in hohen Mengen eingesetzt. Allerdings nicht nur um Krankheitskeime zu bekämpfen, sondern auch um das Wachstum der Tiere zu beschleunigen. Und obwohl der Einsatz von Antibiotika als Leistungsförderer seit 2006 EU-weit verboten ist, ist die Menge der eingesetzten Medikamente in Ländern mit hoher Nutztierdichte, wie etwa Niedersachsen, dennoch enorm gestiegen – nach Angaben des BUND. Die Probleme, die mit den tierquälerischen Haltungsmethoden einhergehen, reichen weit über die Mastanlagen hinaus: multiresistente Keime - entstanden durch den hohen Antibiotikaeinsatz - gefährden auch Menschen, wie bei der letzten EHEC-Epidemie. Den Ursprung der Keime vermuten Experten in den Ställen der industriellen Mastanlagen. Auch die Geflügelmastbetriebe stehen im Zusammenhang mit dem hohem Antibiotika- und Pestizideinsatz nach wie vor in der Kritik: Tierarzt und Tierschützer Hermann Focke prangert die desaströsen Haltungsbedingungen während der Mast schon lange an, da leben:

    "Bis zu 40.0000 unter einem Dach, auf engstem Raum, und besonders im letzten Drittel der Mast mit stark eingeschränkter Bewegungsmöglichkeit, verbunden mit einem hohen Prozentsatz von Sohlenballenverätzungen und Brustblasen, denn die Tiere liegen nachher auf ihren eigenen Exkrementen."

    Die Masthühner können ihr eigenes Gewicht - ebenso wie die Schweine - am Ende ihres kurzen Lebens oft nicht mehr tragen. Die Missstände in der Geflügelmast fangen schon bei den Züchtungsmethoden an, denn die Tiere werden so gezüchtet, dass sie schnellstmöglich viel Fleisch ansetzten.

    "Die Tierschutzexpertin Sabine Petermann hat das am Beispiel der Mastputen sehr treffend formuliert: 'Es handelt sich um Tiere mit dem Skelett eines Babys und dem Gewicht eines Sumoringers'. Nicht wenige Wissenschaftler sprechen deshalb von Qualzucht."

    Aber gibt es seit der Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz, gibt es seit diesen zehn Jahren keine Verbesserung? Hat sich trotz vieler Lebensmittelskandale und Seuchen und der anschließenden Diskussion um die Produktionsbedingungen nichts getan? Im Tierschutzbericht 2011 der Bundesregierung heißt es in Kapitel 1.2.1.:

    Seit dem 1. Januar 2010 werden in Deutschland zu Erwerbszwecken keine Legehennen mehr in konventionellen Käfigen gehalten. Damit hat Deutschland den ausnahmslosen Ausstieg aus der Haltung von Legehennen in herkömmlichen, nicht ausgestalteten Käfigen bereits zwei Jahre vor dem EU-weiten Verbot vollzogen.

    Das klingt beim ersten Hinhören doch nach einer deutlichen Verbesserung zumindest bei der Haltung der Legehennen. Das erklärte damals auch Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner.

    "Die haben auch mehr Platz und auch Scharrraum."

    Aber Umweltschutzorganisationen wie der BUND weisen darauf hin, dass zu dem vorherigen Platzangebot von der Größe eines DIN-A4-Blattes pro Henne jetzt lediglich ein Bierdeckel großes Stück hinzugekommen ist. 90 Prozent der Bodenfläche bestände auch bei der angepriesenen Kleingruppenhaltung aus Gitter, nur zehn Prozent müsste mit einer Scharrfläche ausgestattet sein. Am Ende bleibt Käfig - Käfig! Auch mit ein paar Quadratzentimetern mehr ist man einer artgerechteren Tierhaltung für Legehennen noch nicht näher gekommen. Für den ehemaligen Veterinäramtsleiter Hermann Focke keine Überraschung:

    "Das zeigt auch, wie stark die Lobby der Geflügelwirtschaft ist!"

    Die Lobby der Tierschützer ist dagegen eher schwach, finanziell und auch rechtlich. Denn sie können nicht einmal juristisch den Schutz der Tiere einfordern. Eckhard Wendt:

    "Man kann es nicht einklagen, weil es leider nur Staatsziel ist und die Tierschutzverbände leider kein Recht zur Klage haben. Das Verbandsklagerecht, das die Naturschützer haben, hat man uns aus guten Gründen vorenthalten, man will nämlich die Tiernutzer ungestört handeln lassen!"

    Solange seriöse Tierschutzorganisationen nicht dieselben Rechte haben wie Umweltschutzorganisationen, bleibt vieles ungestraft; neben den Missständen bei der Haltung der Nutztiere gäbe es sicherlich auch viele Klagen gegen die Verstöße beim Transport der Schlachttiere. Aus wirtschaftlichen Gründen werden Schweine, Rinder, Kälber Pferde oder Schafe oft weit entfernt von ihren Mastbetrieben geschlachtet. Sehr weit entfernt. Hermann Focke:

    "Es ist nach wie vor heute so, dass Schlachtrinder, auch Schweine, Schweine besonders nach Russland und Rinder in den Nahen Osten verbracht werden und zwar verbunden mit tagelangen Transporten, über Tausende von Kilometern."

    Für Tiere, die ihr bisheriges Dasein in dunklen Ställen gefristet haben, ohne Auslauf und mit zum Teil arthritischen Gelenken; für Schweine oder Puten, die am Ende der Mastzeit so schwer geworden sind, dass sie ihr eigenes Gewicht nicht mehr halten können, für all diese Tiere bedeutet schon ein kurzer Transport eine große physische und psychische Belastung. Denn wenn sie auf festem Grund schon nicht mehr stehen können, wie sollen sie sich dann in einem wackelnden Lkw zwischen tretenden oder beißenden Artgenossen halten? Die Transportzeiten sind in der Tierschutz-EG-Verordnungen "über den Schutz der Tiere beim Transport" genau festgelegt. Zum Beispiel bei Rindern, die müssen nach 14 Stunden:

    "... eine Stunde angehalten, getränkt und gefüttert werden, dann geht es bis zu einem Zeitraum von 29 Stunden weiter, wenn sie dann im Hafen ankommen, wenn Sie es innerhalb von 29 Stunden schaffen, müssen sie dann verbracht werden in die Ställe. Aber wie ich von Kollegen und auch selbst festgestellt habe, blieben die Tiere entweder bis zum nächsten Tag auf dem Lkw oder sie wurden dann sofort auf das Schiff verladen und von den 24 Stunden Ausruhzeit kann also in vielen Fällen nicht die Rede sein."

    Hermann Focke war der erste deutsche Tierarzt, der den Tiertransporten von Norddeutschland bis nach Südeuropa hinterhergefahren ist. Allerdings nicht im Auftrag des Ministeriums, das wollte seine ersten Berichte über die eklatanten Missstände bei den Tiertransporten und beim Verladen in den Mittelmeerhäfen ignorieren. Inzwischen hat der Tierarzt über seine Beobachtungen mehrere Bücher geschrieben. Er ringt immer noch um Fassung, wenn er sich an eine Fahrt nach Kroatien erinnert:

    "15 Tiere wurden tot von den Lkw gezogen. Zum Teil lagen die Tiere über den ganzen Hafen verteilt. Spreizer, die nicht mehr aufstehen konnten, wurden am Ende des Tages bei über 30 Grad noch einmal mit einem Hubwagen auf den LKW und noch einmal weiter bis zum Schlachthof gekarrt."

    Das war in den 90er-Jahren. Seitdem sind über 20 Jahre vergangen, und seit zehn Jahren ist der Schutz des Tieres in Deutschland im Grundgesetz verankert. Doch die Transportbedingungen haben sich laut Focke nicht wesentlich verbessert. Auch die seit 2007 EU-weit vorgeschriebenen Kontrollen der Ruhezeiten fallen Tierschützern zufolge viel zu häufig aus. Die Veterinärin Cornelie Jäger, seit April dieses Jahres erste Landestierschutzbeauftragte in Baden-Württemberg, sieht das anders:

    "Also soweit würd' ich nicht gehen, zu sagen, das wird nicht überprüft. Es gibt Transporte, die tatsächlich nicht überprüft werden, aber die Langstreckentransporte, insbesondere wenn sie auch grenzüberschreitend stattfinden, die werden ja durch die Veterinärbehörden sehr genau begleitet."

    Wer auch immer recht haben mag: der ehemalige Veterinäramtsleiter, der auch wegen seines Engagements für den Tierschutz vorzeitig die Behörde verließ, oder die Tierschutzbeauftragte im Verbraucherschutzministerium Baden-Württemberg? Es gibt in diesem Bereich keine groß angelegten Studien, doch allein die Lektüre der EU-Verordnungen offenbart schon Missstände bei den Tiertransporten. Da heißt es:

    So sieht die Verordnung je nach Tierart unterschiedliche Fahrzeiten vor: ... Schweine (24 Stunden Transport bei ständigem Zugang zu Trinkwasser), Pferde (24 Stunden Transport mit Tränke alle acht Stunden), Rinder, Schafe und Ziegen (14 Stunden Transport, dann eine Stunde Ruhezeit mit Tränke, dann 14 Stunden Transport)

    ... und weiter:

    Die genannten Transportabschnitte können wiederholt werden, wenn die Tiere an einer zugelassenen Kontrollstelle entladen, gefüttert und getränkt werden und 24 Stunden Ruhezeit haben.

    Selbst wenn die Kontrollen und damit die Ruhezeiten eingehalten werden würden, könnte der Transport unendlich lang fortgesetzt werden. Neben der fehlenden Begrenzung der Fahrtzeit weist die zitierte Verordnung aber noch weiter Mängel auf. Sie schreibt nämlich auch nicht vor, wie viel Platz die Tiere haben müssen. Der Deutsche Tierschutzbund fordert deshalb dringend eine Nachbesserung der Verordnung, um eine maximale Ladedichte für die Lastwagen festzulegen, damit nicht so viele Tiere in einen Transporter gequetscht werden wie nur irgend möglich. Hinter all dem steht ohnehin die Frage, warum die industrielle Landwirtschaft in Deutschland so exportorientiert ist. Cornelie Jäger:

    "Also da würde ich ein großes Fragezeichen dahinter machen, ob das tatsächlich sein muss, dass wir zum Beispiel Schlachttiere im großen Stil exportieren nach Russland, anstatt sie geschlachtet zu transportieren, zumal wir die Schlachtkapazitäten in Deutschland durchaus haben. Das sind wirtschaftliche Erwägungen, da denke ich, bin ich mir mit allen Tierschützern einig, dass es völlig unnötig ist, über Tausende von Kilometern Schlachttiere zu transportieren. Heute kann man das gekühlt, das ist zuverlässig, planbar und ohne Risiken für die Tiere."

    Dieser Transportwahn ist auch das Ergebnis verschiedener Exportfördersysteme, so gehen allein in Deutschland rund 20 Millionen Euro jährlich in Form von Exportsubventionen direkt an die zehn größten Schlachtfirmen, das ergaben Recherchen des BUND. Solange der wirtschaftliche Profit einiger großer Konzerne auch durch die europäische Subventionspolitik erhöht wird, solange bleibt der Tier- und Umweltschutz weiterhin auf der Strecke, im übertragenen wie im tatsächlichen Sinne. Cornelie Jäger:

    "Die Vorgaben werden besser, auch die Durchsetzbarkeit wird besser, auch mit GPS-Systemen, aber dadurch, dass eben sehr viel mehr Transporte stattfinden, in noch viel entferntere Regionen, wird der positive Effekt letzten Endes aufgefressen. Das lässt sich fast durchgängig beobachten, dass, was wir an Boden gewinnen für das Tier durch die Masse und durch die Intensivierung wieder verschluckt wird."

    Dieses Phänomen gilt auch für eine andere große Gruppe der Nutztiere: für die Labortiere der medizinischen, pharmazeutischen oder neurologischen Forschungsseinrichtungen. Die Haltungsbedingungen der Versuchstiere konnten zum Teil verbessert werden, aber dennoch hat die Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz keinen eindeutigen Effekt erzielt, vielmehr heben sich die gegenläufigen Tendenzen auf. Cornelie Jäger:

    "... wie einerseits zum Beispiel die Durchsetzbarkeit von Vorgaben bei den Haltungsbedingungen sehr viel besser geworden ist oder auch wie der Spielraum zur ethischen Abwägung durch die Behörden wie sich das verbessert und vermehrt hat, gleichzeitig muss man für den Zeitraum dieser zurückliegenden zehn Jahre halt feststellen, dass es auch Tendenzen gegeben hat, die die positiven Effekte gewissermaßen aufgefressen haben."

    So hat sich die Zahl der Versuchstiere laut Jäger in den vergangenen 15 Jahren fast verdoppelt, weil sich die Forschungsschwerpunkte verschoben haben. Vor allem bei humanen Erkrankungen, die genetische Ursachen haben könnten, erhofft man sich durch die Versuche an Tieren neue Erkenntnisse. Auch für die Krebsforschung und die Produktion bestimmter Medikamente in (!) gentechnisch-veränderten Tieren seien Tierversuche unabdingbar, so die Wissenschaftler. Knapp drei Millionen Wirbeltiere, die meisten von ihnen Ratten und Mäuse, werden laut Jäger inzwischen zu wissenschaftlichen Zwecken gehalten. Tierschützer bezeichnen die Experimente generell als grausam und sehen keine ethische Rechtfertigung für Tierversuche. Wissenschaftler, allen voran die Grundlagenforscher, halten dagegen, wie der Bremer Hirnforscher Andreas Kreiter:

    "Viele Menschen sind sich schlicht nicht darüber im Klaren, dass die Medizin keineswegs etwa an ihrem Ende steht, sondern ganz am Anfang ihrer historischen Entwicklung. Die meisten Krankheiten können wir eben nicht heilen."

    Viele Krankheiten in unserer Gesellschaft scheinen aber auch im direkten Zusammenhang mit den ungesunden Lebensweisen vieler Bürger zu stehen, wie die Zunahme der Diabetes-Typ-2-Erkrankungen oder der Herzkreislauferkrankungen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung macht unter anderem das Essverhalten vieler Verbraucher dafür verantwortlich: zu fett und zu fleischhaltig sei der Speiseplan. Bei diesen Widersprüchen wird der Fehler im System besonders deutlich: Um den überhöhten und täglichen Fleischkonsum der Massen zu decken, werden immer mehr Tiere in den Mastanlagen unter brutalen Bedingungen gezüchtet. Das Geld, was der Verbraucher am billigen Schnitzel spart, muss die Gesellschaft dann an anderer Stelle für eine teurere Gesundheitsvorsorge bereitstellen. Ein Widerspruch, der bisher noch keine Trendwende provozieren konnte, im Gegenteil, der Veterinär Hermann Focke stellt fest:

    "Dass die Ausbeutung der sogenannten Nutztiere durch den Menschen in den letzten zehn Jahren noch weiter zugenommen hat. Seit Bestehen der Menschheit hat es kein derartiges Ausmaß an Tierquälereien gegeben wie in unserer Zeit, das betrifft sowohl Quantität wie auch Intensität!"