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Glücklicher Anfang

Das Schauspiel Hannover wird seit Ende September von Lars Ole Walburg geleitet. Sein Programm belegt, dass die Intendanz von einem Regisseur übernommen wurde - und nicht von einem Kulturmanager.

Von Michael Laages |
    Mann und Mannschaft haben Glück in diesen Tagen – denn die kleine Schar der Weihnachtsmänner und -frauen im Business, also der reisenden Beobachter aus der Gilde der überregionalen Kritik, meinen es erstaunlich gut mit den Neuigkeiten, die seit Anfang Oktober im hannoverschen Schauspielhaus entstanden sind. Auch die lokale Presse gibt sich demonstrativ innovationsfreudig und weltoffen neuen Stilen, Tönen und Handschriften gegenüber. Und selbst die Fans und Freunde vor Ort ziehen mit – neulich bekundete die Leiterin der lokalen "Freunde des Schauspielhauses" im Fachblatt "Die Deutsche Bühne", wie angenehm direkt und unkompliziert nach Wilfried Schulz und Ulrich Khuon, diesen klugen Strategen der Publikumspflege, auch der neue Intendant wieder auf die Kundschaft zugegangen sei.

    Alles also prima und paletti? Das kann nicht sein. Gerade wirbt das Theater mit fett aufgemotzten Plakaten für jede einzelne Produktion – mit derart platten Ruhmes-Hymnen aus den lokalen Blättern drauf, dass prompt die Zweifel wachsen am Erfolg des neuen Teams. Wer den schon hat, muss so nicht werben.

    So schön verstolpert hatte der kuriose Musik-Erfinder Ruedi Häussermann die Verhältnisse zum Tanzen gebracht, als er im Auftakt-Reigen die Geschichten von Wilhelm Busch, einem der regionalen Hausgötter, für's Theater neu erzählen ließ; in einer verwandlungs- und überraschungsreichen Revue aus tatsächlich wie "live gezeichnet" wirkenden Tableaus, Film-Sequenzen, szenischen Fragmenten, niedersächsischer Feuerwehrkapellenblasmusik und (wie immer bei Häussermann) viel und schönem Chorgesang.

    "Aber nein! Sie leben noch!", ist sicher das vergnüglichste Detail im hannoverschen Entree - aber so etwas ist natürlich eigentlich die Zugabe, nicht der Kern der Bemühung um das eigene Theaterprofil. Der Intendant selbst heimste viel Anerkennung ein für die Eröffnung jenseits aller Konvention: mit Heiner Müllers großem Text-Gefüge "Wolokolamsker Chaussee", gemixt mit Material von Ilja Ehrenburg. Der junge Florian Fiedler, aus Frankfurt zugewandert, stellte sich mit einer "Simplicissimus"-Version vor, auch Tom Kühnel kam ins Spiel, einer der Weggefährten aus Walburgs Zeit in Basel - der Horizont für Hannover wuchs und wächst weiter.

    Aber eher im Speziellen, nicht so sehr im Alltäglichen - denn irgendwann musste natürlich auch jene berühmte "Butter bei die Fische", die jeder Neuanfang dringend benötigt: die Stücke zum Wiedererkennen, die, die auch Gelegenheitskundschaft ins Theater locken. Und damit hatte Walburg bislang eher weniger Glück gehabt.

    Das sind die Brüder Peter und Thomas Stockmann aus Henrik Ibsens Stück "Ein Volksfeind"; wiederum von Fiedler von Frankfurt nach Hannover transferiert - als wüstes Durcheinander: hie die Polit-Kolportage (über Gift im Wasser eines Kurbades und die Versuche, diese schlechte Nachricht totzuschweigen), dort ein Pop-Konzert fürs chronisch verblödende, in den Genuss vernarrte Volk. Das nimmt zwar Ibsens große und höchst aktuelle Behauptung an und auf (dass nämlich die Mehrheit im politischen Prozess meist unrecht hat!), kommt aber szenisch als fahriges Larifari-Tingeltangel daher. Da wird sich älteres Publikum ganz gern an Andreas Kriegenburgs furiose "Volksfeind"-Fassung aus der Ära Khuon erinnern - so lange ist das nicht her!

    Noch jünger ist die Erinnerung an Luk Percevals ziemlich interessanten Tschechow-"Kirschgarten" aus der Schulz-Zeit in Hannover - jetzt gibt’s schon wieder einen; einen zumal, der durch das Ausscheiden des eigentlich vorgesehenen Regisseurs Tomas Schweigen vom Intendanten selber in zwei Wochen hingehauen werden musste. Und so sieht er auch aus …

    Als hätten sich die hannoverschen Neulinge auch nicht einen Blick in frühere Spielzeit-Hefte gestattet – so wenig ist Hannover derzeit gerade da, wo doch das Fundament gelegt werden müsste für den Erfolg auf Dauer.

    Ein Zahlenspiel: Eberhard Witt, 1989, in Wendezeiten, der erste, der Hannovers Theater runderneuerte (und dafür das neue Schauspielhaus gebaut bekam), blieb nur vier Jahre; und Hannover war ziemlich beleidigt. Ulrich Khuon übernahm und wurde lange unterschätzt (wie jetzt gerade wieder in Berlin) – er blieb sieben Jahre. Wilfried Schulz, der im Sommer nach Dresden, brachte es auf neun – Hannover war immer ein guter Ort für den Aufstieg; Theater und Publikum bieten dem neuen Team jetzt wieder jede Chance, die Vorgänger zu toppen. Sie muss nur genutzt werden.