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Glückstadt
Mekka des Matjes

Glückstadt liegt am Nordufer der Elbe, eine knappe Autostunde von Hamburg. Die Kleinstadt ist bekannt für ihren Matjes. Jedes Jahr im Juni locken die "Glückstädter Matjeswochen". Aber auch die Altstadt ist einen Ausflug wert.

Von Margret Bielenberg | 15.06.2014
    Eröffnung des Matjesfests
    Besucher stehen auf dem Marktplatz in Glückstadt bei der Eröffnung der Matjestage. (picture-alliance / dpa / Carsten Rehder)
    "Wir sind eine kleine gemütliche Stadt, wir haben 13.000 Einwohner. Und durch die historische Altstadt haben wir doch ein sehr besonderes Flair."
    Wir stehen auf dem Marktplatz in Glückstadt, dem Zentrum der historischen Altstadt. Torben Mattson ist Stadtführer und schwärmt von seiner Heimatstadt. Trotz Schietwetter, schmunzelt der Endzwanziger, zieht seine blaue Fischermütze weiter in die Stirn und spannt den Regenschirm auf. Damit sei in Schleswig-Holstein zu rechnen. Allerdings werde sich heute wohl keiner mehr der Führung anschließen. Kein Problem, wir sind wetterfest angezogen und unser Stadtführer versprüht trotzdem gute Laune. Der Marktplatz hat Atmosphäre: um uns herum kleine Geschäfte und Restaurants in alten Gebäuden mit spitzen Dächern. Die Backsteinfassade des Rathauses sticht heraus. Sie wurde im Stil der niederländischen Renaissance erbaut. Auch die Stadtkirche ist eindrucksvoll. Ein weiß getünchter Bau mit hohem Turm.
    Die Stadt sollte ursprünglich größer als Hamburg werden
    "Wenn man sich die Kirche in Deutschland anguckt, hat man oben auf dem Glockenturm, auf der Spitze entsprechend auch das Kirchenkreuz. In Glückstadt hat man oben die Fortuna, eine heidnische Göttin und diese wird so lange auf der Kirchturmspitze stehen bleiben bis Glückstadt vernichtet wird. Das ist Erlass des Königs."
    Glückstadt wurde 1617 von Christian, dem IV, König von Dänemark und Herzog von Schleswig-Holstein, gegründet. Eigentlich sollte die Stadt größer als Hamburg werden. Der Name Glückstadt und die Fortuna im Wappen standen für diesen Plan. Und so hieß es, laut Christian, dem IV: "Dat schall glücken und dat mutt glücken, und denn schall se ok Glückstadt heten!"
    "Glückstadt wurde komplett auf dem Papier geplant, bevor es errichtet wurde. Der König war der absolute Perfektionist und er hat selbst auch diese Zeichnungen angelegt."
    Städtebaulich entsprach Glückstadt dem Idealbild der Renaissance. Vom Marktplatz führten die Straßen sternförmig zu den ehemaligen Wallanlagen und zum Hafen.
    Wir nehmen eine davon, überqueren den Fleth und spazieren geradeaus Richtung Hafen. Die kleinen Häuser stehen dicht aneinander. Manche windschief. Ohne Erker und Balkone. Das hatte militärische Gründe. Feinde sollten sich nicht verstecken können. Ein Passant grüßt unseren Stadtführer. Man kennt sich, sagt Torben Mattson. Und das war früher genauso. Er zeigt auf ein Straßenschild.
    "Das ist die namenlose Straße. Als damals Glückstadt gebaut wurde, gab es keine Straßennamen. Es wurde einfach gefragt, wo wohnst du? Da hieß es: Ich wohn bei Hein Mück um die Ecke. Jeder kannte Hein Mück. Als die Preußen nach Glückstadt kamen, kannten die Hein Mück nicht. Die wollten alles dokumentieren. Man hatte geguckt welche Funktion hat die Straße. Gibt es namenhafte Personen, so ist die Königsstraße entstanden, die Schlachterstraße. Und bei dieser Straße haben wir das Problem gehabt, es gab kein Gewerk in dieser Straße, keine namenhafte Person und die Straße führte zu keinem namenhaften Ort."
    Trotz des Wetters ist der kleine Hafen idyllisch: Die Häuserzeile im holländischen Stil, Segelboote liegen vertäut auf der anderen Wasserseite. Eins der Schiffe ist aus dunklem Holz. Es erinnert an alte Zeiten als der Wal- und später der Heringsfang das Leben in Glückstadt bestimmten. Im Museum, gleich um die Ecke, gibt es eine Ausstellung zur Heringsfischerei, sagt Torben Mattson. Ich bin neugierig geworden.
    Die Männer und das Meer - so heißt die Ausstellung des Detlefsen Museum im Brockdorff-Palais. Einem Haus aus Stadtgründungszeiten. Die Fotografien stammen aus einem Nachlass, erzählt Museumsdirektorin Dr. Catharina Berents. Das ist die sogenannte Glückstadt-Sammlung des Archivaren Dr. Gerhard Köhn.
    "Also auf diesem Foto kann man das schön sehen, da ist schon ein Heringsschwarm ins Netz gegangen. Man muss sich vorstellen, dass diese Netze zum Teil 3.000 Meter lang waren, drei Kilometer werden an Bord gehoben."
    Wird der Hering zum Matjes verarbeitet, verbleibt die Bauchspeicheldrüse im Fisch. Sie sorgt mit ihren Enzymen für die Reifung des noch nicht geschlechtsreifen Herings zum Matjes. Die Heringe wurden nach dem Motto "seegekehlt und seegesalzen" von der gesamten Mannschaft an Bord geschlachtet, ausgenommen und gesalzen. Die übliche Hierarchie, Kapitän, Steuermann oder Matrose gab es bei dieser Arbeit nicht.
    Bevor allerdings die Heringsfischerei an Bedeutung gewann, drehte sich alles um den Walfang, erzählt Catharina Berents. Besonders bekannt ist "Der Kleine Heinrich".
    "Das ist der letzte Walfänger gewesen, der hier in Glückstadt ausgefahren ist und der kam 1863 nach Glückstadt zurück und hatte nur noch 900 Robben an Bord. Drei Jahre zuvor waren es noch fast 8.000 Robben gewesen. Also es war schon eine Zeit, wo man weniger Wale fing, sondern Robben, die auch ähnlich verarbeitet wurden. Aber in dieser Zeit ging das langsam zu Ende, weil die Meere einfach überfischt waren. Und das berühmte Restaurant am Markt "Der Kleine Heinrich" bezieht sich natürlich auf diesen Walfänger."
    Nur wenige Schritte sind es zurück zum Alten Markt. Der Kleine Heinrich wirkt etwas zu klein geraten zwischen den Häusern rechts und links. Das Haus ist weiß, die Fensterrahmen der Sprossenfenster und die dicke Holztür braun. Über der Tür ein Bild des gleichnamigen Dreimasters. Wann das Haus genau gebaut wurde, sei nicht dokumentiert. Kurz nach Stadtgründung werde angenommen. Wir wollen es uns von innen ansehen.
    Zu Gast beim "Kleinen Heinrich"
    Dunkle Balken, einige Stufen, niedrige Decken und viel Holz. Es ist urig hier. Die Inhaberin ist nicht da, aber ein Stammgast und Freund der Wirtsfamilie freut sich, über das Gebäude Auskunft geben zu können. Jan Wallraf ist Architekt, war Bauunternehmer und hat die letzten Umbau- und Restaurierungsmaßnahmen in den 1980er Jahren mitbegleiten können. Es sei manchmal schwierig gewesen die alte Struktur zu erhalten und gleichzeitig neue Anforderungen zu erfüllen, erzählt er.
    "Man hat zum Beispiel die Deckenhöhen so gelassen wie sie waren. Gastronomie hätte eigentlich 3 Meter hohe Raumdecken haben müssen. Und hier sind diese schiefen Decken einfach geblieben ohne Schallschutz, ohne Trittschallschutz ohne Brandschutz."
    Auch die Außentür sei ein historisches Dokument. Leider geht diese Tür nach innen auf. Für ein Gasthaus normalerweise inakzeptabel, beschreibt er.
    "Und man hat jetzt einen Fluchtweg nach hinten, der musste sogar im Grundbuch eingetragen werden, geschaffen, damit diese Tür trotzdem weiter nach innen aufschlagen kann."
    Das Restaurant ist gut gefüllt. Es gibt Matjes in vielen Variationen. Aber Jan Wallraf hat andere Vorlieben.
    "Viel interessanter ist meiner Meinung nach der Rest der regionalen Küche, wo es so Dinge gibt, die man sonst nirgendwo bekommt, etwa die sauren Rippchen in der Pfanne gebraten oder die grauen Erbsen, das war ein Gericht der Seefahrer. Die waren besonders haltbar und konnten lange auf dem Schiff noch gegessen werden."
    Der gebürtige Rheinländer hat lange in Berlin gelebt, bevor er nach Glückstadt kam und sich jetzt hier zu Hause fühlt.
    "Ein wenig denke ich auch an die Tradition des Königs, der eben die Meinungs-, Gewerbe und Religionsfreiheit ausgerufen hat und ein bisschen von der Toleranz ist bis heute hier in Glückstadt zu spüren."
    Und auch Stadtführer Torben Mattson ist mit Leib und Seele Glückstädter.
    "Hier kriegt man mich nicht weg. Im Leben nicht."