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Glückwunsch, kookbooks

Kleine Verlage habe es in der Regel schwer in Deutschland. Eine schillernde Ausnahme stellt kookbooks dar. Immer am finanziellen Abgrund balancierend, schafft er es, seit mittlerweile zehn Jahren immer wieder neue Impulse zu setzen.

Von Ulrich Rüdenauer und Wiebke Porombka | 15.05.2013
    "Das amortisiert sich nicht" heißt ein in diesem Frühjahr beim kookbooks-Verlag erschienener Debütband von Tristan Marquardt. Ein großartiger Titel, weil er zwei Sphären aufeinanderprallen lässt, sich sein Vokabular aus der Effizienzsprache der Finanzwelt borgt und in die vollkommene pekuniäre Zweckfreiheit der Lyrikproduktion überführt: Denn natürlich denkt man automatisch beim Lesen dieses auf einen Gedichtband gedruckten Satzes an die ökonomische Idiotie, Gedichte zu veröffentlichen. Und an die großartige Freiheit, die einem das Wissen darum verschafft. Nicht zuletzt deshalb boomte die Lyrikszene hierzulande in den letzten Jahren: Sie hat sich mit großer Lust in die Nischen gesetzt, die die Kunstverwertungszusammenhänge übersehen haben. Wenn man schon kein Geld verdienen kann, dann möchte man zumindest Spaß haben. Und vielleicht gerade dadurch etwas bewirken.

    Zumindest in den Feuilletons wurde das Auferstehen einer neuen Lyrikgeneration gefeiert. Der vielleicht bekannteste, wiedererkennbarste und eigensinnigste Ort, an dem diese junge Lyrikszene sich kristallisiert hat, ist der Berliner kookbooks Verlag. Und dass die Feier zum zehnten Geburtstag des Kleinverlags unter dem Motto "Das amortisiert sich nicht" stattfindet, zeugt von einem gewissen Humor und von schönem Starrsinn. Daniela Seel, Verlegerin, Lektorin und selbst Autorin erzählt, wie es zur Gründung von kookbooks kam:

    "Wir haben angefangen als Künstlernetzwerk, wir haben uns als junge Autorinnen und Autoren kennengelernt Ende der 90er-Jahre in Berlin, haben angefangen Textwerkstätten zusammen zu machen, hatten auch Musiker im Freundeskreis, bildende Künstler und haben dann miteinander Veranstaltungen gemacht. Und aus diesem Netzwerk ist dann schon 1999 das Musiklabel kook entstanden. Der Name kommt aus dem Amerikanischen und bedeutet "spinnert", den hat Howard Katz mitgebracht, der damals mit seiner Band "Post Holocaust Pop" zu den Gründern von kook-Music gehörte. Und aus den Autorenzusammenhängen waren dann einfach irgendwann Manuskripte publikationsreif, sodass die Frage im Raum stand: Was machen wir jetzt damit?"

    Die eine Möglichkeit wäre gewesen, die Manuskripte etablierten Verlagen anzubieten. Aber selbst bei den avancierteren Belletristik-Verlagen wird nicht gerade inbrünstig gejuchzt, wenn ein Lyrikmanuskript ins Haus flattert. Gedichte verkaufen sich nicht, das war noch nie so und wird wohl niemals so sein. Deshalb werden sie kaum noch verlegt. Also war die Sache klar: "Don't cry, work", dürften sich die Autoren damals gesagt haben, und in der 1974 geborenen Daniela Seel haben sie eine umtriebige, unerschrockene, wahrscheinlich etwas verrückte Verlegerin gefunden, auch wenn die Rollenbeschreibung nicht ganz fasst, um was es bei kookbooks geht:

    "Ich tu mich auch ein bisschen schwer mit dem Begriff Verlag, natürlich machen wir Bücher, aber eigentlich ist das mehr so eine Dichter-Selbstverteidigung. Und trotzdem ist es natürlich wichtig, dass es auch die anderen Kollegen gibt, mit denen man sich austauschen kann, die eben auch Bücher machen oder verlegerische Projekte haben. Und das ist toll, dass das nicht abgerissen hat, sondern dass das ja weiterhin Neugründungen gibt und ja auch nicht nur im Print-Bereich, sondern auch jetzt junge Verlage, die vielleicht nur E-Books machen oder noch mal ganz neu auf die Sache gucken: Was bedeutet das überhaupt, heute einen Verlag zu gründen."

    Das bedeutet vor allem: Ein Wagnis einzugehen. Eine ästhetische Position einzunehmen. Und sich gegen eine allzu warenförmige Blickweise auf das Medium Buch zur Wehr zu setzen. Überleben allerdings muss man trotzdem, gerade wenn in den Buchhandlungen außer für "Gesammelte Gedichte" von Rilke und Ulla Hahn kein Platz ist.

    "Es geht uns nicht darum, dass das zehntausend Käufer findet, es soll Leute finden, die sich auch dafür begeistern, und die geben uns dann Geld, sodass wir weitermachen können, weil es natürlich kostenintensiv ist, Bücher zu produzieren und die Infrastruktur zu bedienen."

    Die Infrastruktur - das sind die Druckkosten, das ist der Vertrieb, das sind die Vertreter, die Großhändler. Das alles kostet Geld, das durch andere Arbeiten oder durch Mäzene hereinkommen muss. kookbooks ist dabei ein Teil eines größeren künstlerischen Zusammenhangs; daran hat sich seit dem Beginn vor zehn Jahren nichts geändert, auch wenn der Verlag inzwischen im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Die freien Projekte laufen weiter.

    "In diesem Jahr haben wir 'Sprechende Gänge', kook-walks, wo wir Autorinnen und Autoren angefragt haben: Was passiert eigentlich, wenn man die Rezipienten von Literatur in Bewegung setzt, was macht mit der Literatur, sowohl für das Schreiben als auch für das Wahrnehmen von Literatur, wenn man im Stadtraum ist und sich da durchbewegt?"

    Dazu passt dann wiederum ein ebenfalls in diesem Frühjahr erschienener Band von Martina Hefter: "Vom Gehen und Stehen" dekliniert in Gedichtform vom "Stolpern" bis zum "Schlendern" alle möglichen Bewegungsformen durch. Beweglich muss auch Daniela Seel sein, wenn sie mit unterschiedlichen Autoren zusammenarbeitet. Und zugleich an ihren eigenen Texten feilt. Ihr erster Lyrikband erschien vor zwei Jahren. Im Moment sammelt sie Texte für ein zweites Werk; hier liest sie ein noch unveröffentlichtes Gedicht:

    "verbindungen, fang. hängt überall garn dran, bandagen

    aus absperrband. fusseln, patrone, leim. jedes kleid könnte

    brautkleid sein, übertüncht. verdammte legende vom honig

    dieb, verfolgmich, verfolgmichnicht. die grünen strümpfe

    scheuern am knie, beim knöpfen fängts an. gewahrsam.

    herden von fenstern ringsum, quillt glut raus. wo sich was

    sammelt, flimmert der boden, verteilt wirklichkeit, mischt

    sich rein. schick noch eins von den zeitwörtern, später, bald,

    morgen, dann, gleich. draus lern ich entfernung. nicht jeder

    raum ist als wohnraum gedacht. surrogat, ohne richtig und

    falsch. koffer voll strecken, gelöscht im schlaf. je mehr ich

    mich schere, desto mehr wächst nach. lunte, mundgroße

    drops. nothing to be scared of.
    "

    In ihrem eigenen Schreiben erkundet sie Regionen und Regungen des Körpers genauso wie das Bewusstsein, in seinem beständigen Irrlichtern zwischen Wahrnehmung und Täuschung. Seels Sprache hat dabei stets etwas ungemein Konzentriertes, beinahe etwas Gebändigtes, öffnet aber zugleich immerzu Türen zu neuen, fremden, mitunter etwas sinister anmutenden Vorstellungsräumen. Das ist es auch, was Seel an den Büchern schätzt, die in ihrem Verlag erscheinen.

    "Mich interessieren Texte, die mir was zeigen, was ich noch nicht kenne, die mich an Orte führen, wo ich alleine nicht hingekommen wäre. Und die das eben mit Sprache machen, sodass ich auch was über Sprache verstehe und darüber, wie Verstehen selber funktioniert oder jedenfalls bei mir. Und mich interessieren Ambivalenzen, also dass es nicht Eindeutigkeiten gibt, sondern dass es eine Balance von mehreren gleichzeitig gibt. Und dass es weggeht von Linearität, und eigentlich ermöglicht, vieles gleichzeitig zu denken, ohne dass es sich gegenseitig ausschließt."

    Für einen Verlag ist es wichtig, dass einzelne Autoren über das Label des Verlags hinauswachsen, als eigene Stimmen so deutlich vernehmbar werden, dass sie als Echo auch wieder auf den Verlag zurückwirken: Bei erstaunlich vielen ist das gelungen. Die bekannten Dichter Monika Rinck und Steffen Popp veröffentlichen bei kookbooks, Ulf Stolterfoth und Sabine Scho; auch einige Prosabände etwa von Jan Böttcher oder Annika Scheffel sind bei kookbooks erschienen. Eine erste bedeutsame Wegmarke war der Peter-Huchel-Preis für Uljana Wolf im Jahr 2006: Die Anerkennung für Wolf war auch eine für den Verlag. Ein wichtiges Erkennungszeichen ist die außergewöhnliche, jeden Band zu einem Kunstwerk erweiternde Buch-Gestaltung des Grafikers Andreas Töpfer:

    "Einmal ist es natürlich so, weil Andreas Töpfer diese tollen Illustrationen, diese tollen Gestaltungen macht. Und damit zusammenhängend ist einfach unsere Herangehensweise von Anfang an gewesen, dass ein Cover oder ein Buch als Objekt auch ein Ort ist, wo Kunst stattfinden soll. Und nicht Marketing. Und deswegen ist für uns eben eine künstlerische Gestaltung auch dieser Flächen ganz essenziell gewesen. Und das ist eigentlich auch ein Bereich, wo Andreas Töpfer sich relativ frei austoben kann bzw. in Rücksprache eben mit den jeweiligen Autorinnen und Autoren dann die Gestaltung entwickelt."

    Die finanzielle Situation für einen Verlag wie kookbooks ist bei aller selbstausbeuterischen Energie stets prekär. Überlegt man da zuweilen, möglicherweise unter das Dach eines größeren Hauses zu schlüpfen?

    "Natürlich denkt man da immer mal wieder drüber nach. Und es müssten die organisatorischen Vorteile oder vielleicht auch die finanziellen Vorteile überwiegen. Aber es ist natürlich wahnsinnig schwierig, gerade für ein Unternehmen, dessen erste Motivation nicht Gewinnorientierung ist, dann überhaupt in solchen anderen größeren Strukturen weiterexistieren zu können, in der Freiheit des Engagements, wie das im Augenblick möglich ist, wo ich das mäzenatisch betreibe, indem ich nebenbei alle möglichen Jobs mache, um das Geld ranzuschaffen, dass die Verluste aufgefangen werden können. Wenn man eine mäzenatische Unterstützung hätte, wäre das natürlich etwas anderes."

    Die erhofft man sich für kookbooks – in jeglicher Form, finanziell, aber weiterhin auch ideell. Und ein paar mehr als die 200 bis 300 Leser, die im Schnitt einen Lyrikband kaufen, wünscht man dem Verlag auch. Weil in diesem Mai das zehnjährige Jubiläum ansteht, hat auch Daniela Seel selbst noch einen Wunsch frei:

    "Ja, der Wunsch wäre natürlich erst mal, dass es weitergeht. Also, dass es interessant genug bleibt, auch für Leserinnen und Leser, dass sie genug Bücher kaufen, dass es irgendwie jedenfalls weiter betrieben werden kann. Und was im Augenblick gerade passiert und was sehr, sehr spannend ist, dass die internationale Aufmerksamkeit größer wird. Also es passiert immer öfter, dass entweder Autorinnen und Autoren oder der ganze Verlag mit ausgewählten Autoren dann international eingeladen wird, zu Festivals oder von Goethe-Instituten, um das Projekt als solches vorzustellen. Und dass dadurch auch international das Gespräch weitergehen und Austausch vorangetrieben werden kann."