KERSTEN: : Also es ist schon auffällig, dass sich viele Filme mit Loosern beschäftigen, mit Außenseitern der Gesellschaft, die noch nicht so recht in der neuen kapitalistischen Gesellschaft angekommen sind. Sie haben einen Film gerade erwähnt, Jaguda, im Supermarkt. Das ist eigentlich eine satirische Geschichte über einen neuen amerikanischen Supermarkt, der in Belgrad eröffnet hat, und da gibt es einen Überfall, der aber nicht so ganz ernst zu nehmen ist. Es gibt einen Film beispielsweise aus Bulgarien, der sich bezeichnenderweise 'Emigranten' nennt, drei junge Leute, die so in den Tag hineinleben und ihre kleinen Problemchen auch im Privatleben haben, und der Titel 'Emigranten' ist insofern ganz typisch für fast viele Filme, weil es eben in diesen Ländern doch gerade unter jungen Leuten sehr viele gibt, die sich nach einem besseren Leben irgendwo im Westen oder in fernen Kontinenten sehnen.
DLF: : Es klingt sehr gegenwartslastig, was Sie sagen. Ein Schwerpunkt des ganzen Festivals befasst sich ja mit dem Deutschlandbild im sowjetischen und postsowjetischen Kino. Klären Sie uns auf, was hat es damit auf sich?
KERSTEN: : Das ist nur einer der interessantesten Gesichtspunkte in Wiesbaden, ein Symposion, was sich filmhistorischen Themen zuwendet und in diesem Falle dem deutschen Bild im sowjetischen Kino, und generell der deutsch-sowjetischen oder, besser gesagt, deutsch-russischen Filmbeziehungen, von denen man eigentlich kaum noch weiß, dass sie gerade in den 20er Jahre ungeheuer eng waren, also 80 Prozent der Filmimporte in Russland kamen damals aus Deutschland. Conrad Veidt beispielsweise war einer der Lieblingsstars in der Sowjetunion. Es gab einen starken Einfluss des deutschen Expressionismus auf Filme in der Sowjetunion. Die ganzen führenden Regisseure Dowschenko, Eisenstein, Pudowkin waren sehr häufig in Berlin und haben teilweise dort wie Dowschenko Malerei studiert und haben immer wieder Kontakte gehabt auch zu deutschen Regisseuren wie Murnau oder Fritz Lang, und das ist eine Tradition, die sich auf fast komische Weise dann sogar fortgesetzt hat nach dem Kriege. Dann liefen nämlich Beutefilme im sowjetischen Kino, und da war etwa der Film "Die Frau meiner Träume" mit Marika Röck von 1944 der absolute Hit im Nachkriegsrussland, aber es gab natürlich dann die Unterbrechung, und es gab sehr viele Filme während der Nazizeit, die auch zum Teil von deutschen Emigranten gedreht wurden, die sich also gegen den aufkommenden Faschismus richteten, die Klassenkampf thematisierten und insofern auch ein idealisiertes Bild des Deutschen wiederum zeichneten, als sie die proletarische Revolution in Deutschland als eine gar nicht so ferne Möglichkeit hinstellten und als einen Ausweg aus dem Faschismus, und das hat sich natürlich dann als Projektion auf Deutschland im Kriege wieder gerächt, weil man eben plötzlich merkte, da kommen jetzt ganz andere Deutsche als die auch schon vorher als Dichter und Denker idealisierten Deutschen, die man aus der Literatur und eben teilweise aus den Filmen kannte.
DLF: : Mich reizt es jetzt mal, die Frage umzudrehen. Wir haben gerade gesprochen über das Deutschlandbild, das Bild des Deutschen im sowjetischen, postsowjetischen Kino. Wie sieht denn das Russlandbild oder das Bild des Russen, sofern man das so klischeehaft sagen kann, in den gegenwärtigen Produktionen aus, die Sie gesehen haben? Also es gibt Filme, die heißen beispielsweise 'Mütterchen' oder 'die Mütterchen', oder es gibt Filme über die Stadt-Land-Konflikte in der gegenwärtigen Sowjetunion. Haben Sie da Beispiele parat?
KERSTEN: : Na ja, Sie sprechen jetzt die Dokumentarfilme an, die hier gelaufen sind, und das sind Momentaufnahmen aus dem russischen oder auch teilweise aus dem ungarischen Alltag. Da wird eigentlich doch ein Bild des Russen oder der russischen Gesellschaft heute, das meistens ziemlich trist ist.
DLF: : Vielen Dank für das Gespräch.
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997.html
DLF: : Es klingt sehr gegenwartslastig, was Sie sagen. Ein Schwerpunkt des ganzen Festivals befasst sich ja mit dem Deutschlandbild im sowjetischen und postsowjetischen Kino. Klären Sie uns auf, was hat es damit auf sich?
KERSTEN: : Das ist nur einer der interessantesten Gesichtspunkte in Wiesbaden, ein Symposion, was sich filmhistorischen Themen zuwendet und in diesem Falle dem deutschen Bild im sowjetischen Kino, und generell der deutsch-sowjetischen oder, besser gesagt, deutsch-russischen Filmbeziehungen, von denen man eigentlich kaum noch weiß, dass sie gerade in den 20er Jahre ungeheuer eng waren, also 80 Prozent der Filmimporte in Russland kamen damals aus Deutschland. Conrad Veidt beispielsweise war einer der Lieblingsstars in der Sowjetunion. Es gab einen starken Einfluss des deutschen Expressionismus auf Filme in der Sowjetunion. Die ganzen führenden Regisseure Dowschenko, Eisenstein, Pudowkin waren sehr häufig in Berlin und haben teilweise dort wie Dowschenko Malerei studiert und haben immer wieder Kontakte gehabt auch zu deutschen Regisseuren wie Murnau oder Fritz Lang, und das ist eine Tradition, die sich auf fast komische Weise dann sogar fortgesetzt hat nach dem Kriege. Dann liefen nämlich Beutefilme im sowjetischen Kino, und da war etwa der Film "Die Frau meiner Träume" mit Marika Röck von 1944 der absolute Hit im Nachkriegsrussland, aber es gab natürlich dann die Unterbrechung, und es gab sehr viele Filme während der Nazizeit, die auch zum Teil von deutschen Emigranten gedreht wurden, die sich also gegen den aufkommenden Faschismus richteten, die Klassenkampf thematisierten und insofern auch ein idealisiertes Bild des Deutschen wiederum zeichneten, als sie die proletarische Revolution in Deutschland als eine gar nicht so ferne Möglichkeit hinstellten und als einen Ausweg aus dem Faschismus, und das hat sich natürlich dann als Projektion auf Deutschland im Kriege wieder gerächt, weil man eben plötzlich merkte, da kommen jetzt ganz andere Deutsche als die auch schon vorher als Dichter und Denker idealisierten Deutschen, die man aus der Literatur und eben teilweise aus den Filmen kannte.
DLF: : Mich reizt es jetzt mal, die Frage umzudrehen. Wir haben gerade gesprochen über das Deutschlandbild, das Bild des Deutschen im sowjetischen, postsowjetischen Kino. Wie sieht denn das Russlandbild oder das Bild des Russen, sofern man das so klischeehaft sagen kann, in den gegenwärtigen Produktionen aus, die Sie gesehen haben? Also es gibt Filme, die heißen beispielsweise 'Mütterchen' oder 'die Mütterchen', oder es gibt Filme über die Stadt-Land-Konflikte in der gegenwärtigen Sowjetunion. Haben Sie da Beispiele parat?
KERSTEN: : Na ja, Sie sprechen jetzt die Dokumentarfilme an, die hier gelaufen sind, und das sind Momentaufnahmen aus dem russischen oder auch teilweise aus dem ungarischen Alltag. Da wird eigentlich doch ein Bild des Russen oder der russischen Gesellschaft heute, das meistens ziemlich trist ist.
DLF: : Vielen Dank für das Gespräch.
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