Rainer B. Schossig: "Unser" Papst werde da verunglimpft, beschwert sich da die Bild-Zeitung heute. "Papa Ratzi" etwa, so titelte die Londoner Boulevardzeitung The Sun und das tierische Wort von Benedikt XVI. als "God's Rottweiler" war groß auf Daily Telegraph und Daily Mirror zu lesen. Jürgen Krönig in London, das klingt schon nach antideutschen Ressentiments, in denen sich die britische Massenpresse da gestern erging, aber unter solchen Titelzeilen da ist ja noch Platz für nuanciertere Kommentare.
Jürgen Krönig: Also man muss unterscheiden: Es gibt eine deutsche Tendenz zur empörten Betroffenheit, die ausgerechnet von Bild geschürt wurde in diesem Fall, die ja selbst mit der wunderschönen Schlagzeile gestern, "Wir sind Papst", aufgemacht hatte. Aber heute ist geraten, hier ein bisschen mal sich umzuschauen, ob wir nicht irgendwo beleidigt werden. Lassen Sie mich zur Schlagzeile der Sun, des größten Massenblattes, was sagen, aus dem Hause Rupert Murdoch: Klein oben: "Vom Hitlerjungen", Pünktchen, Pünktchen, dann ganz groß "zum Papa Ratzi" ...
Schossig: Das hatte schon Methode?
Krönig: "Papa Ratzi" ja, ich weiß nicht, welche Methode Sie sehen. "Papa Ratzi" ist ja eigentlich eine ganz witzige Wortschöpfung, für die die britischen Blätter generell berühmt sind. "Rottweiler Gottes" kann man vielleicht eher anstößig finden und man muss natürlich da einfach sehen, da sind auch rein ökonomische Mechanismen am Werk. Das sind Schlagzeilen, die Leser anziehen. Wobei ich zitieren möchte aus dem Kommentar, aus dem Text, der folgt in der Sun: "Wir applaudieren einem Mann, der weiß, dass fundamentale Werte nicht preisgegeben werden dürfen. Aber ist er der kühne Papst, den die Kirche braucht, um die Probleme des 21. Jahrhunderts anzusprechen - also Afrika und Aids zum Beispiel? Die Zeit wird es zeigen. Wir wünschen ihm alles Gute." Das war der Kurzkommentar der Sun. Der Hinweis darauf, dass er Hitlerjunge war - wenn auch gepresst und gezwungen, dieses zu sein -, ist nicht in irgendeiner Weise gedreht worden gegen Deutschland, muss ich sagen. Bei anderen, interessanterweise - und jetzt lassen Sie mich kurz das ausführen - interessanterweise ist es so, dass bei den so genannten guten Zeitungen, Qualitätszeitungen, da tauchen bösartige Kleinigkeiten auf.
Schossig: Im Guardian etwa, oder?
Krönig: Im Guardian. Timothy Garton Ash, berühmter liberaler Historiker, in Deutschland hoch geschätzt für seine pro-europäische Einstellung, der schreibt: "Seine Biografie kann man zwar nicht gegen ihn halten, aber seine Biografie ist keine Empfehlung." Man kann sie zwar nicht gegen ihn anwenden, weil er ja, wie wir wissen, als Junge gezwungen war, ...
Schossig: Ja, da werden doch so Linien gezogen: Sein Foto zum Beispiel in der Times, als Jung-Joseph, als Flak-Helfer.
Krönig: Ja, aber ich meine, das ist halt, da müssen wir fragen: Soll man das verschweigen? Ich finde, es ist interessant und es ist dieses in den meisten englischen Medien überhaupt nicht in irgendeiner Weise kritisch vermerkt worden, aber es gehört doch zur Biografie eines Mannes hinzu, des Papstes. Und dass man dieses nicht verschweigen kann, nur weil es uns Deutschen vielleicht unangenehm ist und wir empfindlich reagieren, wenn überhaupt etwas erwähnt wird von dieser Vergangenheit, die nun mal jeden berührt, der dort aufgewachsen ist, das halte ich dann doch für eine übertriebene Reaktion.
Schossig: Deutsche Kommentatoren sprachen kurz nach der Inthronisation Benedikts XVI. schon davon, dass nun die Rolle der Deutschen in der Welt neu definiert werde, also nicht mehr "die Bösen". Strafen die britischen Ratzinger-Reaktionen solche Schlussstrich-Sehnsüchte vielleicht doch ganz zurecht mit Lügen?
Krönig: Also ich glaube, diese Schlussstrich-Hoffnungen sind absurd. Sie an der Person des Papstes festzumachen, hieße die Bild-Zeitungslinie: "Wir sind Papst" fortsetzen. Irgendwelche Hoffnungen sich darauf zu machen, dass die deutsche Schuld des Zweiten Weltkrieges, des Holocaust vergessen wird mit dem Vergehen der Zeit, erscheinen mir, in meiner Beobachtung hier in Großbritannien, aber auch in anderen Ländern, als Illusion. Es ist ja fast so, als wenn eher die Intensität der Erinnerung zunimmt - das hat politische Gründe, wie wir wissen. Aber ich denke, die einzige Reaktion, die man daraus ableiten könnte, wäre, gelassener zu sein und nicht mehr so empfindlich zu sein. Und nicht so unbedingt geliebt werden zu wollen. Ein Land mit vielen Nachbarn und vielen bösen Erinnerungen hat einfach mal viele Leute, die es nicht besonders gerne mögen, das ist immer so. Aber lassen Sie mich noch etwas zum Papst sagen: Interessant ist auch, wie beispielsweise heute die Times, die sehr, sehr vernünftig und sehr gut kommentiert hat, heute noch einmal in einer Kolumne darauf eingeht und sagt: "Viele Journalisten und Kommentatoren" - und zwar meinen sie damit New York Times bis ARD -, "für die die Kirche Objekt anthropologischer Neugier oder/und herablassender Lächerlichkeit ist, haben sich in eine Haltung hineingesteigert, die man auf die Schlagzeile bringen könnte: 'Kardinäle wählen katholischen Papst - Welt ist schockiert'". Nicht wahr, da ist auch was dran?
Schossig: Herr Krönig, noch ganz kurz zum Schluss: Publizistik hat ja immer auch mit Nebelkerzen und Rauchproduktion zu tun. Bei der Sun hat man dies sehr selbstironisch zum Anlass genommen, gestern über dem Hause Murdoch aus einem Schornstein roten Rauch aufsteigen zu lassen. Ganz kurz, was hat es damit auf sich?
Krönig: In der Tat, es ist auch eine witzige Fortsetzung des Papst-Spiels. Der rote Rauch signalisiert: Die Sun hat sich 14 Tage vor der Wahl entschieden, Tony Blair und Labour noch einmal zu unterstützen - "his final chance", seine letzte Chance, sagen sie. Das ist natürlich auch nicht unwichtig, obwohl die Sun sich mehr Macht zuweisen möchte als sie wahrscheinlich selbst über die Wähler besitzt. Sie will wahrscheinlich auf der Seite des vermutlichen Siegers sein.
Jürgen Krönig: Also man muss unterscheiden: Es gibt eine deutsche Tendenz zur empörten Betroffenheit, die ausgerechnet von Bild geschürt wurde in diesem Fall, die ja selbst mit der wunderschönen Schlagzeile gestern, "Wir sind Papst", aufgemacht hatte. Aber heute ist geraten, hier ein bisschen mal sich umzuschauen, ob wir nicht irgendwo beleidigt werden. Lassen Sie mich zur Schlagzeile der Sun, des größten Massenblattes, was sagen, aus dem Hause Rupert Murdoch: Klein oben: "Vom Hitlerjungen", Pünktchen, Pünktchen, dann ganz groß "zum Papa Ratzi" ...
Schossig: Das hatte schon Methode?
Krönig: "Papa Ratzi" ja, ich weiß nicht, welche Methode Sie sehen. "Papa Ratzi" ist ja eigentlich eine ganz witzige Wortschöpfung, für die die britischen Blätter generell berühmt sind. "Rottweiler Gottes" kann man vielleicht eher anstößig finden und man muss natürlich da einfach sehen, da sind auch rein ökonomische Mechanismen am Werk. Das sind Schlagzeilen, die Leser anziehen. Wobei ich zitieren möchte aus dem Kommentar, aus dem Text, der folgt in der Sun: "Wir applaudieren einem Mann, der weiß, dass fundamentale Werte nicht preisgegeben werden dürfen. Aber ist er der kühne Papst, den die Kirche braucht, um die Probleme des 21. Jahrhunderts anzusprechen - also Afrika und Aids zum Beispiel? Die Zeit wird es zeigen. Wir wünschen ihm alles Gute." Das war der Kurzkommentar der Sun. Der Hinweis darauf, dass er Hitlerjunge war - wenn auch gepresst und gezwungen, dieses zu sein -, ist nicht in irgendeiner Weise gedreht worden gegen Deutschland, muss ich sagen. Bei anderen, interessanterweise - und jetzt lassen Sie mich kurz das ausführen - interessanterweise ist es so, dass bei den so genannten guten Zeitungen, Qualitätszeitungen, da tauchen bösartige Kleinigkeiten auf.
Schossig: Im Guardian etwa, oder?
Krönig: Im Guardian. Timothy Garton Ash, berühmter liberaler Historiker, in Deutschland hoch geschätzt für seine pro-europäische Einstellung, der schreibt: "Seine Biografie kann man zwar nicht gegen ihn halten, aber seine Biografie ist keine Empfehlung." Man kann sie zwar nicht gegen ihn anwenden, weil er ja, wie wir wissen, als Junge gezwungen war, ...
Schossig: Ja, da werden doch so Linien gezogen: Sein Foto zum Beispiel in der Times, als Jung-Joseph, als Flak-Helfer.
Krönig: Ja, aber ich meine, das ist halt, da müssen wir fragen: Soll man das verschweigen? Ich finde, es ist interessant und es ist dieses in den meisten englischen Medien überhaupt nicht in irgendeiner Weise kritisch vermerkt worden, aber es gehört doch zur Biografie eines Mannes hinzu, des Papstes. Und dass man dieses nicht verschweigen kann, nur weil es uns Deutschen vielleicht unangenehm ist und wir empfindlich reagieren, wenn überhaupt etwas erwähnt wird von dieser Vergangenheit, die nun mal jeden berührt, der dort aufgewachsen ist, das halte ich dann doch für eine übertriebene Reaktion.
Schossig: Deutsche Kommentatoren sprachen kurz nach der Inthronisation Benedikts XVI. schon davon, dass nun die Rolle der Deutschen in der Welt neu definiert werde, also nicht mehr "die Bösen". Strafen die britischen Ratzinger-Reaktionen solche Schlussstrich-Sehnsüchte vielleicht doch ganz zurecht mit Lügen?
Krönig: Also ich glaube, diese Schlussstrich-Hoffnungen sind absurd. Sie an der Person des Papstes festzumachen, hieße die Bild-Zeitungslinie: "Wir sind Papst" fortsetzen. Irgendwelche Hoffnungen sich darauf zu machen, dass die deutsche Schuld des Zweiten Weltkrieges, des Holocaust vergessen wird mit dem Vergehen der Zeit, erscheinen mir, in meiner Beobachtung hier in Großbritannien, aber auch in anderen Ländern, als Illusion. Es ist ja fast so, als wenn eher die Intensität der Erinnerung zunimmt - das hat politische Gründe, wie wir wissen. Aber ich denke, die einzige Reaktion, die man daraus ableiten könnte, wäre, gelassener zu sein und nicht mehr so empfindlich zu sein. Und nicht so unbedingt geliebt werden zu wollen. Ein Land mit vielen Nachbarn und vielen bösen Erinnerungen hat einfach mal viele Leute, die es nicht besonders gerne mögen, das ist immer so. Aber lassen Sie mich noch etwas zum Papst sagen: Interessant ist auch, wie beispielsweise heute die Times, die sehr, sehr vernünftig und sehr gut kommentiert hat, heute noch einmal in einer Kolumne darauf eingeht und sagt: "Viele Journalisten und Kommentatoren" - und zwar meinen sie damit New York Times bis ARD -, "für die die Kirche Objekt anthropologischer Neugier oder/und herablassender Lächerlichkeit ist, haben sich in eine Haltung hineingesteigert, die man auf die Schlagzeile bringen könnte: 'Kardinäle wählen katholischen Papst - Welt ist schockiert'". Nicht wahr, da ist auch was dran?
Schossig: Herr Krönig, noch ganz kurz zum Schluss: Publizistik hat ja immer auch mit Nebelkerzen und Rauchproduktion zu tun. Bei der Sun hat man dies sehr selbstironisch zum Anlass genommen, gestern über dem Hause Murdoch aus einem Schornstein roten Rauch aufsteigen zu lassen. Ganz kurz, was hat es damit auf sich?
Krönig: In der Tat, es ist auch eine witzige Fortsetzung des Papst-Spiels. Der rote Rauch signalisiert: Die Sun hat sich 14 Tage vor der Wahl entschieden, Tony Blair und Labour noch einmal zu unterstützen - "his final chance", seine letzte Chance, sagen sie. Das ist natürlich auch nicht unwichtig, obwohl die Sun sich mehr Macht zuweisen möchte als sie wahrscheinlich selbst über die Wähler besitzt. Sie will wahrscheinlich auf der Seite des vermutlichen Siegers sein.
