Hamlet, wahrscheinlich Psychologie-Student, hat alles im Kopf - eben auch den gewöhnlich materialisierten Geist seines Vaters. Sein neuester Regisseur, Dusan David Parizek, hat sich entweder die Sparvorgaben des vakanten Verwaltungsdirektors zu Herzen genommen - oder den Minimalismus eines Peter Brook, der seinen letzten "Hamlet" mit acht Personen bestritt. Bei Parizek sind es nur noch sieben - aber das ist nun auch die einzige Ähnlichkeit zwischen beiden Inszenierungen. Auf der großen Kölner Bühne, von Olaf Altmann in einen düsteren Wehrgang aus höchst symbolisch verschiebbaren Holzelementen verwandelt, führen die Teilnehmer der Sparkassen-Jahreshauptversammlung ihre Business-Anzüge vor - Krawatten Ton in Ton -, für den Abend - als Lockerungsübung - haben sie sich vorgenommen, den "Hamlet" zu spielen, oder sagen wir mal: szenisch zu lesen.
Erstaunlicherweise kennen sie ihren Shakespeare - in Heiner Müllers manchmal barscher Übersetzung - in- und auswendig, können also auf alles ausufernde Beiwerk verzichten. Tunlichst auch auf sämtliche Politik. Sie bewahren die Contenance noch in den schlimmsten Momenten, lächeln einander immerfort an, schliesslich müssen am nächsten Tag noch die Bilanzen abgenickt werden. Da bleibt dem "Klassiker" nur noch die Rolle des Stichwortgebers.
Alexander Khuons Hamlet trägt kein Jackett, seine List allerdings ist weniger Wahnsinn als wohlfeiles Benehmen, ein Peter Pan im falschen Film, manchmal breitet er die Arme aus, als wolle er davonfliegen, und als habe er die Kölner Saisonvorschau studiert: "Ein Schwerpunkt des Spielplans wird Amerika sein, um darin unserem immer komplizierter werdenden Verhältnis zu diesem für uns, kulturell wie politisch, wichtigsten Partnerland nachzuspüren.
"Biljana Srbljanovic hat nach eigener Amerika-Erfahrung und vor allem nach dem 11. September 2001 ein Stück, vielleicht auch ein Drehbuch geschrieben: "God save America". Ursprünglich für die Berliner Schaubühne verfasst, dort auch vor gut anderthalb Jahren szenisch gelesen und anschliessend in die Schublade gelegt, gelangte es nun in Köln zur deutschsprachigen Erstaufführung. In unserem wichtigsten Partnerland leben die Leute in winzigen Apartements, auf die sie ewig lange warten mussten, Leute, die zig-mal soviel verdienen wie der Präsident, und die, wenn sie mal ihren Job verlieren, sofort vor dem Ruin stehen, weil sie sich immerzu sauteure Pantoffeln gekauft haben, statt mal ein bisschen auf die Seite zu legen.
Als europäische Einwanderer verzweifeln sie an ihren geizig-dummen amerikanischen Freunden, hinterlistigen Pförtnern, an unverschämten Kellnern, schüchternen Feinkostverkäuferinnen, geheimnisvollen, identitätsverwirrenden Vormietern - und ebenfalls eingewanderten, koksschniefenden russischen Gardemaß-Huren. Um dann im New Yorker U-Bahnschacht ihr Schicksal am bettelnden Penner erfüllt zu sehen und ihr bitteres Ende an einem imaginären schwarzen Jungen, der auf den Gleisen den heranbrausenden Zug erwartet.
Und das alles um die Weihnachtszeit, als auch Doris Day und Rock Hudson so manches Mal an der Drehtür scheiterten. Hamlet kam nicht bis Amerika geflogen; Karl Roßmann aus Franz Kafkas Romanfragment "Der Verschollene", später "Amerika", ist hier Biljana Srbljanovics Augenzeuge, und sie gibt ihrem Einwanderungsversager auch just diesen Namen. Die serbische Dramatikerin schrieb bessere Stücke, als sie sich noch auf die eigenen Augen verliess - in der "Belgrader Trilogie" oder den Familiengeschichten. Belgrad". Peter Wittenberg hat letzteres in den Münchner Kammerspielen inszeniert, "God save America" nun als Trash für Anfänger auf den Billig-Boulevard gelegt, auf dem Sven Walser als Kafkas Karl allenfalls einen sehr kleinen Geist mimen darf.
So klein, wie die Wander-Drehbühne von Sascha Gross, eher das Modell armes Theater, ein Setzkastensystem, das noch in jeder Ritze eine Spielfläche parat hält. Von Amerika lernen kann nur heissen: sparen lernen. Die Autorin hat zu teuer geschrieben, doch ihr Regisseur hat die Wirklichkeit "richtig erkannt und eingeschätzt". Damit wäre dem Grußwort des Intendanten wohl Genüge getan - aber auch dem Theater?