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Göbel: Da werden mit Waffen "einfach Fakten geschaffen"

In der weltberühmten Ahmed-Baba-Bibliothek von Timbuktu "hausen schon Ansar-al-Din-Kämpfer", sagt Alexander Göbel. Niemand wisse, ob die Islamisten die kostbare Sammlung von Manuskripten "für unislamisch halten" und zerstören werden, so der ARD-Korrespondent in Rabat.

Alexander Göbel im Gespräch mit Beatrix Novy | 31.07.2012
    Beatrix Novy: Seit die Islamisten, die im Norden Malis die Macht übernommen haben, nun auch Menschen gesteinigt haben im Namen der Scharia, seitdem mag man übers Kulturerbe gar nicht mehr reden, also über die im Namen Allahs zerstörten weltberühmten uralten Mausoleen und Bibliotheken. Aber schon Heinrich Heine schauderte es ja beim Anblick brennender Bücher, weil er ahnte, dort verbrennt man auch am Ende Menschen. Wie es derzeit im Norden Malis und im legendären Timbuktu aussieht, darüber ist unser Korrespondent Alexander Göbel gut informiert. Ihn habe ich gefragt: Wer sind denn die von uns als Islamisten wahrgenommenen Gruppen eigentlich, die zunächst als Helfer der Tuaregs gegen die Staatsmacht in Mali auftraten und jetzt dort ihre düstere Staatsidee verwirklichen wollen? Dazu Alexander Göbel:

    Alexander Göbel: Das ist zum Teil eine Gruppe, die sich aus Maliern zusammensetzt, also Menschen aus der Region, zum Beispiel auch der berühmt-berüchtigte Sprecher dieser Gruppe mittlerweile, Omar Ulta Mahar, das ist selbst ein Mann, der früher eigentlich ein ziemlicher Lebemann war, der auch aus der Region von Timbuktu stammt, mittlerweile aber auftritt mit einem rot gefärbten Bart, das ist der Bart der radikalen Islamisten, der auch ohne Patronengürtel und ohne Kalaschnikow nie aus dem Haus geht und in jedes Mikrofon sagt, dass Ansar al-Din, diese selbst ernannten Verteidiger des Glaubens, jetzt da sind, um die Scharia durchzusetzen in der gesamten Region. Es gibt eben viele Malier, die sich radikalisiert haben im Kampf für eine Unabhängigkeit des Nordens. Sie haben ja eine Zeit lang mit den LMNA-Tuareg zusammen gekämpft für dieses Ziel. Mittlerweile geht es ihnen aber mehr darum, wirklich die Scharia durchzusetzen, und die Radikalisierung hat wirklich um sich gegriffen, es gibt Männer aus Mauretanien dabei, es gibt Saudis, die dort gesehen werden, und vor allem auch Algerier. Und Algerien spielt ja eine ganz besondere Rolle in der Region, denn aus Algerien stammt ja eigentlich El Kaida im islamischen Maghreb, entstanden aus einer Rebellenbewegung der GSPC in den 90er-Jahren, und deswegen ist eine sehr, sehr heterogene Gruppe, die allerdings große Einflüsse hat auf die malische Bevölkerung dort.

    Novy: Wie heterogen muss man sich denn eigentlich diese Gruppe – Sie haben ja gerade geschildert, wie zusammengewürfelt die sind –, muss man sich die vorstellen' Kann man da, sollte man da überhaupt so ein Bild von Islamisten haben, und wie kamen denn diese sicher jungen Leute dazu, die Scharia zu ihrem Lebensbild zu machen, obwohl doch viele von ihnen, wie Sie sagten, Malier sind, also in einer sehr multikulturellen und toleranten Tradition aufgewachsen sind?

    Göbel: Also ich glaube, dass da schon auch Geld eine Rolle spielt. Der Norden Malis ist immer schon bitter arm gewesen. Und wer da mit entsprechenden Angeboten auch kommt – also sprich, El Kaida im islamischen Maghreb, oder auch Ansar al-Din –, trifft da wirklich auf offene Ohren, und deswegen gibt es auch eine große Zahl von Sympathisanten mit diesen Gruppen, zum einen, was eben Waffen angeht – Ansar-al-Din hat ja eine ganze Menge Waffen aus Libyen nach dem Zusammenbruch des Gaddafi-Regimes mitgebracht –, und es ist für sehr viele junge Leute dort eine interessante Alternative, so schlimm sich das anhört, eben für Ansar-al-Din zu kämpfen. Und eine unterschwellige Radikalisierung ist eigentlich auch nachvollziehbar, weil man den jungen Leuten angesichts eines sehr niedrigen Bildungsstandes auch leider sehr viel erzählen kann, und man sie deswegen auch dann unter Waffen zu Radikalen machen kann.

    Novy: Nun geschehen die furchtbarsten Untaten, erst Auspeitschungen, jetzt Steinigung. Auch das Entweihen und Schänden und Zerstören dessen, was wir als Weltkulturerbe sehen und was ja dort auch Heiligtümer waren, müsste doch eigentlich auch zumindest die malischen Jugendlichen in eine Zwiespalt mit ihren eigenen Familien und Traditionen bringen.

    Göbel: Das tut es zum Teil auch, aber die meisten, die diese Statuen zerstören, schaffen einfach Fakten mit Waffen, muss man sagen. Die Zerstörer werden ja bewacht dann auch von anderen Mit-Soldaten, von Mit-Söldnern, die da drum herum stehen um diese Mausoleen und die ganze Szene dann bewachen, da hat die Zivilbevölkerung, da haben auch die jungen Leute eigentlich keine Chance. Es gibt, soweit ich weiß, jetzt eine Gruppe, die sich auch selbst organisieren will, um gegen die Islamisten dort zu Felde zu ziehen, aber wenn man keine Ausrüstung hat, keine Waffen – man kann ja nicht mit Steinen oder mit Stöcken gegen Kalaschnikows kämpfen, das ist relativ aussichtslos. Aber die Spannung ist natürlich schon da, weil die Bevölkerung gerade in Timbuktu und Gao sich schon belagert fühlt von Islamisten, und man auch ganz klar sagt, hier hat seit Jahrhunderten ein mystischer Sufi-Islam geherrscht, das war die große Tradition in dieser Religion, die Menschen haben seit Jahrhunderten mit diesen wichtigen Bauwerken gelebt, die haben die Bauwerke gepflegt auch, und jetzt muss man tatenlos mit zusehen, wie diese Kultur zerstört wird, und Ansar-al-Din sagt ganz klar, wir lassen nicht zu, dass hier die Gebeine von Menschen – das sind ja alles frühere Gelehrte gewesen, die als Heilige verehrt werden –, dass diese Gebeine angebetet werden. Der einzige, der angebetet werden darf, der einzige, der der Beschützer sein kann dieser Städte, das ist eben Allah, und zu nichts anderem darf man beten. Das ist eine besonders radikale Auslegung des Islam.

    Novy: Und wie ist derzeit der Stand der zerstörten oder noch nicht zerstörten Heiligtümer und Kulturstätten?

    Göbel: Auf jeden Fall ist das Symbol Timbuktus als Perle der Sahara, als das schwarze Oxford, wie man es ja auch genannt hat, wirklich in Gefahr. Niemand weiß, ob die Islamisten eben nicht auch diese faszinierende, wirklich faszinierende Sammlung von mehreren Hunderttausend Manuskripten für unislamisch halten. Da sind eben auch wirklich mittelalterliche Aufzeichnungen dabei, die auch in der weltberühmten Ahmed-Baba-Bibliothek aufbewahrt werden. Auch hier hausen schon Ansar-al-Din-Kämpfer – das muss man sich wirklich vorstellen – zwischen den Schätzen der Weisheit hausen Männer mit rot gefärbten Bärten und Kalaschnikow-Gewehren. Da sind Schriften in dieser Bibliothek zu finden zu Religion, Geschichte, Philosophie, Astronomie, Mathematik, vielen anderen Gebieten der Wissenschaft, und das ist wirklich das Gedächtnis des Landes, und es ist wirklich eine absolut absurde Situation, dass diese Schätze bedroht werden von Islamisten dieser Couleur.

    Novy: Alexander Göbel war das über die Islamisten im Norden von Mali. Viel ausführlicher zu diesem Thema können Sie ihn heute Abend hier im Deutschlandfunk hören, in der Sendung Hintergrund um 18:40 Uhr, also in etwa einer Stunde.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.