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Görlitzer Park in Kreuzberg
Berliner Drogenumschlagplatz Nummer Eins

Der Görlitzer Park in Kreuzberg: Seit mehr als zehn Jahren verkaufen Dealer hier ihre illegale Ware. Während der Park für viele Touristen zum Sightseeing-Programm gehört, sind Anwohner mit Kindern genervt. Die Politik hat immer neue Vorschläge für die Bekämpfung des Problems, doch erfolgreich sind sie nicht.

Von Claudia van Laak | 09.08.2019
Polizisten führen nach einer Razzia im Görlitzer Park in Berlin im Bezirk Kreuzberg vorläufig festgenommene, mutmaßliche Drogenhändler in Handschellen ab, aufgenommen 2014
Drogen-Razzia im Görlitzer Park in Berlin (dpa/Bernd von Jutrczenka)
Samstagabend im Görli, süße Rauchschwaden liegen in der Luft. Am Eingang des wie ein langes Rechteck im Berliner Stadtteil Kreuzberg liegenden Parks stehen Jugendliche in blütenweißen T-Shirts und gebügelten Hosen, auf den ersten Blick als Nicht-Berliner zu erkennen. Gymnasiasten aus München, zum Drogenkauf in Berlin.
"Marihuana? How much? Five grams, 50 Euro."
Ein Gramm Marihuana für zehn Euro, das ist der normale Preis im Görlitzer Park. Gedealt wird kaum versteckt auch in den Nebenstraßen und auf den U-Bahnhöfen Görlitzer Bahnhof und Kottbusser Tor, durchsichtige Plastiktütchen und Geldscheine wechseln den Besitzer.
200 Drogendealer meist aus Schwarzafrika
"Hier wird relativ viel Geld gemacht. Also so ein Platz, den man hat, die sind zugewiesen, die sind ausdiskutiert. Wenn man hier durchgeht, denkt man, die stehen irgendwo, aber das ist nicht so. Nein, das sind starke Revierkämpfe, die manchmal mit Gewalt ausgefochten werden", sagt die grüne Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann.

200 Drogendealer hat der Bezirk gezählt, die allermeisten junge Männer aus Schwarzafrika, viele von ihnen ohne Papiere. Sie lungern in kleinen Gruppen an den Eingängen zum Görli herum und in den Nebenstraßen, besetzen die Bänke im Park. Zuletzt ist die Zahl der Gewalttaten gestiegen, das hat auch den seit Jahren an- und abschwellenden Empörungspegel in Berlins Lokalmedien wieder ansteigen lassen.
Die Grünanlage im Stadtteil Kreuzberg ist Treffpunkt für Drogendealer und Konsumenten. Polizisten kontrollieren einen Mann vor einer Mauer mit Graffitis
Polizisten kontrollieren einen Mann im Görlitzer Park. (dpa/ Paul Zinken)
"Nachts hört man häufig die Streitereien, sie nehmen zu. Und vor zehn Tagen bin ich morgens um 7 Uhr beim Bäcker, und das erste, was der Nachbarschaftstratsch berichtet, dass da nachts jemand niedergestochen wurde in der Straße", erzählt Holger Michel. Seit 15 Jahren wohnt er in einer Dachwohnung mit Blick auf den Park, zunehmend genervt von den aufdringlichen Drogendealern, die schon morgens in seinem Hauseingang stehen, wenn er zur Arbeit will.
"Das hat sich verändert. Also früher, wenn man vorbeiging, wurde immer gefragt, willst Du was zu rauchen? Und heute wird man gefragt: Willst Du was zu rauchen oder willst Du Heroin, Kokain, Ecstasy und dann noch drei Drogen, die mir nichts sagen. Es hat sich verändert, es wird anderes verkauft als früher."
Kinder unter genauer Beobachtung der Eltern
Wer unbeirrt und starren Blickes die Dealer ignoriert und weiter in den Görlitzer Park hineingeht, der trifft auf der Grillwiese türkische und libanesische Großfamilien. Hier wird Federball gespielt, dort jongliert jemand mit sechs roten Bällen. Kinder sausen eine breite Metallrutsche hinunter - allerdings immer unter genauer Beobachtung ihrer Eltern. Hassan Yoma zieht an einer Wasserpfeife und seufzt. Die Dealer gehen auch ihm und seiner Frau auf die Nerven.
"Also wirklich sehr schlecht, der Umgang, wegen der Kinder, nicht schön, meine Tochter habe ich extra zu Hause gelassen."
"Ich finde das traurig, dass ich die Kinder nicht aus den Augen lassen kann. Kann ich nicht. Ich habe die ganze Zeit Angst."
"Am besten wäre eine Polizeiwache hier, die lassen sich nicht abschrecken, nicht vertreiben."

Die Dealer haben ihre Drogen gebunkert - in einem Erdloch, im Mülleimer, auf dem Vorderreifen eines parkenden Autos. Wenn die Polizei kontrolliert, haben sie meist nur wenige Gramm dabei. In Berlin gelten bis zu 15 Gramm Marihuana als Eigenbedarf - von einer Strafverfolgung kann abgesehen werden. 15 Gramm - das ist bundesweit der höchste Wert, in Bayern liegt die Grenze bei sechs Gramm.
Müll und Graffiti im Görlitzer Park in Berlin Kreuzberg-Friedrichshain, aufgenommen 2012
Müll und Graffiti im Görlitzer Park (imago/tagesspiegel)
"Mit 15 Gramm Cannabis kann man nach meinen Informationen 45 Joints drehen", weiß Burkhardt Dregger, Innenpolitiker und Fraktionsvorsitzender der oppositionellen CDU im Abgeordnetenhaus.
"Die Polizei leistet dort Immenses, aber sie wird frustriert, weil sie letztlich keine Erfolge erzielt, weil sie die schlechte Situation nicht verbessern kann. Wir brauchen also eine Null-Toleranz-Strategie, die eben vorsieht, dass im Görlitzer Park Drogenbesitz vollständig strafbar ist, ein Eigenbedarf nicht zulässig ist."
Zweifel an Null-Toleranz-Strategie
Die von der CDU geforderte Null-Toleranz-Strategie für den Görlitzer Park gab es schon einmal, unter dem letzten christdemokratischen Innensenator. Mit wenig Erfolg, sagt die grüne Bezirksbürgermeisterin Hermann bestimmt, das sei totaler Quatsch gewesen.
"Man muss sich das so vorstellen: Von einer Seite kam die Polizei, auf der anderen Seite rannten die Dealer raus. Die Polizei war nach einer Viertelstunde weg, dann waren die Dealer wieder da."
Mann sieht einen Mann von hinten in gründer Jacke, auf dem "Parkläufer" steht. Parkläufer arbeiten im Berliner Görlitzer Park als eine Art Sozialvermittler zwischen Drogendealern und Polizei.
Parkläufer arbeiten im Berliner Görlitzer Park als eine Art Sozialvermittler zwischen Drogendealern und Polizei. (imago/Jakob Hoff)
Auch der jetzige SPD-Innensenator Andreas Geisel hält nichts von einer Null-Toleranz-Strategie im Görlitzer Park. Die 15-Gramm-Grenze für Cannabis sei sinnvoll, sie entlaste die Justiz.
"Es ist eine Sisyphusarbeit an der Stelle. Wir bilden uns nicht ein, Kriminalität zu bekämpfen. Äh, bekämpfen schon, aber nicht zu beseitigen. Für uns ist wichtig, dass die Begleitkriminalität, die mit dem Drogenhandel verbunden ist, also Raubüberfälle, Gewalttaten, die Frage der Sicherheit in den Parks vor allem von der Polizei gewährleistet wird."
Der grün regierte Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat einen Parkmanager eingesetzt, die Stadtreinigung sammelt täglich leere Pizzakartons, gammelige Matratzen und Heroinspritzen ein. Die Dealer bleiben. Das Geschäft läuft super, weiß Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann.
"Wir reden immer über die Dealer. Wir leben aber in einem schnöden kapitalistischen System. Solange gekauft wird, wird auch verkauft. Jeder, der hier kauft, stabilisiert die Situation."