Noltze: Das heißt, Sie würden in dieser überraschenden Bereitschaft, so einen Lesesaal zuzulassen keinen tagespolitischen strategischen Hintersinn sehen wollen?
Schmelter: Nein, die Koreaner im Norden haben oft genug uns glaubhaft nicht nur zu erkennen gegeben sondern sie haben es auch bewiesen in den dann folgenden Projekten, sowohl in den Formen wie auch durch die Inhalte solcher Projekte, dass sie ernsthaft an dieser Zusammenarbeit interessiert sind, dass sie in dieser Zusammenarbeit ganz offensichtlich wohl auch eine erste relativ unpolitische Schiene sehen, um zu beweisen, dass sie bereit sind, sich in gewissen Bereichen zu öffnen vor allem eben auch im Informationsbereich. Und die Verhandlungen über den Vertrag der dann zwischen dem Goethe-Institut und dem hier zuständigen Komitee für kulturelle Beziehungen mit dem Ausland geschlossen worden ist, verlangt und sagt klipp und klar, dass die koreanische Seite natürlich den freien und ungehinderten Zugang für alle Bürger des Landes garantieren muss und dass die im Lesesaal angebotenen Medien natürlich auch frei und unzensiert dort zu lesen sind.
Noltze: Offiziell heißt es Vermittlungsstelle für deutsche wissenschaftliche und technische Literatur, Herr Schmelter, das klingt nicht nach Literatur.
Schmelter: Hier sieht es so aus, dass neben einem Schwerpunkt für wissenschaftliche und technische Literatur aus Deutschland eben alle anderen Medienbestände über alle Themenbereiche informieren, die im Zusammenhang mit Deutschland interessant sind, also Gesellschaft, Erziehung, Ausbildung, Kultur selbstverständlich mit allen Themenbereichen, aber auch Sprache, auch Recht, auch Geschichte, Zeitgeschehen, es ist also kein Bereich, der ausgelassen worden ist und Sie finden auch in diesem Informationszentrum alle modernen Medien, wie Sie sie in einem modernen Informationszentrum erwarten dürfen. Natürlich haben wir PCs, natürlich haben wir DVDs, CD-ROMs, Videos, Tageszeitungen, Nachrichtenmagazine aller Couleur, so wie es sich gehört.
Noltze: Der kulturpolitische Erfolg ist groß, aber man kann natürlich auch fragen, ist es sinnvoll, sich mit einem Staat wie Nordkorea überhaupt einzulassen der an Atomwaffen bastelt, wo es um die Menschenrechte schlecht steht?
Schmelter: Ich verweise in dem Zusammenhang eigentlich gern auf unsere eigene Geschichte. Wir wissen, dass andere politische Systeme eigentlich dadurch, dass man in sie hineingeht mit seinen eigenen Informationen, mit seinen eigenen Ideen mit seinen eigenen Weltanschauungen und Vorstellungen ja nicht gestärkt werden. Nicht nur der kulturpolitische sondern überhaupt der Dialog ist ja nicht per se ein wie auch immer, in welche Richtung auch immer systemerhaltendes Element, sondern es ist ein systembereicherndes Element.
Noltze: Bleibt nur die Frage, ob die Nordkoreaner das wissen, dass Sie mit einer möglicherweise destabilisierenden Wirkung ins Land kommen.
Schmelter: Es hat nicht unsere Aufgabe zu sein, in irgendeiner Weise zu stabilisieren oder gar zu destabilisieren. Wenn ein Dialog gewünscht wird aus einem Land wie aus der Republik Korea heraus, warum sollte insbesondere eine Institution wie das Goethe-Institut, deren Arbeitsauftrag in der Pflege des internationalen kulturellen Dialoges und der kulturellen Zusammenarbeit besteht, warum sollte sich eine solche Institution dann diesem Dialogbegehr verwehren?
Noltze: So soll es sein. Das war Uwe Schmelter, Leiter des Goethe-Instituts Seoul und seit heute auch des Goethe-Lesesaals im nordkoreanischen Pjöngjang.