Faust 1, das deutsche Urstück, entsteht bei Laurent Chétouane aus Stille - in einem Raum mit karger Probebühnenatmosphäre. Sechs Schauspieler und zwei Tänzer in Arbeitskleidung durchmessen den Raum mit ihren Armen, durchschreiten ihn lautlos, legen sich auf den Boden, krabbeln auf allen Vieren, kuscheln sich zusammen.
Erst als der Raum erkundet ist, erklingen die ersten Worte - und dann wird der Text einfach so dem Raum ausgesetzt, fast ohne Handlung, nur durch die gedehnte, spezielle Sprechweise und die lautlosen Bewegungen der Schauspieler. Laurent Chétouane hat den Faust entkernt, auseinandermontiert und ganz fremd wieder zusammengesetzt. Die Zueignung, das Vorspiel, der Prolog und die wohlbekannten Anfangssätze sind gestrichen. Statt dessen beginnt es mitten in Fausts Monolog.
Das grenzt an eine Neuentdeckung. Fremd, sperrig und wunderschön ragen die Sätze in den Raum, als würde man sie zum ersten Mal hören. Abwechselnd wandern sie durch die sechs Schauspieler, die abwechselnd zu Faust, Mephisto, bösen Geistern und Gretchen werden. Es ist ein theatralischer Sprachgottesdienst und eine puristische Textfeier. Wer sich nicht konzentriert, hat verloren.
"Wo bist du Faust, des Stimmes mir erklang, der sich an allen Kräften sich an mir erdrang?
Ich bins, Faust, bin deinesgleichen.
In Lebensfluten, wall ich auf und ab, geh hin und her, ein wechselnd Lebend, ein glühend Leben.
Der du die weite Welt umschweifst, geschäftiger Geist,
Du gleichst dem Geist, den du begreifst, nicht mir!
Ich Ebenbild der Gottheit... und nicht einmal dir!
Ach Gott, lang ist die Kunst und kurz ist unser Leben."
Lang ist die Kunst und kurz das Leben - das könnte auch als Leitspruch über dem vierstündigen Abend in der Kölner Halle Kalk stehen. Er ist eine Zumutung, eine permanente Überforderung, gerade, weil er die Sinne unterfordert. Es bleibt nichts als Zuhören, um aus der eigenen Langeweile zu entfliehen - das fordert dem Zuschauer einen eisernen Willen zur Sprachhingabe ab.
Doch wenn man einmal hineingefunden hat, fühlt man sich beruhigt und erfrischt wie bei einer Meditation. Doch da vier Stunden meditieren auch nicht ganz einfach ist, unterläuft Chétouane seine eigene, provokative Künstlichkeit zum Glück manchmal selbst. Zum Beispiel, wenn Faust auf dem Osterspaziergang den unheimlichen Pudel entdeckt - dann hechelt und knurrt Carlo Ljubek in einem Fernseher so laut, dass ein anderer den Fernseher streichelt und schlägt, um ihn wieder zur Raison zu bringen. Ein ironischer Hinweis, dass selbst so naturhafte Realitäten wie die von Haustieren heute eben doch eher auf virtuellen Bildschirmen zuhause sind.
An die Grenzen der Zumutbarkeit gerät die Vorstellung, wenn in der Hexenküche quälende zehn Minuten erst einmal gar nichts passiert, bis vor Lachen kreischende Schauspieler eine Art Kindergeburtstag aufführen, auf Kisten trommeln und albern herumhüpfen, während Goethes Text zu Wortfetzen verstümmelt wird - da kommen Aggressionen auf.
Doch als die Gretchen-Handlung einsetzt, steigert sich der Abend zu ungeahnter emotionaler Dichte. Patrycia Ziolkowska, Eve Kolb und Julia Wieninger sind zu dritt ein atemberaubend trauriges, facettenreiches Gretchchen: beklagenswert, bodenständig, unschuldig. Als ihre Ruh endgültig hin ist, wälzen sich zwei Gretchen mit aufgerissenen Augen auf einer Matratze, während sich Patrycia Ziolkowska an der Wand abstützt und immer wieder abrutscht, sich immerzu hinsetzen will und sofort aufstehen muss: ein ungeheures Bild von existentieller Verlorenheit.
Auf einmal geht die Geschichte vom verführten einfachen Mädchen uns alle an: Zu getupften Klaviertönen rotieren die Schauspieler auf einem Kreidekreis wie Planeten im Raum und wandern sich in Trance, rufen rhythmisch nach Luft und Licht, weil Gretchen im Kerker sitzt, einige haben Tränen in den Augen. Eine steckt sich Blumen in den Pullover, als würde sie schon unter der Erde liegen. Zum Schluss wird Gretchen keinesfalls erlöst wie bei Goethe - sondern sagt einfach nur: Heinrich, mir graut vor dir. Und so geht es uns auch.
Tief dringt die Inszenierung in den Zuschauer ein, der nach den vielen Stunden Konzentration so ermüdet ist, dass er sich kaum noch gegen seine Überwältigung wehren kann. Laurent Chétouane, der umstrittene Regisseur, dem so oft die eitle Koketterie mit der Kunst und der Künstlichkeit vorgeworfen wurde, der so oft für leere Reihen und tumultartige Buhrufe gesorgt hat - diesmal schafft er es, ein Seelendrama unter die Haut zu bringen. Und fast alle sind sitzen geblieben.
Erst als der Raum erkundet ist, erklingen die ersten Worte - und dann wird der Text einfach so dem Raum ausgesetzt, fast ohne Handlung, nur durch die gedehnte, spezielle Sprechweise und die lautlosen Bewegungen der Schauspieler. Laurent Chétouane hat den Faust entkernt, auseinandermontiert und ganz fremd wieder zusammengesetzt. Die Zueignung, das Vorspiel, der Prolog und die wohlbekannten Anfangssätze sind gestrichen. Statt dessen beginnt es mitten in Fausts Monolog.
Das grenzt an eine Neuentdeckung. Fremd, sperrig und wunderschön ragen die Sätze in den Raum, als würde man sie zum ersten Mal hören. Abwechselnd wandern sie durch die sechs Schauspieler, die abwechselnd zu Faust, Mephisto, bösen Geistern und Gretchen werden. Es ist ein theatralischer Sprachgottesdienst und eine puristische Textfeier. Wer sich nicht konzentriert, hat verloren.
"Wo bist du Faust, des Stimmes mir erklang, der sich an allen Kräften sich an mir erdrang?
Ich bins, Faust, bin deinesgleichen.
In Lebensfluten, wall ich auf und ab, geh hin und her, ein wechselnd Lebend, ein glühend Leben.
Der du die weite Welt umschweifst, geschäftiger Geist,
Du gleichst dem Geist, den du begreifst, nicht mir!
Ich Ebenbild der Gottheit... und nicht einmal dir!
Ach Gott, lang ist die Kunst und kurz ist unser Leben."
Lang ist die Kunst und kurz das Leben - das könnte auch als Leitspruch über dem vierstündigen Abend in der Kölner Halle Kalk stehen. Er ist eine Zumutung, eine permanente Überforderung, gerade, weil er die Sinne unterfordert. Es bleibt nichts als Zuhören, um aus der eigenen Langeweile zu entfliehen - das fordert dem Zuschauer einen eisernen Willen zur Sprachhingabe ab.
Doch wenn man einmal hineingefunden hat, fühlt man sich beruhigt und erfrischt wie bei einer Meditation. Doch da vier Stunden meditieren auch nicht ganz einfach ist, unterläuft Chétouane seine eigene, provokative Künstlichkeit zum Glück manchmal selbst. Zum Beispiel, wenn Faust auf dem Osterspaziergang den unheimlichen Pudel entdeckt - dann hechelt und knurrt Carlo Ljubek in einem Fernseher so laut, dass ein anderer den Fernseher streichelt und schlägt, um ihn wieder zur Raison zu bringen. Ein ironischer Hinweis, dass selbst so naturhafte Realitäten wie die von Haustieren heute eben doch eher auf virtuellen Bildschirmen zuhause sind.
An die Grenzen der Zumutbarkeit gerät die Vorstellung, wenn in der Hexenküche quälende zehn Minuten erst einmal gar nichts passiert, bis vor Lachen kreischende Schauspieler eine Art Kindergeburtstag aufführen, auf Kisten trommeln und albern herumhüpfen, während Goethes Text zu Wortfetzen verstümmelt wird - da kommen Aggressionen auf.
Doch als die Gretchen-Handlung einsetzt, steigert sich der Abend zu ungeahnter emotionaler Dichte. Patrycia Ziolkowska, Eve Kolb und Julia Wieninger sind zu dritt ein atemberaubend trauriges, facettenreiches Gretchchen: beklagenswert, bodenständig, unschuldig. Als ihre Ruh endgültig hin ist, wälzen sich zwei Gretchen mit aufgerissenen Augen auf einer Matratze, während sich Patrycia Ziolkowska an der Wand abstützt und immer wieder abrutscht, sich immerzu hinsetzen will und sofort aufstehen muss: ein ungeheures Bild von existentieller Verlorenheit.
Auf einmal geht die Geschichte vom verführten einfachen Mädchen uns alle an: Zu getupften Klaviertönen rotieren die Schauspieler auf einem Kreidekreis wie Planeten im Raum und wandern sich in Trance, rufen rhythmisch nach Luft und Licht, weil Gretchen im Kerker sitzt, einige haben Tränen in den Augen. Eine steckt sich Blumen in den Pullover, als würde sie schon unter der Erde liegen. Zum Schluss wird Gretchen keinesfalls erlöst wie bei Goethe - sondern sagt einfach nur: Heinrich, mir graut vor dir. Und so geht es uns auch.
Tief dringt die Inszenierung in den Zuschauer ein, der nach den vielen Stunden Konzentration so ermüdet ist, dass er sich kaum noch gegen seine Überwältigung wehren kann. Laurent Chétouane, der umstrittene Regisseur, dem so oft die eitle Koketterie mit der Kunst und der Künstlichkeit vorgeworfen wurde, der so oft für leere Reihen und tumultartige Buhrufe gesorgt hat - diesmal schafft er es, ein Seelendrama unter die Haut zu bringen. Und fast alle sind sitzen geblieben.