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Götterbote auf Abwegen

Astronomie. – Von den inzwischen nur noch acht Planeten unseres Sonnensystems ist Merkur in der unbequemsten Lage. Er wird von den Gravitationskräften der Sonne und des Jupiter hin und hergerissen und könnte dank des Gezerres eines fernen Tages sogar unser Sonnensystem verlassen.

Von Guido Meyer | 27.05.2008
    Fast nichts ist so einfach, wie es scheint, schon gar nicht sind es die Gesetze der Himmelsmechanik. Zwar ist es im Prinzip die massereiche Sonne, die durch ihre Anziehungskraft die acht Planeten auf ihren Positionen hält. Aber diese stehen eben auch in gravitativen Wechselwirkungen zu all ihren Nachbarn und beeinflussen ihre Umlaufbahnen gegenseitig, wie Konstantin Batygin vom Lick Observatorium in Santa Cruz erklärt.

    "Das gesamte Sonnensystem ist chaotisch. Seine weitere Entwicklung hängt stark von seinen Anfangsbedingungen ab. Kleine Ungenauigkeiten zu Beginn können unterschiedliche Konsequenzen haben. Von allen Planeten gilt dies besonders für Merkur. Seine Umlaufbahn um die Sonne ist instabil aufgrund der Wechselwirkungen, die er mit Jupiter und mit der Venus hat, aber auch mit den übrigen Planeten."

    Merkur ist nicht nur der sonnennächste Planet, er ist auch der kleinste. Der Gasriese Jupiter hingegen ist der größte und nach der Sonne das massereichste Objekt unseres Sonnensystems, das mit seiner Anziehungskraft am viel kleineren und leichteren Merkur zieht – und zwar in entgegengesetzter Richtung der Sonne, nach außen also. Merkur ist somit zwischen Jupiter und Sonne hin- und hergerissen. Diese Wechselwirkung kann sich aufschaukeln, prophezeit der Astronom und Astrophysiker Gregory Laughlin von der University of California.

    "Irgendwann in den nächsten fünf Milliarden Jahren werden Jupiter und Merkur in eine Resonanz zueinander treten. Die Umlaufrate Jupiters wird dann etwa einem Vielfachen der Umlaufzeit Merkurs entsprechen. Dies führt dazu, dass Jupiter in regelmäßigen Abständen an Merkur zieht. Dessen Orbit wird dann elliptischer und dehnt sich aus. Er könnte dabei sogar über die Umlaufbahn des nächsten Planeten Venus hinausreichen. Die Wechselwirkungen zwischen Venus und Merkur würden diesen weiter destabilisieren."

    Schon heute ist die Umlaufbahn Merkurs nicht stabil, weil sowohl Sonne als auch Jupiter an ihm ziehen. Kommt dann mit der Venus noch ein dritter Körper ins Spiel, könnte dieser entscheiden, wer das Tauziehen gewinnt. Merkurs Umlaufbahn wird immer exzentrischer und elliptischer, reicht einerseits immer weiter hinaus ins Planetensystem und andererseits immer näher an die Sonne heran. In mehr als eintausend Simulationen haben die Astronomen berechnet, was am Ende mit Merkur passieren könnte. In einem Szenario stößt er mit dem Nachbarplaneten Venus zusammen, in einem anderen mit der Erde. Wahrscheinlicher ist aber ein unauffälliger Wanderungsprozess ins äußere Sonnensystem. Batygin:

    "Vorausgesetzt Merkur verfehlt sowohl Venus wie Erde und entkommt, dann wird das innere Sonnensystem danach stabiler sein. Mit Merkur aus dem Spiel sinkt die Gefahr, dass Venus, Erde und Mars chaotisch werden."

    Frühestens in vierzig Millionen Jahren dürfte diese mögliche, neuerliche Verkleinerung unseres Sonnensystems anstehen, der ersten seit der Degradierung Plutos. Die Gegenleistung für den Verlust eines weiteren Planeten ist Stabilität für die Erde. Gregory Laughlin:

    "”Das Fehlen Merkurs würde sich auf die Erdumlaufbahn überhaupt nicht auswirken. Es wäre sogar ein Plus, Merkur aus der Gefahrenzone zu wissen. Für die Erde wäre das Szenario eines Sonnensystems ohne Merkur ein sicheres, da das restliche Planetensystem dann mit hoher Wahrscheinlichkeit für lange Zeit stabil wäre.""