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"Götterdämmerung" in der Aix-en-Provence

Mit Richard Wagners "Ring des Nibelungen" will Aix-en-Provence seine neue Mehrzweckhalle am Rand der Altstadt als einen Top-Spielort für das Musiktheater etablieren. Das Berliner Philharmonische Orchester mit Chefdirigent Simon Rattle hat nun mit der "Götterdämmerung" die Tetralogie zum Abschluss gebracht.

Von Frieder Reininghaus | 04.07.2009
    Am späten Nachmittag, bei einer mediterranen Außentemperatur von rund 39° im Schatten, taucht die Musik in der gut gekühlten Halle ins Halbdunkel der nordischen Mythologie. Drei Nornen, die wohl selbst heftigere Schicksalsstürme nicht so einfach umzublasen könnten, hantieren vor den drei einsam auf der Bühne stehenden Empire-Stühlen mit einem unendlichen Seil. Sie rekapitulieren die Vorgeschichte der finalen Versuchsanordnung des "Rings" und raunen von der noch dunkleren Zukunft, während die Musik in epischer Breite sich im Formelvorrat der Leitmotive einrichtet. Trotz etlicher Stipendiaten, welche die womöglich andernorts für Glanz sorgenden Philharmoniker ersetzen, bleibt das Berliner Nobelorchester ein hochleistungsfähiger Klangkörper. Kaum lässt sich entscheiden, ob kleine Einbußen hinsichtlich der Homogenität und der Präzision bei den Einsätzen aufs Konto der Substituten oder des in Operndingen so weitgehend unerfahrenen Dirigenten gehen. Viele Details funkeln. Die Streicher wirken gegenüber dem Vorjahr disziplinierter und eher unterordnungswillig. Das Blecht trumpft mitunter wieder auf, als stünde Preußens Glanz und Gloria noch einmal zur Disposition - doch mitunter betört es mit samtweichem Piano.
    Die Bläser, jeder bekanntlich ein Solist, stolzieren im vollen Bewusstsein der satztechnischen Originalitäten Wagners Richtung Isenland, wo - in einem hermetischen metallischen Geviert - die Walküre Brünnhilde und der hehrste Held Siegfried aus der einmaligen Liebesnacht erwachen, welche die Vorsehung ihnen bescherte.
    Mit Katarina Dalayman und Ben Heppner haben sich da zwei Sänger gefunden, die nicht nur mit ihren "Heil"-Rufen noch überm Pegel der Kapelle liegen.
    Dalayman erwacht rasch zu voller Stimmkraft, Heppner scheint wg. den Strapazen des One-Night-Stands und der vier Seereisen, die er in kürzester Zeit zu absolvieren hat, fortdauern etwas matt.
    In Worms beraten der finstere Hagen - wunderbar dargestellt vom überdeutlich artikulierenden schlanken russischen Bassisten Mikhail Petrenko - sowie seine Halbgeschwister Gunter und Gutrune die bislang nicht sonderlich günstig geregelten Familienangelegenheiten auf sieben Stufen, die ins Nichts führen. Das ist womöglich ebenso symbolisch zu nehmen wie die beiden Betten, die nach der ungeheuren Intrige gegen Brünhilde mit den beiden Paaren in die nun etwas baumbepflanzte Leere fahren. Die beiden Damen im Negligé - die todunglückliche Brünnhilde wie aus den Nachtmoden-Seiten des Otto-Katalogs gepellt, Emma Vetter als Gutrune wie ein vollschlankes Quelle-Modell.

    Auch die Wasserlichtspiele am Bühnenhimmel über den Rheintöchtern, welche den fatalen, mehrfach verfluchten Ring des Nibelungen seines Goldes wegen endlich (zurück-)bekommen möchten und daher ihr Bestes bieten, können der unbeschreiblich uninspirierten, zäh sich dahinschleppenden Inszenierung von Stéphane Braunschweig kaum aufhelfen. Auch die bereits mehrfach gezeigte Treppe nicht, die am Ende himmelan verlängert wird und als kalte Chiffre ratloser Regie Siegfrieds schnöden Tod wie die anmaßende Schlussansprache seiner Lebenskurzstreckenpartnerin Brünnhilde überragt. Es ist da alles, wie es halt ist - nichts wird interpretiert, kontrapunktiert oder gar in Frage gestellt. Aber in immer neuen Anläufen schäumt die Musik auf, wenn sie nicht auch im Kontext der unsäglichen Redunanzen der Musik ins Stocken gerät. So ist's am Ende, als werde Schlagsahne an Diätzwieback serviert. Wahrhaftig ein mediterranes Festspiel-Menü!