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Göttinger Forscher warnt vor klimabedingten Schlammlawinen

Die Hochgebirge gehören zu den Regionen, die unter dem Klimawandel schon jetzt zu leiden haben: Es wird wärmer, Gletscher schmelzen, Erdrutsche und Lawinen ereignen sich an Orten, wo man sie früher nie gekannt hatte. Den Bewohnern dieser Regionen bleibt nichts anderes übrig als sich anzupassen: Teure Schutzbauwerke oder die Verlegung von Siedlungen sind oft die einzigen Möglichkeiten. Hilfe bekommen sie dabei von Forschern aus Göttingen, die untersuchen, welche Regionen besonders betroffen sind und welche nicht. Carolin Hoffrogge über die Kartierung des Klimawandels.

von: Carolin Hoffrogge |
    Gut eingepackt in Thermounterwäsche und dicker Daunenjacke stapft Professor Matthias Kuhle vier Monate im Jahr durch den Himalaja und das Karakorumgebirge. In diesen Gebirgsmassiven untersucht er die Veränderungen der Dauerfrostgrenze. Mit dabei sind zwei Göttinger Forscherkollegen und 30 einheimische Träger, die ihm helfen, mit Brecheisen und Hammer Boden- und Gesteinsproben zu nehmen. Aber auch Hightech-Geräte haben sie bei ihren Expeditionen dabei, messen damit die Steilhänge und Gebirgsrücken der hohen Berge aus. Oftmals sitzt Matthias Kuhle da und zeichnet mit Stift und Papier Skizzen von der Landschaft oder nimmt Panoramafotos von ihr auf. All das eignet sich hervorragend für die Aussagen über Klimaveränderungen.

    Matthias Kuhle: Der Himalaja spielt eine ganz zentrale Rolle für mich, weil das Himalaja-Gebirge durch seine extreme Vertikaldistanz, also durch seine Höhenunterschiede, natürlich wissenschaftlich besonders exemplarisch interessant ist. Für alle Prozesse, die man weltweit im Gebirge untersuchen kann, ist das Karkorum-System wohl paradigmatisch.

    Während seiner mittlerweile 30jährigen Forschung hat Kuhle herausgefunden, dass sich der Boden um ca. ein Grad erwärmt hat. Dieses eine Grad bewirkt, dass sowohl die Dauerfrostgrenze im Boden als auch die Schneegrenze um 5o bis 100 Meter nach oben rücken: mit einer erheblichen Auswirkung auf die Landschaft, denn dieses sogenannte Lockermaterial, was bisher von dem Bodenfrost gehalten wurde, löst sich durch Schmelzwasser oder durch starken Regen ab. Jetzt besteht Gefahr.

    Matthias Kuhle: Diese Breitlage dieser Schuttdeponien, die bisher nicht breit lagen, führt dazu, dass tatsächlich in der Tat verstärkte Prozesse von Schlammlawinen, von sogenannten Muren, einsetzen können im Falle der Erwärmung. Das lässt sich im Karakorum ganz gut zeigen inzwischen. Wir haben in diesem Jahr Untersuchungen gerade zu diesem Punkt machen können und es scheint mir evident, dass also die Erwärmung auch in der Anhebung dieser Permafrostlinie nachweisbar und für die Gefährdung von Wegesystemen, von Straßen oder auch von Siedlungsräumen, von Fluren, durchaus ursächlich sein kann.

    Die Menschen vor Ort in Hochasien seien vorsichtig genug, haben einen hohen Respekt vor der Natur, siedeln deshalb hauptsächlich in sicheren Gebieten, so Schlammforscher Kuhle. In den Alpen sieht das schon anderes aus, hier bestimmen oft mangelnder Respekt oder Unkenntnis die Siedlungsstruktur. Mit der zunehmenden Erderwärmung steigt die Gefahr der Schlammlawinen aber auch in dem europäischen Hochgebirge, warnt der Göttinger Kuhle.

    Matthias Kuhle: Nun macht man natürlich auch in Italien seit Generationen was und überall in den Alpen gibt es Murenverbauungen, Wildverbauungen. Ob man genug macht, ist lediglich die Frage und das gilt auch für's Himalajagebiet. Die machen seit Generationen ´was. Aber es ist in der Tat so, dass in diesem Jahr von uns einige Muren und Schlammströme teilweise aktuell und teilweise nur in ihren Wirkungen und Strömen beobachtet werden konnten, die mit dieser Anhebung der Permafrostgrenze korrelieren.

    Experte Kuhle appelliert an die Regierungen in Europa, aber auch in Asien, Geld zur Verfügung zu stellen, um die umfangreichen Kartierungen aller ehemaligen Gletschergebiete durchzusetzen. Also der Regionen, wo während der Eiszeit große Gletscher vorkamen.

    Matthias Kuhle: Wenn man eine solche Karte erstellt, kann man sagen: Dieses Gebiet ist stärker gefährdet als jenes Gebiet und fast alle Hochgebirge in Bezug auf ihre Gefährdung profitieren erstens von der Steilheit des Reliefs. Das liegt nahe: Je steiler, desto gefährlicher ist es. Zweitens: Wenn ein solches Hochgebirge und das gilt für alle Gebiete, in denen ich in den letzten Jahren immer gearbeitet habe, eiszeitlich vergletschert gewesen ist und zwar noch viel stärker als heute. Während der Eiszeit waren riesige Gletscher in diesen Tälern kann man an mit Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen: Da liegen Schuttkomponenten, die locker sind, zum Abbrechen, in ganz großer Höhe an den Hängen in enormer Menge.

    Diese Karten sind laut Professor Matthias Kuhle für die Menschen vor Ort lebensrettend, weil sie anzeigen, wo die Schlamm- und Geröll-Lawinen durch die globale Erwärmung in Zukunft herunterkommen könnten.