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Gold

"God is dead and no one cares" - mit diesem Motto eröffnet der neue, nunmehr zweite Roman von Ralf Bönt, in dem er tatsächlich von der ersten Seite an mit einem auch neuen, so ganz anderen Ton überrascht als noch in seinem Debütroman "Icks." Wälzte sich dessen gleichnamiger Held noch in einem gewundenen Selbstbespiegelungsmonolog, so spielt Bönt nun mit genau jenen wohlbekannten Klängen von glattem Zynismus und kalkulierter Kaltschnäuzigkeit, die seit einiger Zeit so gerne auf der gesellschaftlichen Tagesordnung stehen. Zwar gibt sich der Roman auf den ersten Blick als eine Liebesgeschichte zweier Paare im Berlin der 90er Jahre zwischen Weihnacht und Sylvester aus. Doch das erweist sich bald als Tarnkappe für den bösen Abgesang, den Bönt auf den narkotisierten Taumel der schönen neuen deutschen Republik und ihrer Bewohner anhebt.

Claudia Kramatscheck |
    Geschichtsverlorenheit, lautete Bönts Diagnose bereits in "Icks". In "Gold" setzt er sich erneut auseinander mit der Kriegs- und Nachkriegsgeneration und der Frage, wie sich vermeintlich individuelle Lebensmuster gesellschaftlich und historisch bedingen. Nun aber geht es nicht mehr um die Väter und Söhne. Im Mittelpunkt von "Gold" tummeln sich vielmehr jene vermeintlichen Sieger und Verlierer, wie sie der gesellschaftliche Modernisierungprozess derzeit zu Tage fördert. Doch Bönts Interesse ist nicht die platte Differenz sozialer Lebensmuster. Was ihn umtreibt, ist die Frage nach den gesellschaftlichen Ideologien, die quer zu solcher Differenz noch das Denken und Sprechen beider Gruppierungen überformen:

    "Es gibt die Sprache der Banker, es gibt die Sprache der Autonomen, es gibt andere vermeintlich klar zu identifizierende Gruppen, die reden in meinem Buch. Ich habe versucht zu zeigen, in welcher Weise, die sich vielleicht ganz ähnlich sind. Also man wird gleich zu Beginn viele Zitate finden, man muß sie nicht finden, aber man könnte sie auffinden, von denen man gar nicht weiß, ob sie jetzt aus der autonomen Szene kommen oder von einer Aufsichtsratssitzung. Die ersten drei Worte sind ein Beispiel dafür: "Uns die Stadt", woher stammt das?

    Überhaupt agieren die Sprache und die Konstruktion des Romans mindestens ebenso sehr als Akteure wie die vier Helden Hans Zork, Anna Plech, Lotte Müller und Doro Tumbaga. Die nämlich konfrontiert Bönt raffiniert mit ihrem stärksten Widersacher in Person eines ich-losen Erzählers, der sich nicht nur in ein anmaßendes "Wir" der stets triumphierenden Mehrheit kleidet. In seinen abfälligen Kommentaren strotzt er zudem vor genau jener parolenhaften Machermentalität, die ‹ back into the future ‹ in auffälliger Weise an die väterliche Wirtschaftswunderdevise "Zukunft um jeden Preis" erinnert:

    "Was er reproduziert, und das ist sicher eines der Kernthemen in dem Buch, sind sogenannte ideologielose Ansichten, die aber eigentlich hoch religiös sind und immer auf eine Art Erlösungsphantasie zurückgreifen. Insofern ist "Gold" auch nicht nur eine Metapher für Geld, Gold ist noch ein bißchen mehr: Gold ist sauber, glatt, wertvoll, permanent einlösbar. Und nicht nur sauber, sondern eben auch umgekehrt formuliert: schmutzfrei."

    Von solch ideeller Makellosigkeit jedoch scheinen Hans und Anna, Lotte und Doro, von denen man nebenbei nicht sehr viel mehr erfahren wird als ihre Namen, weit entfernt. Und das nicht nur, weil der Erzähler sie von Anfang an ins Spiel bringt als eine "Handvoll künstlich mißratener Heldinnen und Helden"; so, als wären sie nichts als lächerliche Randfiguren im gesellschaftlichen Poker um die Zukunft. Tatsächlich dämmert ihr privates Dasein, fernab von aller Aufbruchstimmung, in monumentaler Ereignislosigkeit dahin, von nichts erfüllt als von den eigenen Liebesdramoletten tagaus tagein.:

    "Es gibt eben Liebe und Verrat, also ziemlich normal, eine Geschichte, die wenn man sie nicht in ein Milieu tun würde, entweder zeitlos wäre oder vollkommen uninteressant , daß sie gar nicht erzählbar wäre. Und das genau ist, was mich interessiert hat: zu gucken, wie in dieser Gemengelage Berlin, wo die gesellschaftlich formierten Fraktionen ihre Hand erheben und sagen: wir haben Anspruch auf das, Alltag überhaupt stattfinden kann."

    Wie aber darüber nicht nur sprechen, sondern auch literarisch davon erzählen - das ist eine Frage, die Bönts Roman im Innersten umkreist: Wie Alltag demnach literaturfähig zu machen ist ‹ und zugleich das sprachliche Vakuum aufscheinen kann, in dem dieser Alltag, geächtet vom Bannstrahl hehrer gesellschaftlicher Ideologien, nistet?

    "Ich würde dann schon unbedingt vor mir her tragen wollen, daß ein Gesellschaftspanorama entworfen wird von diesem Roman und dieses Gesellschaftspanorama besteht im wesentlichen aus genau diesem Vakuum, daß an der Stelle nämlich nichts ist zwischen dem zurückgezogenen Privaten und Ausleben des alltäglichen Dramas. Und dem ganz festgefügten Kanon von äußerlich widersprüchlichen, in ihren Strukturen sehr verwandten Ideologien, die im wesentlichen mit Ressentiments gegen das vermeintlich Banale operieren und keine Luft zum Atmen lassen. Insofern ist das natürlich auch sehr richtig, daß die Protagonisten nicht darüber hinauskommen."

    Viel schlimmer noch: Fast obsiegt der Eindruck, das aufgeblasene Pathos ihrer privaten Gefühle diene ebensosehr nur als Ersatzdroge wie die leeren Versprechungen des Zeitgeistes, der Geldströme statt Herzströme pulsieren läßt und den Möchtegernglanz von schneller-besser-reicher zur neuen Religion erhoben hat.:

    "Ihre Gegner sind sehr wohl auch in ihrer eigenen Generation. Fortlaufend im Text, vor allem dann im zweiten Kapitel, wo das erste Kapitel noch einmal miterzählt wird aus anderen Perspektiven, wird eine Mentalität, die wir jetzt vermeintlich bei der Elterngeneration finden, verlängert in die eigene Generation, also das Ressentiment, das ist eine wichtige Vokabel, wird bis in die Modeerscheinungen ihrer eigenen Generationen aufgesucht. Es wird die Stelle gesucht, wo das, was wir an kanonisiertem, also allgemeinem Denken und Reden kennen und selber miterschaffen haben, nicht mehr in der Lage ist, etwas zu erzählen oder zu begreifen, was an einem völlig normalen Tag passieren könnte."

    In "Gold" läßt Bönt daher das stellenweise ordinäre Parlando der vier traurigen Helden auf die arroganten Sprachhülsen des überheblichen "Wir" treffen, um im Aufprall dieser zwei Stimm- und Lebenslagen der seiner Meinung nach historisch spezifischen Sprachlosigkeit Gehör zu verschaffen:

    "Was ist das Lebensgefühl in dieser Zeitenwende, und diese Zeitenwende ist ja da, sie ist in der Ökomonie da durch das Ende der bürgerlichen Gesellschaft und durch das Ende der gewohnten Arbeitsbiographien, Neuorientierung ist permanent nötig, es ist auch zufälligerweise das Jahr 2000 genau der Moment, wo die letzten Kriegszeugen aussterben. Die Geschichte, die uns zur Verfügung steht, Peter Härtling hat gesagt, wird Material, und es ist schon ein bißchen so, daß wir jetzt defintiv entlassen werden in eine merkwürdige Freiheit, die natürlich nach Gestaltung schreit, und das scheint im allgemeinen doch ein wenig zu überfordern. Weshalb jetzt zum Beispiel die Schriftsteller zerfallen in die Spaßfraktion und in die Schwerenöter, die mit altlinken Forderungen von Repolitisierung zum Beispiel auftreten. Mir lag es vollkommen fern, Figuren zu entwerfen, die ihre Familien haben, ihre Berufe und ihre Schwierigkeiten, und die jetzt sagen, wir wollen ein bißchen leben und deswegen muß es einen Seitensprung geben, gleichzeitig aber auch noch politisch aktiv sind und, auf der Höhe der Zeit, die Gescchlechterfage diskutieren. Ich glaube nicht, daß Literatur sowas leisten kann. Ich weiß nicht mehr, wer es war, irgendwer hat mal gesagt: Literatur ist, wenn am Ende 1+1= 0 ergibt, und insofern ist die Konstruktion natürlich so gemacht. Es ist aber glaube ich auch eine Eigenart meines Schreibens, daß Hohlräume konstruiert werden, das war in "Icks" ein bißchen auch so, daß es zwei Ich-Erzähler gab. Ich möchte schon dem Konsumenten die Möglichkeit geben, sich seinen Platz zu suchen."

    Dafür bietet der Roman "Gold" bis hin zu seinem provokativen Epilog, der nicht umsonst mit der Frage "Was bleibt" betitelt ist, reichlich Gelegenheit. Zumal er, fernab seines zeitkritischen Problembewußtseins, seinen Leser von Anfang an packt, und das mit schnellem Drive und gutem Sound. Also doch ganz auf der Höhe der Zeit.