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Gold

Sibylle Berg schenkt den Lesern ihr Bestes, so verspricht es zumindest der Titel ihres neuen Buches "Gold". Von ihrem Schweizer Domizil aus wirft Frau Berg einen kostbaren Edelmetall- Barren auf den Markt. Und schon im Vorwort verspricht sie, daß es sich um ein schönes Buch handele, dessen Äußeres dezent und wertig sei. Die Verfasserin garantiert außerdem, daß sich auch der Inhalt sehen lassen könne. Und mit diesen Worten hat sie den Leser wieder eingefangen, in die typische Sibylle Berg-Welt, die zwischen Ironie und Ernsthaftigkeit hin und her pendelt. "Gold" ist kein Roman, sondern eine Sammlung von Geschichten, Beobachtungen und Kolumnen, die Sibylle Berg unter anderem für das ZEIT-Magazin oder für Frauenzeitschriften wie Anabelle oder Allegra geschrieben hat.

Claudia Cosmo |
    Damit man nicht ganz so orientierungslos drauflosliest, hat Frau Berg ihre Texte verschiedenen Rubriken zugeordnet. So kann man zum Beispiel "alles über böse Menschen", "alles über kulturelle Angelegenheiten" oder "alles über Männer mit seltsamen Berufen" nachlesen. Unter der Rubrik "Wissenschaftlicher Text" zum Beispiel informiert die Autorin über die Schönheit des Damenstrumpfes. Was finden Männer so toll an Nylonstrümpfen? Sibylle Berg zelebriert die Poesie der Alltags, vergleicht den Damenstrumpf mit einem Pferdegeschirr und entwickelt eine psychologische Theorie zum besagten Accessoire. Warum sie gerade über solch weltbewegende Dinge wie den Damenstrumpf schreibt, weiß Frau Berg selbst nicht so genau:

    "Ich bin so was wie ein leerer Sack. Ich denke und beobachte auch nicht so bewußt. Ich latsche halt rum, denke eben nicht so viel und irgendwie hüpft mich das so an. Und dann fällt es mir erst wieder ein, wenn ich es aufschreibe."

    Sibylle Bergs Buch "Gold" ist längst nicht so "krass" wie ihr Erstlingwerk `Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot` oder wie ihre Prosa-Glanzleistung "Sex II". Die bitter- süße Vision von der Welt, die man sonst von der Berg gewohnt ist, vermißt man beim Lesen von "Gold". Das Gefühl der Talfahrt in die menschlichen Daseins- Abgründe kann sich nicht voll entfalten, da die in "Gold" zusammengetragenen Geschichten und Kolumnen einfach so hintereinander dahinplätschern.

    "Gold" vermittelt das Sibylle Berg-Feeling in Häppchen. Unter "Alles über geschlechtliche Dinge" stößt man auf eines ihrer Lieblingsthemen: Die oft verzweifelte Suche nach erfüllter Liebe:

    "Es gibt unbedingt Liebe, nur was wir darunter verstehen. ist was anderes. Wir praktizieren Liebe wie Konsum. Die Jungs müssen gut aussehen, die Mädels müssen gut aussehen. ich glaube Liebe hat für mich eine andere Bedeutung. es geht darum, einen Menschen relativ selbstlos zu erkennen, nichts zu erwarten großartig. dann kann ich von Liebe reden."

    Auch in ihren Kolumnen hält Sibylle Berg uns einen Spiegel vor. Aber nie mit dem erhobenen Zeigefinger. Der Leser fühlt sich nie zurechtgewiesen, nach dem Motto: O. K., Frau Berg, wir haben es begriffen. Die rothaarige Autorin versteht es, sich zwar in ihren Texten zurückzunehmen und Distanz zu üben, um besser beobachten zu können. Gleichzeitig aber vermittelt sie das Gefühl, genauso leiden zu können und genauso Sehnsüchten hinterherzurennen wie alle anderen. In einer Kolumne setzt sie sich mit dem Mythos Hollywood auseinander, der zum Sinnbild für den Traum von einem Neubeginn wird:

    "Es gilt nach wie vor als Land der unbegrenzten Möglichkeiten, Deutschland ist ja so furchtbar. Aber wenn du schaust, wie Menschen in Amerika leben: Die arbeiten doppelt soviel wie wir. Dort ist es ziemlich anstrengend. Und eigentlich ist es eine Art Persiflage. Ich dachte mir, ja dann geht doch, geht mal in die große tolle Weite."

    Sibylle Berg läßt in ihrem Buch nicht nur genügend Platz für gnadenlos bedrückende und traurige, sondern auch für gnadenlos schöne Themen. In der Rubrik `Alles über gute Menschen` entdeckt man einen Artikel über den japanischen Schriftsteller Haruki Murakami. Ihn besuchte Sibylle Berg und hielt später in der Wochenzeitung Die ZEIT über Haruki Murakami fest:"Manchmal ist es eine Musik...und alle Jahre eben ein Buch, das macht, daß dir die Tränen kommen...,weil du etwas fühlst darin, das besser ist als du selbst... "Erstmal ist es ja ganz persönlich, was einen im Innersten trifft, Haruki Murakami trifft mich. Seine Welt ist nicht ganz so anders als meine. Er hat nur andere Mittel, sie darzustellen. Er versteht es besser als ich, noch mehr Trost zu geben. das muß ich noch lernen."

    Was Sibylle Berg schon perfekt beherrscht, ist die Leute zu unterhalten:"Wer keinen Spaß kennt, stirbt aus!" Ihre Leser sollen darüber schmunzeln, wenn sie in einer Kolumne danach schreit, einen Pelzmantel tragen zu wollen, oder wenn sie über den Jugendwahn schreibt und alle über 30jährigen in die Unterwelt verbannt:

    "Die Sachen, die ich schreibe, ich sehe die auch immer mit ein bißchen Humor. Wenn man das alles so ernst nimmt, dann wird das alles so schwer und grau. So habe ich das nicht gedacht beim Schreiben. Ich amüsiere mich noch oft."

    Ihr Erzählstil ist naiv. Und Naivität ist Sibylle Bergs Schutzschild, hinter dem sie sich versteckt und nie klar durchblicken läßt, was sie ernst meint und nicht. Diese Unklarheit verleitet den Leser auch dazu, das neue Werk `Gold` weiterzulesen. Frau Berg - ein literarisches Enigma und eine Meisterin der Selbstinszenierung.

    In "Gold" ist auch noch nachzulesen, wie sich Sibylle Berg ihre ideale Leserschaft vorstellt: Unter `Post an die Fans´ fordert sie speziel die ZEIT-Leser dazu auf, nicht immer alles so ernst zu nehmen und die Freizeit nicht mit Haß gegen ihre Kolumnen zu verschwenden.

    Für alle wahren Sibylle Berg-Fans ist ihr neues Werk `Gold` keine totale Zeitverschwendung. Aber im Vergleich zu ihren anderen Büchern vermißt der echte Fan die Dichte der Erzählungen.

    Nichts Neues aus der Schweiz - da trösten ein paar bisher unveröffentlichte Texte nicht über das Gefühl hinweg, daß Frau Berg wenig Zeit in ihr Buch "Gold" investiert haben muß. `Gold` ist ein nettes Schmuckstück für den Bücherschrank, Sibylle Berg in komprimierter Form, aber nicht "at her best".