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Gold, Wasser und Urwald

Ein mittelalterliches Goldbergwerk, Goldwäscher im Fluss. Ein Stausee mit einem westfälischen Fährmann am Fuße des Nationalparks, darüber ein Buchenmeer: Das Waldecker Land in Nordhessen - eine goldene Gegend mit reichlich Wasser und noch mehr Wald.

Von Tim Schauen | 26.08.2007
    Wolfgang Behle ist schnell unterwegs. Der etwa 50jährige Mann geht einen Waldweg auf dem Eisenberg in Korbach-Goldhausen entlang. Er trägt weißen Bergmannshelm, Regenmantel, Gummistiefel. Abrupt biegt Behle rechts ab, steil geht es einen Abhang hinunter.

    Der 562 Meter hohe Eisenberg in Nordhessen ist durchlöchert wie ein Schweizer Käse, und birgt dennoch glänzende Geheimnisse: Hier ist eine von Deutschlands größten Goldlagerstätten, 1250 von Albertus Magnus erstmals schriftlich erwähnt.

    In den folgenden vier Jahrhunderten durchwühlen die Menschen den Berg, treiben 80 Stollen und über 100 Schächte hinein. Bis 1620 dauert der Goldrausch hier an, ebbt dann ab. Wegen der feinsten Verteilung des Goldes im Gestein ist der Abbau schon damals kaum mehr wirtschaftlich.

    Wolfgang Behle steht jetzt am Fuß des Eisenbergs, mitten im Wald. Vor ihm der Eingang in das Bergwerk.

    Hinter der Tür aus Stahlstangen ist es stockdunkel. Behle öffnet, knipst das Licht auf seinem Bergmannshelm an, geht in den Stollen. Nach wenigen Schritten verschluckt ihn die Dunkelheit.

    "Ja, jetzt sind wir im Unteren Tiefen Tal Stollen, wo die Besucher hier auch reinkönnen und dies Bergwerk besichtigen, dies Goldbergwerk."

    1997 werden die Spuren der Goldgewinnung im und am Eisenberg unter Denkmalschutz gestellt, der Verein Historischer Goldbergbau Eisenberg öffnet einen der alten Stollen 2004 für Besucher.

    Wolfgang Behle ist der Vereinsvorsitzende. Er wohnt auf dem Eisenberg, ist der Ortsvorsteher von Goldhausen. Er geht weiter in den Berg hinein. Hier ist der Stollen noch zwei Meter breit, gut zwei Meter hoch. Der Schein der Bergmannslampe flackert umher. Behle zeigt auf einen schmalen, weißen Strich in der schwarzen Schieferwand. Sein Zickzack verrät die geologischen Verwerfungen.

    "Das ist das Tuffbändchen, nach diesem sind die früher gegangen. Das ist so ne weiche Steinmasse, ist einfach schmierig, das wird auch nie fest, das bleibt so, und das Tuffbändchen, das war praktisch für die so'n Zeichen, da müsste auch Gold sein."

    An diesem Tuffbändchen entlang hauen sich die Menschen mit Hammer und Schlägel in den Berg. Vortrieb am Tag: zwei Zentimeter. Armdicke Goldadern gibt es hier nicht. Das Gold im Eisenberg ist in winzig kleinen Spuren im Gestein eingelagert. Vor 300 Millionen Jahren aus dem Schlamm des Urozeans entstanden, mit dem Aufwurf des Eisenbergs nach oben geraten

    Das Erz wird zerkleinert, das Gold herausgewaschen - winzige, sandkorngroße Goldflitter. In 400 Jahren wird insgesamt über eine Tonne Gold gewonnen, etwa eine weitere Tonne geht beim Auswaschen verloren.

    Der Vereinsvorsitzende zieht immer mehr den Kopf ein, sein Regenmantel schabt an der Felswand entlang, so schmal ist der Stollen hier. Gut nachzuempfinden, wie hart die Arbeit hier gewesen ist. Erwachsene müssen sich richtig durch den Berg zwängen - bei fast völliger Dunkelheit. Keine Grubenbahn, kein Multimedia.

    "Wir haben ja hier im Berg nichts verändert, wir haben auch keine elektrische Beleuchtung, sondern es kriegt jeder, wie die Bergmänner heute das noch haben, ne Kopflampe mit ner Batterie hinten dran und n Gürtel ummen Bauch und n bisschen Kleidung an, damit er sich nicht versaut, vor allen Dingen n Helm halt, damit er sich nicht den Kopf einstößt. "

    Wo der Stollen als Sackgasse endet, endet auch die Führung. Im Kriechgang geht es zurück. Über eine Tonne Gold liegt noch heute im Eisenberg - unter Denkmalschutz. Schon in der Antike entdecken die Bewohner Flussgold in Bächen der Gegend. Sie waschen sich flussaufwärts, entdecken den Eisenberg als Quelle.

    Etwa 10 km südöstlich vom Eisenberg, an der Bundestrasse 252 zwischen Korbach und Frankenberg. Hier schlängelt sich der Fluss Itter in unzähligen Kurven und Kehren den Fuß eines Hügels entlang.

    Auf der breiten, grünen Flussaue blühen Wildblumen, Birken stehen am Flussufer, ein verfallener Holzschuppen. Bei Vöhl-Herzhausen stehen zwei Männer im Bett der Itter:

    Gerd Stöbener und Veit Hoffmann, Die beiden sind dem Flussgold auf der Spur, veranstalten in den Sommermonaten Goldwaschkurse. Veit Hoffmann, 27jähriger Geologe, erklärt.

    " Die Goldführung der Itter, die stammt größtenteils vermutlich aus'm Eisenberg.
    Also wir wollen das hier n bisschen touristisch nutzen, ham hier in der Itter schon sehr sehr schöne Flitter gefunden, mehrere Millimeter groß, und das bietet sich eben an, dass wir heute mal hier n bisschen Gold waschen."

    Der Bach ist hier fünf Meter breit, knie- bis knöcheltief. Das klare Wasser rauscht schnell um die Füße. Gerd Stöbener, Mitte 50, Vollbart, schaufelt Kies und Sand aus dem Flussbett durch ein Sieb in einen Eimer.

    Die gröbsten Kiesel wirft er zurück. Veit deutet mit der Hand aufs Wasser.

    " Wenn man so eine Stelle wie hier jetzt hat, wo der Bach so ne Windung hat, dann fängt man immer natürlich am äußersten Bereich, am Beginn der Windung an zu graben, weil das Gold lagert sich immer als erstes ab, ist ja das schwerste, deshalb fängt man nicht hinten an."

    Gerd Stöbener steht breitbeinig im Fluss, schüttelt mit beiden Händen eine blaue Goldwaschpfanne aus Plastik. Sie sieht aus wie ein tiefer Suppenteller mit besonders hohem Rand.
    In der Pfanne wackeln Wasser, Sand und Flusskiesel umher, so wäscht Stöbener das Sediment der Itter vom Großen ins Kleine.
    Zwischendurch schüttet er Wasser ab.
    Ein mühsamer Vorgang, den der Goldwäscher mehrmals wiederholt. Doch dann ist so weit: er setzt seine Brille auf.

    "So, jetzt kommt gleich der Moment der Wahrheit, jetzt lassen wir das mal abtropfen und gleich schauen wir, was geworden ist. Ja, zwei Stück liegen hier schon rum, zwei Flitter. Ja, Größenordnung 0,2 mm, man sieht's ganz deutlich an der Farbe."

    In der Pfanne, zwischen Flusssand, liegen winzige Goldstückchen, kleinste Flitter Gold. Durch Erosion vom Eisenberg in die Itter geraten. Etwa 100.000 dieser Stückchen ergeben ein Gramm Flussgold. Früher legte man Schaffelle ins Flussbett, so entstand goldenes Vlies.

    Die meisten Flüsse des Landkreises sind goldführend, sagt Veit Hoffmann und blinzelt in die Sonne.

    "Gold liegt immer da, wo man es findet."

    Einen Kilometer von den beiden Goldwäschern entfernt fließt die Itter in den Ederstausee, den hier alle nur Edersee nennen. Gebaut wurde die Edertalsperre von 1908-14 zur Regulierung des Wasserstandes von Mittelandkanal und Oberweser. Drei Dörfer mit insgesamt 900 Bewohnern mussten umziehen. Ihre Heimat wurde mit 200 Millionen Kubikmetern Wasser geflutet.

    "Vom Volumen ist der Edersee Deutschlands drittgrößter Stausee. Wie eine Schlange windet er sich gut 28 km durch das Edertal, teilweise von Steilufern umrandet, teilweise mit fjordartigen Arme und Buchten. Der See ist das Urlaubziel der Region."

    Über einer Bucht am Nordufer trohnt ein Gedenkstein:

    "Zur Erinnerung an die alte Ortschaft Asel, 1317 gegründet, 1914 vom Edersee überflutet."

    Seit 1890 führte hier eine mächtige Steinbrücke über die Eder, doch als der See gestaut wurde, verschwand die Aselbrücke in den Fluten. Wer heute bei Asel über den See will, muss aber nicht schwimmen, sondern klopft auf Eisen. Neben dem Gedenkstein hängt ein gelblackiertes Sägeblatt. Wer dagegen schlägt, ruft den Fährmann.

    Etwa 800 Meter breit ist der Edersee. Auf dem anderen Ufer setzt sich ein Motorboot in Bewegung, kommt von Asel-Süd über den See geschippert.

    Wenige Minuten später drosselt der Fährmann den Motor, lässt das Boot die letzten 20 Meter ans Ufer gleiten.

    Über den heruntergeklappten Bootsbug schiebt ein Ehepaar Fahrräder ans Ufer.

    Das Boot ist vier Meter lang, marineblau gestrichenes Metall. Holzbänke links und rechts. Ein schlanker Mann Ende 50 mit Kapitänsmütze und Schnauzbart sitzt in der Mitte am Steuer: Wolfgang Wüller.

    Der gebürtige Dortmunder ist seit Jahrzehnten im Waldecker Land zuhause, den Job als Fährmann macht er seit acht Jahren.

    "Immer wenn jemand läutet oder jemand da ist, fahren wir, zwischen 9 und 17 Uhr. Am Mittwoch, wenn ich frei hab, dann fährt der Seniorchef."

    Die Familie von Wüllers Chef betreibt die Fährverbindung seit 1924. Die Pflicht dazu hat sie mit einem Hofgut gepachtet. Bis zu 400 täglich Leute möchten zur Hochsaison hier über den See, Erwachsene zahlen 1,50 Euro. Menschen aus Asel und Asel-Süd fahren gratis.
    Die Fahrt dauert knapp 5 Minuten, dann schaltet der Fährmann den Motor auf Leerlauf. Zwischen einem Baum direkt am Wasser und einem Steg mit Tretbooten gleitet die Fähre frontal auf das Ufer zu.

    Dort stehen zwei Touristen in Wanderausrüstung, ein Vater mit seinem Sohn. Wüller nickt mit dem Kopf.

    " Du brauchst hier nicht nach Österreich zu fahren, hier hast Du Berge, hier hast du Wasser, natürlich nicht so hoch wie in Österreich oder Italien, aber wenn einer wandern will, der hat schon heiße Socken, wenn er zurück kommt."

    Und viele kommen zurück zu Wüller. Weil er für die einzige Verbindung an dieser Stelle über den See sorgt. Und weil die Fahrt mit dem Asel-Fährmann Spaß macht.

    "Kann ich wat für Sie tun?"

    Die beiden Wanderer fragen nach der Abfahrt der nächsten Fähre.

    " Ja, wenn sie drauf sind."

    So schnell geht das hier. Die beiden gehen an Bord, Wolfgang Wüller winkt zum Abschied, schon schiebt sich die Asel-Fähre wieder rückwärts aufs Wasser

    Hier, auf dem Südufer beginnt der Nationalpark Kellerwald-Edersee. 2004 wurde er gegründet.

    Das Kernstück des 60 Quadratkilometer großen Parks bildet ein riesiger Buchenwald, einer der größten in Europa. Vor allem Rotbuchen stehen hier.

    Am Waldrand beim Dörfchen Bringhausen steht Nationalparkranger Markus Daume. Er führt zu einer besonderen Attraktion.

    "Wir gehen jetzt ein Stück des Urwaldsteigs entlang.
    Urwaldsteig ist ein Wanderweg, der 68km rund um den Edersee führt, und wie der Name schon sagt, gibt es hier natürlich auch echte Urwälder."

    Urwald, in den der Mensch seit seiner Entstehung nach der letzten Eiszeit vor 13-14.000 Jahren nicht eingegriffen hat. Gewandert wird teilweise in den Steilhängen hoch über dem Wasser. Ein Traum für Wanderer, die Ruhe und Einsamkeit des Waldes suchen.
    Hier ist noch weniger los als auf Rothaarsteig und Rheinsteig.
    Aber der Urwaldsteig ist anspruchsvoll zu laufen, meint Ranger Daume:

    "Also schwierig ist der Urwaldsteig sowieso, nix für Stöckelschuhe, also der hat schon
    seinen Charakter eines Urwaldesteiges, wie der Name schon sagt, es geht hier auch mal über Stock und Stein, über oder unter umgefallenen Bäumen hindurch, teilweise nichts für Rollstuhlfahrer, also den richtigen Naturtouristen, der so Urwaldcharakter mag."

    Interessierte können zwischen 400 Veranstaltungen des Nationalparks im Jahr auswählen: Die Eisvogelwanderung mitmachen, Spuren der Waschbären suchen, die zuerst am Edersee ausgesetzt wurden, bevor sie sich quer durch Deutschland verbreiteten. Deshalb sind rund um den Edersee die Mülltonnen schon lange mit Vorhängeschlössern gesichert oder stehen direkt in Drahtkäfigen. Eine Goldwanderung findet sich auch im Programm des Nationalparks. Denn imnahgelegenen Kellerwald wurde ebenfalls Gold geschürft, und in Edertal-Bergheim stand bis 1850 Europas größte Goldwaschanlage.

    "Und der Urwaldsteig, der ist natürlich so angelegt, als Steig, dass man hier das urige Gefühl bekommt, dass man sich in einer Wildnis befindet. Manchmal sind die Wege nicht breiter als ein Meter, so, wo wir jetzt gerade langgehen. "

    Der Urwaldsteig kann von jedem Ort rund um den Edersee bewandert werden, einfach dem kleinen Schild mit einem U und einem E folgen. Aber den legendären Fünfseen-Blick, den gibt es nur hier, oberhalb von Bringhausen.

    "Auf den See oder auf die grünen Wellen des Nationalparks. So ist unsere Internetadresse www.buchenmeer.de, das kommt daher, wenn man mit dem Flugzeug drüber fliegt, dann erscheint das wie so'n grünes Buchenmeer, weil hier nämlich im Nationalpark 51 Berge sind."

    Ein mittelalterliches Goldbergwerk, Goldwäscher im Fluss. Ein Stausee mit einem westfälischen Fährmann am Fuße des Nationalparks, darüber ein Buchenmeer: Das Waldecker Land in Nordhessen - eine goldene Gegend mit reichlich Wasser und noch mehr Wald.