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Goldene Schreibregeln
Kein Internet, viel Liebe und eine Frankenstein-Figur

Wie viele Schriftsteller vor ihm, veröffentlichte der amerikanische Bestsellerautor Jonathan Franzen neulich seine zehn goldenen Regeln des Schreibens. Zum Amüsement seiner Kollegen. Louise Brown hat sich seine Tipps genauer angeschaut und stimmt nicht in allem mit dem Meister überein.

Von Louise Brown | 28.01.2019
    Ein volles Bücherregal
    Regal voller Bücher (imago stock&people)
    Erstmal die gute Nachricht, für die Handvoll Leser, die meinen ersten Roman gelesen haben: Ich arbeite an einem zweiten. Die schlechte Nachricht: Ich arbeite seit mindestens drei Jahren daran. Wobei, "arbeiten" das falsche Wort ist: Ich schufte, schwitze, heule und lache über das, was ich geschrieben habe. Lebe also neben dem Tagesjob den gewöhnlichen Alltag eines Schriftstellers. Nicht, dass ich mich so nennen würde. Eher würde ich sagen: Ich strebe diesen Titel an. Und wie alle Groupies, die ihre Idole verehren, verschlinge auch ich die Tipps und Tricks der Meister, in der Hoffnung eines Tages wie sie schreiben zu können.
    Ratschläge aus dem Aphorismus-Buch
    Wie die von Jonathan Franzen, der kürzlich auf der Seite Lithub seine zehn goldenen Schreibregeln für angehende Autoren verraten hat. Tipps, die man sich durchaus zu Herzen nehmen kann, wie: "Interessante Verben sind selten interessant". Andere Regeln wiederum, wie der, dass niemand an einem Arbeitsplatz mit Netzzugang gut schreiben wird, können nur von jemandem stammen, der Schreibtische in Santa Cruz und New York besitzt. Den Ratschlag "ein Leser sei weder Gegner noch Zuschauer, sondern ein Freund" hätte Franzen glatt aus einem Aphorismus-Buch abschreiben können. Und als hätte er in echter Schriftstellermanier auf den Höhepunkt hinarbeiten wollen, zum krönenden Abschluss: Man müsse lieben bevor man erbarmungslos sein könne. Huh?
    Jonathan Franzen
    Der US-Autor Jonathan Franzen (Imago)
    Für einen Mann, der nichts für soziale Medien übrig hat, sorgten seine Tipps ausgerechnet bei Twitter für Entrüstung. Vor allem wurden sie von anderen Autoren moniert. Wie von der Schriftstellerin Jodi Picoult, die "froh sei, jede einzelne seiner Regeln gebrochen zu haben".
    Andere reagierten mit eigenen - wenn nicht ernst gemeinten Ratschlägen - wie der Komiker Patton Oswalt, dessen Tipps fürs gute Schreiben lauten: Baut einen Frankenstein in die Geschichte mit ein, sprecht nie über das Schreiben, schreibt nie über das Schreiben... und stellt eine Pflanze auf den Schreibtisch.
    Dass Franzen mit seinen Ratschlägen für einen solchen Sturm gesorgt hat, sagt etwas über den Autor: Seit er vor einigen Jahren Amerika’s Talkshow-Göttin Oprah Winfrey verprellt hat, wird er selbst von nicht wenigen Kollegen verprellt.
    Tipps verraten viel über Autor*innen selbst
    Vor allem sagt es etwas darüber, wie besessen wir von den Ratschlägen der Bestsellerautoren sind. Rat von einem Professor oder einem Redakteur ist eine Sache, aber die von jemanden zu bekommen, der - so die Autorin Emily Rempl - tatsächlich in die Mine abgestiegen sei und mit Gold wieder aufgetaucht sei, ist etwas anderes: Sprich von jemandem, der nicht nur das Schreiben lehrt, sondern es täglich ausübt.
    Zudem verrät jeder Ratschlag etwas über die Autoren selbst: Esther Freud beichtete der Zeitung "The Guardian", dass sie jeden Morgen als erstes drei Stunden schreiben würde. Nicht, weil sie die Disziplin eines Mönchs besitze, sondern weil sie anfangs so viel Angst vor dem Schreiben hatte, weshalb sie sich gezwungen sah, nach dem Aufstehen damit anzufangen. Eine Informationen, die eine Möchtegernschreiberin wie mich weniger belehrt als beruhigt, weil sie beweist, dass Schriftsteller auch nur Menschen sind.
    "In diesem Video zeige ich dir fünf Schreibtipps aus Stephen Kings Werkzeugkasten..."
    Dass solche Tipps überhaupt so beliebt sind – und wer es nicht glaubt, der braucht nur die zehn Regeln des Schreibens von Stephen King zu googlen - kann man als Zeichen unserer Zeit interpretieren: So wie jeder mit seinem Smartphone zum Fotografen geworden ist, meinen nicht wenige das Romanschreiben sei ein Hobby, das man locker beherrschen, würde man die richtigen Griffe kennen. Statt einem Beruf, der neben dem Handwerk eine große Portion an Talent bedarf.
    Der Leser als Freund
    Vielleicht ist der wertvollste Tipp der, dass man über etwas schreiben sollte, was einem wirklich wichtig ist. Denn genau das ist oft schwer als Autor: Wenn die Agenten behaupten, nur noch Frauen würden Bücher lesen. Oder wenn Schriftsteller wie Jonathan Franzen behaupten, der Leser müsse ein Freund sein, womit er sich in die Reihe derjenigen stellt, die den Leser eher zufriedenstellen wollen, als sie zu überraschen, herauszufordern oder zu provozieren: Dann hört man vor lauter Ratschlägen die eigene Stimme nicht mehr.
    Insofern könnte man raten: Schreiben Sie weiter an Ihrem Roman für Männer, mit dem Einsatz von zu vielen Adverbien und am Schreibtisch mit einem Netzzugang. Und lesen Sie die Ratschläge der Bestsellerautoren nur noch dann, um sich an dem Entrüstungssturm darüber zu erfreuen.