Freitag, 19. April 2024

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"Goldmark - Violin Concerto"

Heute liegt hier vor mir eine relativ neue CD des Kölner Gürzenich-Orchesters, und wenn man sich das Titelfoto flüchtig ansieht, könnte man meinen, sie enthielte die Filmmusik zum großen Kinokassenschlager "Titanic". Wie die Filmhelden Rose und Jack alias Kate Winslet und Leonardo DiCaprio im Wind auf dem Bug ihres Schiffes posieren da die junge Geigerin Sarah Chang und der Gürzenich-Chefdirigent James Conlon; ein wenig von unten aufgenommen richten sie im Halbprofil ihren Blick leicht nach oben in die unendliche Ferne des Musikerhimmels. Dort haben sie offenbar Karl Goldmark entdeckt, jenen 1830 in Ungarn geborenen Musiker, der aus ärmlichsten sozialen Verhältnissen stammte, doch im Laufe seines 85jährigen Lebens schließlich zu einer unumstößlichen Autorität im Wiener Musikleben aufstieg. * Musikbeispiel: Karl Goldmark - aus: Konzert für Violine und Orchester a-moll, op. 28, 1. Satz, Karl Goldmark, aufgewachsen im Kreise von über zwanzig Geschwistern, hat Schulen nur sehr wenig von innen gesehen. Örtliche Gegebenheiten und finanzielle Not standen einer ordentlichen Ausbildung im Wege. Die Welt der Klänge soll er erstmals bewusst bei einer Hochzeitsfeier wahrgenommen haben: Da hatte er als Knabe am Rande des Festes mit unterschiedlich gefüllten Weingläsern hantiert und deren verschiedene Tonhöhen entdeckt. Mit elf begann ein eher primitiver Violinunterricht bei einem bäuerlichen Chorsänger. Das erste Musik-Repertoire, das er kennen lernte, war die dörfliche Tanzmusik - Radio und Schallplatte gab es noch nicht. Trotz aller Probleme schickte ihn sein Vater 1842 auf eine Musikschule und zwei Jahre später nach Wien. Anderthalb Jahre hatte er Geigenunterricht bei einem richtigen Lehrer, dann war das Geld wieder alle. Goldmark, gerade einmal 16 Jahre alt, blieb in Wien, nahm die unterschiedlichsten Beschäftigungen an, schaffte nach autodidaktischer Vorbereitung einen Schulabschluss und übte weiter Violine. Einige Zeit besuchte er das Konservatorium, doch dann wurde das im Zusammenhang mit den 48er Revolutionswirren vorübergehend geschlossen. Später sehen wir ihn als Geiger verschiedener Theaterorchester, zunächst in Kleinstädten, dann in Wien. Er bringt sich selbst das Klavierspiel bei, bestreitet dann einen Teil seines Lebensunterhalts als Klavierlehrer, beginnt schließlich ernsthaft zu komponieren. Erst mit Ende 20 lernt er die großen Meister Bach, Haydn, Mozart und Beethoven kennen; 1860 macht ihn sein Streichquartett op. 8 schlagartig bekannt. Da begann Goldmark dann auch als Musikkritiker und setzte sich u.a. unermüdlich für die Werke Wagners ein, wozu er schließlich mit anderen zusammen in Wien einen richtigen Verein gründete. 1875 gelang ihm mit seiner Erstlingsoper "Die Königin von Saba" endgültig der Durchbruch. Er machte größere Reisen, wurde Ehrenmitglied der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, fungierte zusammen mit Brahms und Hanslick als Preisrichter bei der Vergabe von Kunststipendien, erhielt als 80jähriger die Ehrendoktorwürde der Universität Budapest und wurde ein Jahr vor seinem Tod noch zum Ehrenmitglied der Accademia di Santa Cecilia in Rom ernannt. * Musikbeispiel: Karl Goldmark - aus: Konzert für Violine und Orchester a-moll, op. 28 , 1. Satz, Im Konzertsaal ist Karl Goldmark heute am ehesten noch durch seine Sinfonie "Ländliche Hochzeit" op. 26 bekannt, daneben gilt das erste der beiden Violinkonzerte weiterhin als ein besonders "geigerisch" erfundenes und damit für den Solisten zwar schwieriges, aber auch äußerst dankbares Stück - kein Wunder, wenn man weiß, dass Goldmark sich von früher Kindheit an gerade mit diesem Instrument beschäftigt hat. Die formale Anlage ist auf den ersten Blick ziemlich konventionell: drei Sätze, wobei zwei in der Sonatenhauptsatzform geschriebene schnelle einen langsamen Mittelsatz umschließen. Dennoch ist der Charakter dieser beiden Ecksätze auffallend anders als üblicherweise, denn die vertraute Auseinandersetzung zweier gegensätzlicher Themen findet kaum statt. Zu Beginn geht es zwar marschartig, mit rhythmisch stark forcierten einstimmigen Bewegungen des Orchesters los, doch der Einsatz der Solovioline nimmt diesen aggressiven Impuls nicht auf, spielt das Kopfmotiv nicht mehr marcato, sondern legato und außerdem deutlich beruhigt. Dadurch steht es zum später folgenden, expressiven und sehr zart zu spielenden Seitenthema nur noch in geringem Kontrast, was für die Durchführung, den traditionellen Ort der Auseinandersetzung zwischen beiden Themen, Konsequenzen hat: Goldmark gestaltet diese Durchführung nicht aus dem Gegeneinander beider Themen heraus, sondern indem er eine Orchesterfuge nur über das Hauptthema komponiert. Solche Tendenzen sind auch im Schluss-Satz zu beobachten, wo erneut die Solovioline das Orchester mehrfach zu beruhigen scheint. Zusammen mit dem liedartig komponierten langsamen Mittelsatz entsteht so der Eindruck eines insgesamt stark lyrischen Violinkonzertes, in dem trotz aller Virtuosität das Gesangliche im Vordergrund steht. * Musikbeispiel: Karl Goldmark - aus: Konzert für Violine und Orchester a-moll, op. 28, 2. Satz Mit der 20jährigen Sarah Chang konnte das Kölner Gürzenich-Orchester für dieses Projekt eine Geigerin gewinnen, die als eines der größten Talente ihrer Generation gilt und bereits heute eine herausragende Stellung im internationalen Musikgeschäft einnimmt. Geboren als Tochter koreanischer Eltern in Philadelphia, begann sie als Vierjährige mit dem Violinspiel und debütierte im Alter von 8 Jahren unter Zubin Mehta mit dem New York Philharmonic und unter Riccardo Muti mit dem Philadelphia Orchestra. In gewohnt hoher Qualität setzt das Gürzenich-Orchester mit dieser neuen CD, die neben Goldmarks Violinkonzert auch noch dessen Ouvertüre zum "Gefesselten Prometheus" enthält, seine Arbeit für die Schallplatte fort, die dem langjährigen Chefdirigenten James Conlon sehr wichtig ist. Nach Werken von Weber, Mahler, Max Bruch und Mendelssohn, nach einem sehr verdienstvollen Schwerpunkt mit sechs Produktionen bei Alexander von Zemlinsky und einer CD von 1999 mit Orchesterwerken von Franz Schreker nun also wieder Spätromantisches. Erfreulich, dass hier nicht die ausgetretenen, vielleicht schnelleren Erfolg versprechenden Pfade des immer gleichen Standard-Repertoires gegangen werden, sondern sich das traditionsreiche Kölner Orchester immer wieder an Neues wagt und gerade auch damit sein Publikum findet und begeistert. * Musikbeispiel: Karl Goldmark - aus: Konzert für Violine und Orchester a-moll, op. 28, 3. Satz Die Neue Platte - heute mit dem Violinkonzert von Karl Goldmark, gespielt von Sarah Chang und dem Gürzenich-Orchester Kölner Philharmoniker unter der Leitung von James Conlon.

Ludwig Rink | 10.12.2000