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Google Cultural Institute
Ein Weltenmuseum im Netz

Das Google Cultural Institute ist eine riesige Kunst- und Kulturplattform im Internet, ein Museum der Museen. Kunst wird damit von überall für jeden zugänglich, Maschinen übernehmen die Aufgabe von Kuratoren. Aber: Zu welchem Preis?

Von Julian Ignatowitsch | 13.03.2017
    Guggenheim Museum - New York
    Kann vermehrt auch im Internet besucht werden: das Guggenheim Museum in New York. (picture alliance / dpa / Felix Hörhager)
    Gestern war ich im MoMA in New York, vorgestern habe ich Rembrandts Nachtwache in Amsterdam gesehen und die feinen Risse auf der Oberfläche aus der Nähe begutachtet und vorvorgestern ist ein Blitz in eine Metallkugel einschlagen und ich habe mir den Faradayschen Käfig erklären lassen.
    "Sie können virtuell zu all diesen großartigen Institutionen reisen, zum Beispiel zum Guggenheim Museum nach New York und bei einem Rundgang die gigantische Architektur bewundern."
    Weltreise in nur drei Tagen
    Dieser Mann macht die Weltreise in nur drei Tagen möglich: Amit Sood, Direktor des Google Cultural Institutes, eine riesige Kunst- und Kulturplattform im Internet, auch als App fürs Smartphone zu haben. Und alles kostenlos. Natürlich weiß Google solche Träume auch unternehmenswirksam zu bewerben, wie auf der letzten TED-Konferenz:
    "Und jetzt stellen Sie sich vor, dass auch ein Kind aus Bombay, ein junger Mann, der Architektur studiert und nie die Chance hatte dorthin zu fahren, das machen kann."
    45.000 hochauflösende Kunstwerke von 6.000 weltbekannten Künstlern aus gut 250 Museen bilden das Herzstück der virtuellen Google-Kunstsammlung, insgesamt sind es mehr als sechs Millionen Objekte, die ich einzeln oder auf Rundgängen besichtigen kann. Dazu brauche ich nur ein Gerät mit Internetzugang.
    Natürlich ersetzt dieses virtuelle Archiv keinen Museumsbesuch. Das wäre ja ungefähr so, als wollte man behaupten, eine Achterbahnfahrt am Computer ersetzte den echten Adrenalinkick. Kunstgeschichtliche Einordnungen bietet die Plattform nur bedingt und die Inszenierung, die räumliche Werkerfahrung kann sie sowieso nicht ersetzen. Neben der Mainstream-Kunst bleibt vieles unberücksichtigt. Nur als Ergänzung, als intuitive Spielerei funktioniert das Google Cultural Institute.
    Genauso ist es auch entstanden. Google-Mitarbeiter haben das Projekt in ihrer freien Arbeitszeit initiiert, die sie für eigene Ideen verwenden dürfen. Sie kontaktierten Museen, schlugen Kooperationen vor, seit 2011 wächst und wächst die Plattform. Der Deal lautet oft so: Google bietet Hilfe bei der Digitalisierung von Kunstwerken und Ausstellungsobjekten an, stellt seine Infrastruktur und Expertise zur Verfügung, dafür darf es dann diese Daten in seinem virtuellen Museum zeigen.
    Die Kooperation mit Google ruft auch Kritik hervor
    Für ein großes Museum wie das Deutsche Museum in München, das die meisten Teile seiner Sammlung selbst digitalisiert hat, steht aber ein anderer Aspekt im Vordergrund, erklärt der Leiter Digital Georg Hohmann:
    "Es ist vor allem der Verbreitungsaspekt, also dass wir große Verbreitung haben. Wenn jemand nach Themen sucht, dass die bei Google höher gerankt werden und direkt aus unserem Bereich gezeigt werden. Das heißt, wir können potentiell auch Menschen aus Brasilien oder Argentinien ansprechen, die sich für Kraftmaschinen oder Power-Engines interessieren."
    Natürlich ruft so eine Kooperation einer öffentlichen Institution mit Google auch Kritik hervor. Bedenken wie Ausverkauf oder Datenklau weißt Hohmann mit Blick auf die Vereinbarungen zurück:
    "Das Digitale kopiert man, das klaut man ja nicht. Wir setzen es online und wenn wir das nicht mehr wollen holen wir es wieder runter. Da kann Google auch nichts machen, so sind die Verträge gemacht. Das ist ein nicht-ausschließliches Nutzungsrecht, wie es so schön heißt. Das ist mehr eine gefühlte Kritik als eine Sachkritik."
    Sie sehen eine Radfahrerin und den Schriftzug Google auf einem Straßenschild.
    Ein Foto vom Google Campus in Mountain View, USA. (AFP / Jana Asenbrennerova)
    Eine riesige Menge an Daten in den Händen eines Milliardenkonzerns sorgt bei Vielen eben doch für Bauchschmerzen. Die meisten kulturellen Institutionen stehen dem Projekt aber positiv gegenüber, in den USA sowieso, auch in Deutschland. Der Blick auf die Besucherzahlen und alljährlich neue Rekorde zeigen, dass das Netzangebot bislang keine Konkurrenz darstellt. Googles Investments gleichen eher den Formen des Sponsorings, die im teuren Kunstbetrieb ohnehin längst Alltag sind. Wenn dadurch die Unabhängigkeit der Museen bedroht sein sollte, dann ist sie es - auch durch private Sammler - ohnehin schon.
    Algorithmen arrangieren die Kunstwerke
    Die vordergründige Frage betrifft die technische Seite und das Wesen von Kunst: Wie verändert so eine Plattform die Seh- und Rezeptionsgewohnheiten? Einerseits helfen die hochauflösenden Megapixel-Aufnahmen Kunstwissenschaftlern und Restauratoren bei der Recherche. Andererseits führt die Integration von Algorithmen zu neuen Formen der Kunstvermittlung.
    "Das neueste Ding ist Machine Learning: Damit erstellt der Computer für uns diese Karten, diese Cluster, nur anhand von visuellen Informationen, und verknüpft die Bilder miteinander und versieht sie automatisch mit Schlagwörtern. Jedes Cluster ist quasi wieder ein eigenes Kunstwerk."
    Algorithmen arrangieren die Kunstwerke nach Themen, Epochen und Stilen, empfehlen ähnliche Künstler und führen - Beispiel Porträt - sogar Gesichtsabgleichungen durch. Hier wird es teilweise problematisch, nicht nur beim Datenschutz. Denn ein Computer kann den Kurator nur scheinbar vertreten, sagt Michael Buhrs, Museumsdirektor in der Villa Stuck München.
    "Ich kann mir nicht vorstellen, dass es auf Dauer den Kurator am Museum ersetzen kann. Da liegen ja doch ganz andere Expertisen vor über Werkzusammenhänge, künstlerische Kontexte und Materialbeschaffenheit."
    Wenn ich Vincent van Goghs Sonnenblume anschaue, werde ich zwar auf die Post-Impressionisten, Paul Cézanne oder sein Bild Sternennacht verwiesen, aber eben nicht auf die Geschichte hinter dem Bild, auf den Leidensweg des Künstlers oder Fälschungsvermutungen. Die Zusammensetzung erscheint zudem noch oft beliebig und folgt der Internetlogik: schnelle Klicks, wie auf Instagram und kein tiefergehendes Studium, wie in einem Ausstellungskatalog. Auch das zeigt die Google-Plattform: Kunst ergibt letztlich nur Sinn in den Augen und Händen von Menschen, ist ein individuelles und vor allem raumgebundenes Erlebnis.
    Und deswegen war ich heute - ganz real - im Museum, im Städel Frankfurt, dieses Bild "Sie" von Gustav Adolf Mossa, eine Wucht. Google kennt diesen Künstler in seinem Institut noch nicht. Und was es heißt, gebannt davor zu stehen und die Luft anzuhalten - ein Algorithmus kann das nicht berechnen.