Freitag, 29. März 2024

Archiv


Google Earth statt Hammer und Bürste

Archäologie. – Für moderne Archäologen ist der Computer mit Internetanschluss ein ebenso unentbehrliches Arbeitsmittel geworden wie der Archäologenhammer. Mit Google Earth etwa können sie weite Teile der Erdoberfläche nach viel versprechenden Ausgrabungsplätzen absuchen, ohne teure Flugkampagnen bezahlen zu müssen. Auf der Konferenz "Computeranwendungen und quantitative Methoden in der Archäologie" in Berlin diskutierten die Wissenschaftler über die Reize des Computerzeitalters.

Von Tobias Wenzel | 05.04.2007
    Bernard Frischer von der Universität von Virginia ist ein moderner Archäologe. Er gräbt nicht im Sand, sondern blickt auf sein Notebook. Eine Videodatei wird abgespielt, von Musik untermalt. Zu sehen ist eine gigantische virtuelle Stadt:

    "Wir machen jetzt einen Flug über das gesamte Alte Rom im Jahr 320 nach Christus. Wir sehen gerade unter uns, von Osten her, die Stadt mit Tausenden von Bauwerken. Jetzt nähern wir uns dem Stadtzentrum. Ich sehe den Tempel des Divus Claudius und das Kolosseum."

    Der studierte Altphilologe und Archäologe Bernard Frischer hat zehn Jahre lang mit seinen Mitarbeitern daran gearbeitet, das antike Rom im Computer wieder auferstehen zu lassen. In Berlin hat er die Konferenzteilnehmer zu einer virtuellen Fahrt durch die antike Metropole eingeladen. Viele Pixel-Gebäude Roms sind begehbar. In der computergenerierten Maxentiusbasilika wird schon bald die Kolossalstatue von Konstantin stehen. Denn der Chef einer Informatikfirma, die die Statue in 3D-Form programmiert hat, hat sich kürzlich bei Bernard Frischer gemeldet. Frischer:

    "Wir haben also vereinbart, dass er unsere Basilika bekommt und wir zum Tausch seine Statue. Seine Statue wird durch unsere Basilika aufgewertet und umgekehrt. Ich hoffe, dass solche Rahmenabkommen zwischen Firmen, Wissenschaftlern und Museen Schule machen. Sie könnten so das 3D-Modell Roms ausbauen und bereichern."

    Außerdem möchte Frischer das virtuelle antike Rom mit Satellitenbildern des aktuellen Roms verknüpfen. Mit Hilfe der kostenlosen Software Google Earth. Google Earth hat die Arbeit vieler Archäologen revolutioniert. Auch die von Scott Madry. Der Professor für Anthropologie an der Universität von North Carolina habe das digitale Hilfsmittel ausgiebig im Burgund getestet, erzählt er in seinem Workshop über Google Earth auf der Berliner Konferenz:

    "25 Jahre lang habe ich in dieser Gegend gearbeitet und vielleicht 20 archäologische Stätten gefunden. Aber in nur einigen Monaten habe ich 100 Stätten entdeckt, indem ich zu Hause oder im Büro Google Earth benutzte und mit meinem virtuellen Hubschrauber das Gebiet abflog."

    Früher flogen Archäologen mit realen Flugzeugen Gegenden ab, in denen sie archäologische Stätten vermuteten. Heute ersetzt Google Earth zum Großteil diese Flüge. Bis auf wenige Meter, manchmal nur Zentimeter können sich Archäologen an fast jeden Fleck der Erde heranzoomen, weiß Scott Madry:

    "Anzeichen für archäologische Stätten sind Veränderungen in der Vegetation oder im Boden in Form einer Linie, eines Rechtecks oder eines Kreises. Wenn ich so etwas mit Google Earth entdecke, übertrage ich die Positionsdaten auf meinen GPS-Empfänger. Im Feld führt mich dann das System bis auf wenige Meter an den Ort. Manchmal entpuppen sich die vermeintlichen archäologischen Orte allerdings als moderne Wasser- oder Abwasserleitungen. Aber sehr oft findet man neue, unentdeckte archäologische Stätten."

    Dann können die Archäologen die örtlichen Behörden informieren, damit die historischen Stätten erst einmal geschützt werden. Vor dem Hintergrund dieser faszinierenden Computeranwendungen macht sich Bernard Frischer von der Universität von Virginia schon Sorgen, ob es in Zukunft noch genügend konventionelle Archäologen gibt:

    ""Wir brauchen Menschen, die gerne im Dreck sitzen und Fundstücke vom Dreck befreien. Die meisten Archäologen interessieren sich nämlich für sexy Dinge wie 3D-Modelle."