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Google goes Museum

Googles neuester Coup ist das sogenannte Art Project. Damit ermöglicht der Suchmaschinengigant zum Beispiel den virtuellen Gang durch das MoMA in New York oder durch die Alte Nationalgalerie in Berlin.

Von Jochen Spengler | 01.02.2011
    Angesichts der neuen Möglichkeiten gerät Sir Nicholas Serota, Leiter von Tate Britain ins Schwärmen:

    "Es ist ein Schritt vorwärts, der zum ersten Mal Museen in einem Projekt mit Google zusammenbringt, um etwas anzubieten, das, wie Sie gleich sehen werden, all unseren Zielgruppen eine unvergleichliche Gelegenheit gibt, großen Kunstwerken wirklich nahe zu kommen."

    Tatsächlich verspricht die sich anschließende Multimedia-Präsentation in Gallery 9 Einmaliges: ab sofort sind mehr als 1000 Gemälde aus 17 Museen weltweit im Internet zugänglich. Zugänglich ist dabei wörtlich zu verstehen: Man kann – virtuell – fast 400 ausgewählte Räume solch renommierter Museen wie des Rijksmuseums, des MoMa, des van Gogh Museums, der Frick Collection oder der Alten Nationalgalerie in Berlin betreten und sich darin umschauen. Die 360-Grad-Street-View-Technologie macht es möglich.

    Schon das allein ist bemerkenswert. Doch auch die auf der Website bereitgestellten Informationen über Werke und Künstler sind hilfreich.

    Der Clou des Projekts besteht aber darin, dass jedes Museum ein besonderes Gemälde ausgewählt hat, das von Google in einer nie gekannten Auflösung ins Netz gestellt wird: Jedes dieser 17 Bilder enthält sieben Milliarden Pixel. Das Ergebnis: Eine Abbildung, besser als in der Realität.

    "Sie zoomen da in die Bilder hinein, dass am Ende die Auflösung höher ist als die Kunsthistoriker und die Restauratoren das bei uns selbst sehen können",

    sagt Professor Günther Schauerte von den Staatlichen Museen zu Berlin. Tatsächlich erkennt man kleinste Details, sogar Pinselführung und Patina, was einem als Galeriebesucher mit bloßem Auge verborgen bleibt. Weswegen die beiden beteiligten deutschen Museen, die Alte Nationalgalerie und die Gemäldegalerie, die Bilder "Im Wintergarten" von Manet und "Der Kaufmann Georg Gisze" von Hans Holbein zur Verfügung gestellt haben.

    "Das sind Werke, die kunsthistorisch von hoher Bedeutung sind, andererseits wie der "Der Kaufmann Gisze", ein Renaissancebild, durch einen ungeheuren Detailreichtum sich auszeichnen. Das Interesse des Internetnutzers muss ja sein, wenn ich so hoch auflösend an das Werk herangehen kann, dass ich auch etwas sehe, dass ich die Technik verstehe in ihren Möglichkeiten."

    Ebenfalls in unglaublicher Auflösung zu betrachten – wenn denn der eigene Rechner und der Google-Server den Ansturm bewältigen: die Nachtwache von Rembrandt, die Ernte von Breughel, die Geburt der Venus von Botticelli, aber auch von Chris Ofili: No woman, no cry. Ein Werk aus dem Jahre 1998 und insofern eine Ausnahme, als die meisten neueren Kunstwerke oft nicht gemeinfrei sind und aus rechtlichen Gründen nicht ins Internet gestellt werden können.

    Was aber treibt Google, die manchem inzwischen unheimliche Krake nun auch noch dazu, sich als Kunstfreund zu präsentieren? Günther Schauerte:

    "Google ist ja da ein Industrieunternehmen, das hier jenseits von Werbung, von all diesen Dingen der Öffentlichkeit einen Zugang zur Kultur ermöglicht. Das ist klassisches Kultursponsoring und dabei nicht hoch genug in der Wirkung einzuschätzen."

    Zweifellos auch ein Imagegewinn für Google und seine vor allem in Deutschland umstrittene Street-View-Technologie. Nach Angaben von Nelson Mattos, des Produkt-Vizechefs für Europa, gab es für den Internet-Riesen zwei Motivationen für das Kunstprojekt, das um weitere Museen und Gemälde erweitert werden soll:

    "Die erste ist wirklich, wir haben die Technologie, warum sollen wir das nicht tun? Und zweitens war wirklich das Interesse, alle Museen zu sammeln in einem einzigen Projekt, in eine Webseite, wo man gemeinsam die ganze Malerei sehen kann."

    Wird sich der moderne Mensch also künftig den Museumsbesuch sparen können und stattdessen den Fast-Food-Internet-Klick wählen?

    "Wenn er kein Interesse hat, oder auch nicht aufgeregt ist, mal die Originale zu sehen, dann vielleicht schon. Aber ich bin sicher, dass die Menschen neugierig sind und dass die Aura des Originals durch eine digitale Abbildung nicht ersetzt werden kann"

    glaubt Hans-Peter Frentz, der die Bildagentur der Staatlichen Museen zu Berlin leitet.

    Er hofft im Gegenteil darauf, dass das Google-Projekt die Neugier auf einen Museumsbesuch weckt. Schließlich gebe es dort noch viel mehr zu entdecken – noch nicht einmal ein Prozent des Bestandes der zwei Berliner Museen finde sich auf der Website.