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Gore Vidal: Ewiger Krieg für ewigen Frieden. Wie Amerika den Hass erntet, den es gesät hat

Der 1925 geborene Schriftsteller Gore Vidal stammt selbst aus der US-amerikanischen Oberklasse, ist aber einer ihrer schärfsten Kritiker. Einst war er Redenschreiber John F.Kennedys und hatte selbst erfolglos versucht, Kongressabgeordneter zu werden. Nach dem 11. September wurde es Vidal zunächst, wie vielen Intellektuellen, die nicht ins patriotische Propagandahorn stoßen mochten, schwer gemacht, seine Meinung zu veröffentlichen. Die seichte Indoktrination, die in den US-amerikanischen Medien breiten Konsens findet, neigt zur Zensur, weswegen sich immer mehr US-Amerikaner aus dem Internet und dort gerne britischen Zeitungen wie dem Guardian ihr politisches Wissen beziehen. Trotz Ignoranz der einheimischen Medien stehen allerdings die Bücher der radikalen Bush-Kritiker wie Noam Chomsky und Vidal in den USA ganz oben auf den Bestsellerlisten. Vidal jedenfalls konnte zunächst seinen Essay über den 11. September nur auf dem Umweg über Brasilien und über Italien, wo er zeitweise lebt, auf den amerikanischen Markt bringen. Der Aufsatz bildet nun den Auftakt eines auch auf Deutsch erschienenen Bandes, der unter dem Titel 'Ewiger Krieg für ewigen Frieden’ bei EVA erschienen ist.

Hans-Martin Lohmann | 02.09.2002
    Die meisten Historiker sind sich heute darin einig, dass die herrschende Pax Americana, also die nach den Vorstellungen der Vereinigten Staaten modellierte "Neue Weltordnung", spätestens in den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ihren Anfang nahm. Nach der militärischen Niederlage Nazi-Deutschlands und Japans – und, wie man in Parenthese hinzufügen muss, nach dem unaufhaltsamen Niedergang des britischen Empire – gab es keinen ernsthaften Rivalen mehr, der den weltweiten hegemonialen Anspruch der USA ernsthaft infrage zu stellen vermochte. Im geschichtlichen Rückblick erscheint selbst die Existenz der Sowjetunion, für vierzig Jahre der einzig potente weltanschauliche, politische und militärische Widerpart Amerikas, wie das kurze Intermezzo eines Kolosses auf tönernen Füßen, dessen verspäteter Zusammenbruch zu Beginn der neunziger Jahre das eigentlich Erstaunliche ist.

    Mit Schärfe und Weitblick in die Zukunft hat der amerikanische Historiker Charles Beard bereits vor fünfzig Jahren festgestellt, dass die USA seit 1945 einen "ewigen Krieg für ewigen Frieden" führen. Diese ebenso einprägsame wie zutreffende Formel für einen paradox anmutenden Sachverhalt hat der Schriftsteller Gore Vidal als Titel über eine Reihe von Essays gesetzt, die er in den letzten Jahren als fortlaufenden Kommentar zu innen- und außenpolitischen Entwicklungen der USA verfasst und jetzt in Buchform veröffentlicht hat. Natürlich bildet auch in diesem Fall der 11. September 2001 den Auslöser für die Buchpublikation.

    Gore Vidal, geboren 1925, ist ein bekannter Us-amerikanischer Schriftsteller und Intellektueller, der seit je wortgewaltig gegen die Zustände in seinem Land ankämpft und sich selbst als das enfant terrible der Us-amerikanischen Intelligentzia betrachtet. Diese nicht uneitle Selbsteinschätzung Vidals hat im vorliegenden Band zur Folge, dass seine wie immer berechtigten Klagen über und Anklagen gegen die Politik der Vereinigten Staaten zuweilen einen Ton annehmen, der etwas fatal Selbstmitleidiges und Narzisstisches anklingen lässt. Offenbar sieht sich der Schriftsteller primär als Opfer der Us-amerikanischen Medien und der von ihnen praktizierten Zensur. Dass der amerikanische Medienmarkt für politisch nonkonformistische Einstellungen schwierig sein kann, ist freilich bekannt – auch ein Kritiker vom Format Noam Chomskys bekommt dies zu spüren, doch ohne deshalb in Larmoyanz zu verfallen. Immerhin fand Vidal am Ende doch einen Verleger, der sein Buch druckte.

    Vidal richtet sein Hauptaugenmerk auf die von ihm behauptete Tatsache, dass Terroristen wie Osama Bin Laden und Timothy McVeigh, der im April 1995 in Oklahoma City ein Bundesgebäude in die Luft sprengte und dabei 168 Menschen tötete, nicht ohne Grund taten, was sie taten. Der Grund ist für ihn evident: Die USA führen seit rund fünfzig Jahren einen "ewigen Krieg" gegen alles, was sie als "das Böse" definieren, nach innen wie nach außen, und dieser "ewige Krieg" provoziert Individuen wie Bin Laden und McVeigh dazu, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Die Frage, so Vidal, könne daher nicht lauten, ob der Krieg der USA gegen den Terrorismus ein gerechter Krieg sei; vielmehr müsse die Frage nach den Ursachen des Terrorismus gestellt werden. Und die sind für Vidal klar: Es ist der politisch gewollte und von den Vereinigten Staaten praktizierte Staatsterrorismus, welcher den Terrorismus der anderen gebiert. Amerika, dies sein Resümee, erntet den Hass, den es selber gesät hat.

    Nun ist weder die These vom Us-amerikanischen Staatsterrorismus ganz neu noch auch Vidals Unterstellung, dass die USA, speziell unter ihrem derzeitigen Präsidenten, von einem Kartell mächtiger Männer aus Wirtschaft, Militär und Geheimdienst regiert werden, dessen Interessen nur sehr begrenzt mit denen der Bevölkerungsmehrheit übereinstimmen. Derlei Thesen und Behauptungen sind einerseits ohne weiteres diskutabel. Andererseits bedürfen sie, im Einzelnen wie im Allgemeinen, der sachlichen Substantiierung, wenn sie denn ernstgenommen werden wollen.

    Das ärgerniserregende an Vidals Buch ist, dass es in seinem hochfahrend selbstinszenatorischen Gestus auf Sachargumente weitgehend verzichtet. Auf Schritt und Tritt spürt der Leser, dass sich der Autor von einem Affekt leiten lässt, der mit ihm regelrecht durchgeht und wenig Raum für Differenzierungen und Begründungen offenhält. So wundert es einen denn auch nicht, dass Vidal nicht davor zurückschreckt, die fragwürdigsten historischen Analogien zu bemühen:

    Wenn man sich einmal klarmacht, dass die Vereinigten Staaten die übrige Welt unablässig mit Gewalt überziehen und hierzu Vorwände benutzen, die so durch und durch fadenscheinig sind, dass wohl selbst Hitler gezögert hätte, sie zur Rechtfertigung seiner dreistesten Lügen zu verwenden, begreift man allmählich, weshalb uns Osama Bin Laden aus der Ferne und im Namen von einer Milliarde Muslimen angegriffen hat.

    Abgesehen davon, dass Hitler keineswegs gezögert hat, durch und durch fadenscheinige Vorwände zu benutzen, um beispielsweise Polen zu überfallen, ist es sowohl unter historischen als auch unter moralischen Aspekten schlicht unerhört, dass sich eine wie immer zutreffende Kritik an der Außen- und Militärpolitik der Vereinigten Staaten zu einem Vergleich mit der des 'Dritten Reiches’ hinreißen lässt. Das ist nicht einfach ein Fauxpas oder eine Geschmacklosigkeit, die Vidal unterläuft (zumal sie sich an anderer Stelle wiederholt), sondern die Konsequenz eines Affekts, der außer Kontrolle geraten ist. Damit bringt er sich um eben die Wirkung, die er mit seinem Buch doch erzielen will, und macht sich angreifbar bei all jenen, die ohnehin meinen, dass die linke Kritik an Amerikas Feldzug gegen den Terrorismus maßlos überzogen sei. Ungewollt bestätigt Vidal genau das, was jüngst seriöse Us-amerikanische Intellektuelle wie Amitai Etzioni und Michael Walzer vorgebracht haben: dass nämlich die Linke, nicht zuletzt die europäische, Probleme damit habe, ihre Kritik an den USA von antiamerikanischen Affekten freizuhalten.

    Zu guter Letzt bestätigt sich einmal mehr die alte Erfahrung, dass das fahrlässig Gedachte meist auch in schlampiger Gestalt daherkommt. Weder dem Autor noch seinen deutschen Übersetzern hätte die Verwechslung von Ödipus und Orestes unterlaufen dürfen. Wenn Vidal unter Berufung auf Die Eumeniden des Äschylos schreibt, Orest habe die Sünde begangen, mit seiner Mutter zu schlafen, dann hätte ein Blick in den Text der antiken Tragödie genügt, um den peinlichen Lapsus zu vermeiden. Auch mit historischen Daten scheint es der Autor nicht allzu genau genommen zu haben. Allein aufs Konto der Übersetzer geht, dass die im Titel des Buches und auch sonst zitierte Formel von Charles Beard – "ewiger Krieg für ewigen Frieden" – gelegentlich als "dauerhafter Krieg für den dauerhaften Frieden" auftaucht. Solche äußeren Eindrücke runden das Bild von einem inhaltlich eher misslungenen Buch ab.

    Gore Vidal, Ewiger Krieg für ewigen Frieden, erschienen in der Europäischen Verlagsanstalt. Das Buch hat 132 Seiten und kostet 12.90 Euro.