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Gorkis "Wassa Schelesnowa"
Verzweifeltes Lechzen nach Geld und Liebe

Zentrales Thema von Gorkis Stück "Wassa Schelesnowa" sind die zerstörerischen Kräfte des Kapitalismus, die sich im Privaten am Zerbrechen einer Familie zeigen. Stephan Kimming hat das Stück am Deutschen Theater Berlin modernisiert und stark eingekürzt. Gewalt ist in seiner Inszenierung nicht der Höhepunkt, sondern die normale Umgangsform.

Von Eberhard Spreng | 17.05.2014
    Außenansicht des Deutschen Theaters in Berlin bei Sonnenschein.
    Deutsches Theater in Berlin (picture alliance / dpa - Soeren Stache)
    Wie auf einer Baustelle sitzt Wassa Schelesnowa an einem Tisch und vergräbt ihr Gesicht in den Händen. Metallprofile einige graue Platten, viele sind schon verschwunden. Im Bereich der Vorderbühne löst sich der aufgebrochene Raum völlig auf. Im Hintergrund stehen Kleiderständer und einige altmodische Scheinwerfer auf Stativen mitten im Bühnenbild. Eine schicke Boutique könnte so ihre Kunden begrüßen. Und tatsächlich kommt hier keine der modernisierten Figuren irgendwie unauffällig auf die Bühne; alles ist Achtung: Auftritt! Wassas Sohn Semjon und seine Frau Natalja zeigen sich im schlamperten Morgenmantel, Sohn Pawel in Unterwäsche und seine Frau Ljudmilla als verträumtes Strahlewesen in sonnengelbem Kleidchen. Dass sie es mit dem arrogant nörgeligen Prochor fast schon unter den Augen der gesamten Familie treibt, ist der erste zahlreicher Konflikte, die hier mit verbalen Attacken und Handgreiflichkeiten ausgetragen werden.
    In Kimmigs modernisierter und stark eingekürzter Fassung der ersten Version des Gorki-Stücks ist physische Gewalt nicht der Höhepunkt des latenten Kampfes jeder gegen jeden, sondern quasi schon normale Umgangsform, alltägliche Übung. Dass hier alle verzweifelt nach Geld und Liebe lechzen und dabei ständig das eine mit dem anderen verwechseln, lässt Kimmig nicht erspielen. Es wird schlicht vorausgesetzt, eine Geste, ein Hinweis muss als Wegmarke der Aufführung genügen.
    Am ehesten noch Alexander Khuon zeigt einen Pawel, der in dem Gewaltzusammenhang viel Energie in Selbstekel und Selbsthass fließen lässt, diesen dann aber plötzlich und unberechenbar in Aggression nach außen umlenkt. Bruder Semjon ist mit Christoph Franken ein Schlafzimmerrevoluzzer, der bereit ist, auf jeden einzudreschen, der sich auf weniger als einen Meter nähert. Ach ja: Wenn man sich prügelt, dann gerne mit Lappen, die man vorher in eine Wasserkaraffe auf der rechten Vorderbühne getaucht hat. Das knallt dann laut und macht das Opfer klatsch nass. Das hat natürlich auch immer etwas von forcierter Verharmlosung von Gewalt auf der Bühne. Das Als-Ob, diese ewige Fußfessel des Theaters beim Umgang mit der Wirklichkeit, sah man selten so deutlich und hilflos wie in der Schlacht der nassen Lappen.
    Kritik am herrschenden Gesellschaftsmodell
    Eigentlich soll ja erzählt werden, wie sich die zerstörerischen Kräfte des Kapitalismus privat im Zerbrechen einer Familie äußern, wie also strukturelle Gewalt sich als persönlicher Konflikt Bahn bricht. Wie Wassa die Pleite gehende Reederei retten will und ihre Kinder und Schwiegertöchter ganz anderes im Sinn haben, unter anderem eine etwas wohlfeile Kritik am herrschenden Gesellschaftsmodell.
    "Die Leute die wirklich was zu sagen haben, die stillen Leute, die sterben aus. Alle reden doch nur, alle rennen einfach durch die Gegend und arbeiten. Du auch."
    "Ich auch, ja ..."
    "Alle investieren die meiste Zeit ihres Lebens in Arbeit, die opfern ihre Freiheit für Geld, um Sachen zu kaufen, die man nicht braucht um Leute zu beeindrucken, die man nicht mal mag."
    So, ziemlich frei nach Gorki und Alexander von Humboldt, redet Lisa Hrdina als Natalja auf die Wassa-Tochter Anna ein. Anna ist die Einzige, die den Lebensmaximen der Mutter noch in Ansätzen folgen mag. Franziska Machens spielt sie als korrekte junge Dame, die in die Familie zurückkehrt wie in eine fremde Welt. Sie hat sich einst ausbezahlen lassen, glaubt aber, dass da noch mehr zu holen sein muss, als Schulden, von denen die raffgierige Mutter immer spricht.
    Corinna Harfouch spielt die Titelfigur als eine Person, die von der ersten Minute der Aufführung an den guten Ausgang ihres Vorhabens - Erhalt von Familie und Betrieb als konsistentem Lebensprojekt – nicht mehr so recht glaubt. Jeder, allen voran Sohn Pawel, kann sie ungestraft körperlich bedrängen. Die hochmoderne Kumpelmutter kann keine Generationen-Grenze mehr setzen, keine Respekt mehr einfordern. Gorkis Muttermonster schrumpft hier auf ein realistisches Gegenwartsformat. So kann ihre Hilflosigkeit eine gruppenpsychologische Dimension bekommen, die Kimmig besonders interessiert. Wenn der von Wassa verlassene kranke Mann, ein Kinderschänder und Säufer beseitigt und beerdigt worden ist, führt die kollektive Neurose endgültig in den Untergang.
    Nackt und ohne jede Maske offenbaren sich jetzt die verratenen und vertanen Lebens- und Liebeshoffnungen. Am Ende kommt ein Revolver ins Spiel. Ein Schuss fällt nicht, aber jeder weiß, dass in der Fortsetzung nicht mehr das Wasser der nassen Lappen spritzen wird, sondern viel Blut.