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Gorleben: Endlagerfrage nicht vom Tisch

34 Jahre nachdem der Standort Gorleben als Atommüllendlager ins Spiel gebracht wurde, bemüht sich die Bundesregierung erstmals um Miteinbeziehung der anwohnenden Bürger. Vielen Wendländern erscheint dieser plötzliche Schritt seltsam. Steckt Kalkül dahinter?

Von Susanne Schrammar | 14.02.2011
    Planfeststellungsverfahren, Rahmenbetriebsplan, Öffentlichkeitsbeteiligung und Umweltverträglichkeitsprüfung – es sind sperrige Begriffe, die in der 71-seitigen Klageschrift gegen die Erkundung von Gorleben fallen, doch sie sind entscheidend. Der Rahmenbetriebsplan gibt den Rahmen für die Erkundung Gorlebens vor, beschreibt das Verfahren, die technische Durchführung und den zeitlichen Ablauf. 1982 wurde er aufgestellt, nach den Anforderungen des damals geltenden Bergrechts. Und das sah weder eine Umweltverträglichkeitsprüfung vor noch eine Beteiligung betroffener Bürger. Seitdem wurde der Rahmenbetriebsplan für Gorlebens Erkundung immer wieder verlängert. Das letzte Mal im Oktober vergangenen Jahres, auf Antrag des Bundesumweltministers. Genau hier sehen Gorleben-Gegner einen Ansatzpunkt, die Erkundung juristisch auszuhebeln. Matthias Edler von Greenpeace:

    "Der Bundesumweltminister Norbert Röttgen versucht damit trickreich, dieses damals geltende Bergrecht ohne Öffentlichkeitsbeteiligung anzuwenden. Wir sagen: Alle Voraussetzungen seit 1983 haben sich geändert: Die Art und Menge des Mülls, die Lage der Erkundungsbereiche, die Sicherheitsanforderungen, wir wollen, dass die Bauarbeiten da sofort gestoppt werden."

    Die Umweltorganisation hat gemeinsam mit Anwohnern und Grundbesitzern des Salzstocks beim Verwaltungsgericht Lüneburg einen entsprechenden Eilantrag gestellt, parallel zu einer Klage gegen die Erkundung des geplanten Endlagers. Das Verwaltungsgericht hatte im Oktober die Erkundung bereits untersagt, doch das niedersächsische Umweltministerium genehmigte im November einen beantragten Sofortvollzug. Seitdem darf weiter erkundet werden. Das Gericht will sich intensiv mit dem juristischen Streit auseinandersetzen. Es stehe wirtschaftlich und politisch viel auf dem Spiel. Die Sache sollte nicht übers Knie gebrochen werden, so ein Gerichtssprecher. Tatsächlich könnte die Entscheidung über einen sofortigen Baustopp weitreichende Folgen haben, sagt Michéle John, Rechtsanwältin der Kläger.

    "Es ist in der Regel so, dass über den Eilantrag dieselben Richter entscheiden, die auch mit der Hauptsache befasst sind und das bedeutet, dass, wenn einem Eilantrag stattgegeben wird, dass dann auch eine Tendenz dahingehend besteht, dass die Richter sagen: Ja, die Hauptsache hat eben voraussichtlich Erfolg."

    Greenpeace und die anderen Kläger stützen sich auch auf neu entdeckte Behördendokumente. Die sollen beweisen, dass die Bürgerbeteiligung absichtlich umgangen worden sei. So wurde 1977 ursprünglich ein Planfeststellungsverfahren für ein Entsorgungszentrum in Gorleben beantragt – nach geltendem Atomrecht, das eine Beteiligung der Öffentlichkeit vorschreibt. Dieses Verfahren war damals nötig, weil die Bundesregierung einen Entsorgungsnachweis für den Bau neuer Atomkraftwerke brauchte und sie die Energiekonzerne an den Kosten beteiligen wollte. Doch zwei Jahre später wurde das Planfeststellungsverfahren auf Eis gelegt, hat Matthias Edler herausgefunden.

    "1979, und das sagen die neuen Aktenfunde, ist man von dieser Strategie abgekommen und hat gesagt: Nee, wir machen jetzt einen Planfeststellungsbeschluss erst zur Einlagerung des Atommülls. Wörtlich: 'Um damit keine Verzögerung durch Einsprüche im Planfeststellungsverfahren zu ermöglichen'."

    Hätten die Kläger Erfolg, wäre ein Endlager in Gorleben damit nicht vom Tisch, aber die Erkundung wesentlich aufwendiger: Anders als das Beteiligungsmodell, wie es Bundesumweltminister Röttgen jetzt vorsieht, wären Einblicke in Verfahrensunterlagen und Einspruchsmöglichkeiten rechtlich vorgeschrieben. Und damit, sagt Rechtsanwältin John, gäbe es bei einem Sieg vor Gericht endlich ein transparentes und offenes Verfahren für Gorleben.