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Gotischer Schmuck und koschere Küche

Neue Ausgrabungen zeigen, dass in Köln bereits um 800 eine Synagoge stand, und geben Aufschluss über das damalige jüdische Leben. Den kostbaren Erfurter Judenschatz können Besucher im neuen Jüdischen Museum der thüringischen Landeshauptstadt ansehen.

Von Matthias Hennies | 22.10.2009
    Halbdunkel herrscht im Keller unter alten Erfurter Synagoge. Die indirekte Beleuchtung erzeugt Schatten unter der Gewölbedecke und in den Ecken des weiten Raums. Doch die Kleinodien in den Vitrinen strahlen im hellen Licht.

    "Wir haben einen Reif mit Drachen auf jeder Seite und die beiden Drachen tragen ein kleines gotisches Gebäude, mit Maßwerk, mit einem glatten Dach und auf dem Dach sind hebräische Buchstaben eingraviert, die die Inschrift 'Mazeltoff' bedeuten, was so viel wie 'Viel Glück' heißt."

    Der jüdische Hochzeitsring mit dem goldenen Häuschen ist der Höhepunkt der Sammlung, meint Maria Stürzebecher, Kunsthistorikerin an der Universität Erfurt. Diesen Ring steckte der Bräutigam seiner Braut nach der Trauung an. Er symbolisierte nach traditionellem jüdischen Verständnis den Wert der Braut. Das Häuschen mit dem Glückwunsch im Dach stand für den neu gegründeten Hausstand.

    Goldene Fingerringe und blank poliertes Prunkgeschirr, fein verzierte Schmuckgürtel und Berge silberner Münzen: In der Alten Synagoge wird der nahezu einzigartige Erfurter Judenschatz ab Ende Oktober in einer Dauerausstellung zu sehen sein. Archäologen haben die Kostbarkeiten vor einigen Jahren fast zufällig unter der Kellertreppe eines längst verschwundenen mittelalterlichen Hauses entdeckt. Die jüdischen Bewohner hatten sie dort versteckt, als das Judenviertel von einem Mob aufgeputschter Christen bedroht wurde.

    "Es war im März 1349, das Datum ist bekannt, es war eine relativ planmäßige Vorgehensweise der Aufrührer, eine Gruppe von Bewaffneten hat das jüdische Viertel angegriffen, die Juden sollen noch versucht haben, sich zu wehren, und in dem Moment, wo es aussichtslos wurde, heißt es, sollen die Juden dann ihr eigenes Viertel angezündet haben. Was sicher ist, ist, dass das gesamte Viertel abbrannte und niemand aus dieser Gemeinde überlebte."

    Der Schatz geriet für Jahrhunderte in Vergessenheit - doch jetzt, 660 Jahre später, glauben Wissenschaftler des Thüringer Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie sogar den Namen des Besitzers zu wissen: Er hieß Kalman von Wiehe und war vermutlich Fernhandelskaufmann. Seine Preziosen sind mittlerweile gründlich erforscht worden. Die Herkunft der Edelsteine wurde naturwissenschaftlich bestimmt, ebenso das Material, aus dem die Gürtel waren. Die Duftstoffe, die den Textilresten noch anhafteten, hat eine Kosmetikfirma analysiert. Unter den Silbermünzen hat das Labor des Thüringer Landesamtes mehrere Fälschungen identifiziert. Und die Kunsthistoriker konnten erstmals eine Fülle von Objekten in die Hand nehmen, die sie zuvor nur von Beschreibungen und Bildern kannten.

    Schließlich hat die Stadt Erfurt die Synagoge aus dem 13. Jahrhundert restaurieren lassen, um das neue Jüdische Museum darin einzurichten - und dabei kam heraus, dass in Erfurt einst das zweitälteste jüdische Gotteshaus Deutschlands stand. In der Fachwelt löste das Erstaunen aus - noch größer war jedoch die Überraschung, als kürzlich nachgewiesen wurde, dass Deutschlands älteste Synagoge in Köln gestanden hat.

    Dort haben Archäologen das ehemalige jüdische Viertel freigelegt. Das Gotteshaus stand im Mittelalter unmittelbar vor dem Historischen Kölner Rathaus.

    "Wir befinden uns jetzt im Mittelpunkt der Synagoge, praktisch unter der Bima, der Lesekanzel, in einem kleinen Keller, der offenbar zur Aufbewahrung wichtiger Gegenstände, Dokumente oder auch der Geldzahlungen, die die Gemeinde eingesammelt hat, gedient hat, ein ganz besonderer Keller mit Lichtnischen und darüber einem Gewölbe."

    Das Judenquartier wurde schon in den 50er-Jahren archäologisch untersucht, doch Grabungsleiter Sven Schütte kann jetzt spektakuläre neue Ergebnisse vorweisen - und hat einen heftigen Forscherstreit ausgelöst.

    Dass im Kölner Zentrum schon um 800 eine Synagoge stand, zeigen die aktuellen Funde; insoweit sind Historiker und Archäologen weitgehend einig. Doch Doktor Schütte meint, bereits seit dem 4. Jahrhundert, seit der Römerzeit, hätten Juden an diesem Platz zu ihrem Gott gebetet. Er stützt seine These auf eine Reihe von Indizien.

    "Wir haben ja hier die Mittelachse der Synagoge, wo wir grad stehen, und in dieser Mittelachse gibt es ein Becken, was hier hinter uns zu sehen ist, und dieses Becken ist in den Gussestrichboden eingegossen, es ist ein integraler Bestandteil dieses Bodens, ist also im 4. Jahrhundert da gewesen."

    Der Fußboden wurde mit einem physikalischen Messverfahren auf das 4. Jahrhundert datiert. Zu dieser Zeit lebten tatsächlich Juden in Köln - das bestätigt eine Urkunde des römischen Kaisers Konstantin. Ihre Synagoge stand auf dem heutigen Rathausplatz, sagt Schütte. Er will das anhand des Wasserbeckens nachweisen. Das Becken war nämlich undicht - und dahinter steckte sicher kein Unvermögen, denn antike Bauarbeiter haben zahllose Wasserleitungen und Schwimmbecken wasserdicht verputzt.

    Wenn trotzdem ein undichtes Becken benutzt wurde, vielleicht sogar über Jahrhunderte, dann kann es dafür nur eine Erklärung geben, meint der Ausgräber: Es enthielt Wasser für die rituelle Reinigung der Juden. Dafür durfte nur fließendes Wasser verwendet werden, kein stehendes. So kennt man es aus den Mikwen, den jüdischen Reinigungsbädern, die tief in den Erdboden eingelassen wurden, damit immer Grundwasser hineinströmen konnte. Entsprechend könnte das undichte Becken zum rituellen Reinigen der Hände gedient haben, vermutet Schütte, etwa für die Vorleser in der Synagoge.

    Professor Alfred Haverkamp, Spezialist für jüdische Geschichte an der Universität Trier, widerspricht entschieden.

    "Ich kenne das nur, ein solches rituelles Wasser, für die Mikwe. Aber für nichts Anderes. Sonst hat Synagoge und rituelles Wasser eigentlich nichts miteinander zu tun."

    Wenn die Kölner Synagoge schon seit der Antike benutzt worden wäre, wenn man sie bis zu den Judenverfolgungen des hohen Mittelalters nicht aufgegeben hätte, wie Schütte annimmt, wäre das ein Superlativ. Dass eine jüdische Gemeinde so kontinuierlich existierte, konnte man bisher nur im Mittelmeerraum feststellen. Doch die These ist eben nicht bewiesen. Die Fachleute streiten noch, und die Archäologen graben weiter auf dem Rathausplatz. Sie legen vor allem Spuren der mittelalterlichen jüdischen Siedlung frei - und diese Funde sind nicht umstritten.

    In einem Abwasserschacht unter der Synagoge sind sie auf beschädigten Hausrat gestoßen, Reste der Plünderung im Pogrom von 1349. Und darunter lagen die Essensreste der jüdischen Anwohner, Küchenabfälle aus den Wochen vor dem blutigen Überfall.

    "Die Sensation sind eigentlich die Tierknochen, die drin sind: Wir haben da Fische und Vögel, Hühner, Enten, Gänse, Singvögel, Rebhühner, alles Mögliche drin, wir haben aber auch eine Küche, die definitiv koscher ist. Und zwar gibt es bei den Lämmern nichts hinter einem bestimmten Rückenwirbel in der Mitte, man isst also nur die Vorderteile, wir haben nur Fische mit Schuppen, also beispielsweise Aale oder Krebstiere oder Ähnliches fehlt, weil das eben rituell nicht vorgesehen ist. Es gibt hier auch zwei Schweineknochen, das ist durch den Müll da reingekommen, aber ansonsten ist alles koscher."

    Die Grundmauern der jüdischen Häuser, die Fundamente der Synagoge, die Treppen und Türöffnungen, die unter dem Kölner Rathausplatz zutage gekommen sind, sollen eines Tages in einem unterirdischen Museum gezeigt werden. Es wird römische und christliche Stadtgeschichte, vor allem aber das Leben im jüdischen Viertel wieder erfahrbar machen.