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Gott und Gorillas

Biologie. - Tiere haben Gefühle, da war sich Charles Darwin sicher. Verhaltensforscher haben allerdings lange Zeit die Forschung an tierischen Gefühlen gemieden. In jüngster Zeit rückt jedoch das Gefühlsleben vor allem von Affen wieder in den Fokus der Forschung.

Von Arndt Reuning | 16.02.2009
    Gerade hatte noch schönste Harmonie geherrscht im Affenhaus, doch jetzt ist die ganze Gorillafamilie in Aufruhr. Zwischen einem jungen Männchen und einem ranghohen Silberrücken ist ein Konflikt ausgebrochen. Immer wieder stürzt sich das ältere Tier auf den jüngeren Gorilla. Da greifen plötzlich die anderen Mitglieder der Affensippe ein, ein Weibchen, und zwei weitere Jungtiere. Sie versuchen die Spannung abzubauen. Aufgenommen hat Barbara J. King diese Szene in Zoo von Washington, DC. Für sie ein deutlicher Hinweis darauf, dass Gorillas so etwas wie Einfühlungsvermögen besitzen.

    "Die ganze Familie hat sich eingemischt. Warum? Etwa weil sie sich davon einen zukünftigen Vorteil erhofft haben? Dann würden sie wohl kaum den Schwächeren unterstützen. Ich denke, es ist eine Form von Empathie. Sie können sich in die Situation des Unterlegenen einfühlen – in seine Angst. Sie stellen sich hinter ihn und unterstützen ihn. Also, wir haben hier mitfühlende Affen und wir haben gewalttätige Affen. An welche andere Spezies erinnert uns das? Das klingt doch nach uns Menschen. Das ist eine Plattform für uns","

    sagt die Anthropologin vom College of William and Mary in Williamsburg, Virginia. Sie studiert das Verhalten von Affen, vor allem im Zoo, um daraus auf die menschliche Gefühlsbasis zurückzuschließen. Wut, Angst, Trauer – alle diese Gefühle, die wir Menschen kennen, haben ihre Entsprechung im Verhalten der Menschenaffen. Allerdings: Wie und was Tiere fühlen, darüber gibt es noch nicht sehr viele wissenschaftliche Untersuchungen.

    ""Die meisten Wissenschaftler widmen sich eher dem Denkvermögen von Tieren. In meinem Gebiet, der Primatenforschung, gibt es unzählige Veröffentlichungen dazu, wie Affen über die greifbare Welt denken, wie sie Probleme lösen. Jedoch nur wenige über ihre Gefühle. Aber wir können uns selbst nur dann verstehen, wenn wir uns beides anschauen, Gefühle und Denkvermögen. Wir Menschen sind nur deshalb so geworden, wie wir sind, weil Affen Gefühle und gleichzeitig kognitive Fähigkeiten besitzen."

    Aber nicht nur die menschliche Gefühlsausstattung spiegelt laut Barbara King das Verhalten unserer nächsten Verwandten wider. Auch kulturelle Leistungen und Religion seien im Tierreich angelegt.

    "Die Empathie, die wir bei den Affen sehen, ist eine grundlegende Wurzel für die spätere Entwicklung von Religion. Ich will damit nicht andeuten, dass Affen religiös sind. Ich will damit sagen: Weil Affen Lebewesen mit einem Bewusstsein sind, weil sie zu Einfühlungsvermögen und Mitleid fähig sind, besitzen sie ein Fundament für das, was später kam. Zur Zeit der Neandertaler und frühen Homo sapiens vor ungefähr 100.000 Jahren finden wir zum ersten Mal Hinweise auf echte Ritualen an Begräbnisstätten. Das war ein allmählicher Übergang. Genauso wie wir von der allmählichen Entwicklung der Technologie sprechen, können wir über die allmähliche Ausformung von Religion sprechen, die bei den Affen beginnt."

    Aber weil wir Menschen noch immer die Lebewesen mit der größten Fähigkeit zur Empathie sind, kommt uns dadurch eine gewisse Verantwortung zu, sagt die Anthropologin aus Virginia.

    "Man schätzt, dass bis zum Jahr 2050 die Menschenaffen in der Wildnis beinahe komplett ausgerottet sein werden. Diese wunderbaren Geschöpfe, die so emotional und vernunftbegabt sind, brauchen unsere Hilfe. Ich verweise da immer auf das Jane Goodall Institut und www.bushmeat.org. Zu meiner Verantwortung gehört es, zu überlegen, was wir für die Affen tun können, genauso wie sie zu studieren."