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Gottes Name und die Dattelpalme

Sänger stehen um eine Dattelpalme herum und üben Selbstbefreiung durch Stöhnen und Schreien: Eine Suche nach dem verlorenen Namen Gottes sollte die musikalische Installation von Rupert Huber thematisieren, die bei der RuhrTriennale Premiere feierte.

Von Frieder Reininghaus |
    Fastenbeginn war am vergangenen Samstag, dem 19. September um 20 Uhr. Da dem Verzicht auf Nahrungs- und Genussmittel "reinigende Wirkung" zugeschrieben wird, forderte der "ganzheitlich" inspirierte Kölner Tonkünstler Karlheinz Stockhausen mit seiner Improvisationsvorlage "Goldstaub", "vier Tage ganz allein/ Ohne Speise/ In größter Stille" zu leben; ergänzt wird diese Anweisung durch das Gebot: "Denke so wenig wie möglich". Das muss man ja bekanntlich manchen Musikern nicht zweimal sagen.

    Markus Stockhausen, ein Trompeter und Erbe des Meisters, durfte jetzt mit vier Kollegen an die esoterische Nummer aus dem Jahr 1968 erinnern - in einer "musikalischen Installation" der RuhrTriennale. Es handelt sich um ein Konzert mit älterer und neuerer Musik, dem eine kleine Ballettnummer vorangestellt wurde.

    Butohtanz - das bedeute "Bruch mit den rationalen Prinzipien der Moderne". Und dass diese Form des Robbens mit gequälten Mienen aus "introspektiven Übungen" entspringt, will man gerne glauben; auch dass das, was Ko Murobushi und seine zwei Nebenkriecherinnen zelebrierten, "zu einer neuen Perspektive der Innenwahrnehmung" führen kann. Schön für sie.

    Bach-Motette: Im Zentrum des Konzerts dirigierte Rupert Huber, der musikalische und Gesamtleiter des Projekts, in schwarzer Kittelschürze eines der doppelchörigen Vokalwerke des Thomas-Kantors J. S. Bach - sichtlich animiert, aber nicht immer mit den richtigen Einsätzen.

    Dattelpalme: Nach der Umbaupause, in der eine stattliche Zimmerpalme aufs rote Arbeitsfeld geschafft wurde, versammelte sich eine Kammer-Formation der Ruhr-Chorwerker mit geschlossenen Augen um die Dekoration. Während der Dirigent mit Assistentin einen Holzstamm traktierte, horchten die Sänger in sich hinein und übten Selbstbefreiung durch Stöhnen und Schreien. Zur Vorbereitung dieser Art von Gruppentherapie, der zuzuschauen geistig nur bedingt anregend ist, hatten die Ausführenden im Frühjahr eine gemeinsame Dienstreise in den Oman unternommen und in deren Zusammenhang auch Dattel und Dattelpalme bewundert.

    Jetzt galt der Dank Seiner Majestät Sultan Qaboos bin Said, der hierzulande wegen seines engagierten Eintretens für Demokratie, Menschenrechte und Gleichstellung der Frauen bestens bekannt ist. Gekrönt wurde das "Ritual", das eine Episode aus Tan Duns "Tea" kopierte, durch ein alpenländisches Schmankerl in Terzen und Sexten, das Guru Huber mit der Assistentin anstimmte: "So isch' fei recht."
    Das Unternehmen Tamar ist hoch subventioniert, offen anti-aufklärerisch, nebenbei zumindest demokratiefremd und beileibe nicht ernsthaft "multikulturell". Offensichtlich versucht der gegenwärtige Leiter der RuhrTriennale, Willy Decker, an den trüben Rändern eines therapiebedürftigen und -willigen Publikums gewisse Segmente abzudecken: Er bietet religiöse Surrogate als "Opium fürs Volk" (K. Marx) feil. Das sollten die Gesundheitsbehörden nach den therapiebedingten Todesfällen von Berlin-Hermsdorf im Auge behalten.

    Rupert Hubers Kauzigkeit entfaltet wenig Charme. Und die musikalische Ergründung der Dattel war bestenfalls eine Schnapsidee. Stellt man in Rechnung, dass Intendant Decker seine Karriere an der Kölner Oper begann, indem er den Dackel von Frau Hampe, der Gattin eines früheren Intendanten, ausführte, dann lässt sich der tiefe schöpferische Impetus erahnen, welcher den Auftrag motiviert haben könnte: Mit Dackel und Dattel ging es nach oben bis zu bestbezahlten Kulturfunktionärsjobs im Lande NRW.

    Warum ein im Prinzip vernünftiger Kulturkonservativer wie der CDU-Staatssekretär Heinrich Grosse-Brockhoff das durchwinkt, kann der Hörerschaft hier nicht vermittelt werden.