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Goya freigelegt

Die Goya-Ausstellung in Berlins Alter Nationalgalerie ist offenbar für alle Freunde des spanischen Malers ein absolutes Muss. Vielen dürfte dabei nicht bewusst sein, dass der Prado kein einziges Bild Goyas aus seiner Dauerpräsentation auslieh.

Von Klaus Englert |
    Wer seine Meisterwerke einigermaßen vollständig studieren will, muss weiterhin nach Madrid fahren. Dies gilt vor allem seit diesem Sommer. Denn kürzlich wurden am Westrand der Stadt die restaurierten Kuppelfresken Goyas in der Kapelle San Antonio de la Florida der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

    Der Ort liegt weit entfernt vom quirligen Kunsttourismus auf dem Paseo del Prado. Zu weit, um viele Besucher anziehen zu können. Beschaulich liegt die Kapelle am Río Manzanares, vor ihr thront der Malerfürst auf hohem Podest, und daneben erhebt sich eine Zwillingskapelle, die vor Jahrzehnten eigens für die Andacht gebaut wurde.

    Javier Arnaldo, Kurator des Museums Thyssen-Bornemisza, erzählt die Entstehungsgeschichte der Fresken:

    "Die Errichtung der Ermitage San Antonio de la Florida wurde durch den Königshof veranlasst. Genau genommen war sie eine kirchliche Einrichtung des Palastes. Durch den Bau der Kapelle wollte man Räumlichkeiten für ein traditionelles und beliebtes Madrider Volksfest schaffen – das Fest des Heiligen Antonius. Jedes Jahr im Juni feiert man das Fest in diesem Stadtteil."
    König Karl IV. veranlaste, dass an die Stelle einer alten Einsiedelei, die dem Heiligen Antonius geweiht war, die Kapelle gebaut wurde. Dies war die Stunde des Justizministers und Goya-Freunds Gaspar Jovellanos, der mit seinen Reformen den Einfluss der Inquisition zurückdrängen wollte:
    " 1798 erhielt Goya seinen Auftrag durch Vermittlung des Politikers und Philosophen Jovellanos. Er war ein enger Vertrauter von Karl IV. Hocherfreut nahm Goya den Auftrag an, machte sich sofort an die Arbeit und vollendete die Fresken nach ungefähr sechs Monaten. "

    Die Rahmenbedingungen für die Gestaltung der Fresken konnten kaum günstiger sein. Denn Goya unterstand nicht dem Erzbistum, sondern dem königlichen Hof. Jovellanos, den Goya im selben Jahr porträtierte, war nicht nur Minister für Justiz und Religion im liberalen Kabinett, er galt auch als einer der führenden Köpfe der spanischen Aufklärung. Die von ihm aufgegriffene Legende des Heiligen Antonius war natürlich ein beliebtes Thema der Volksfrömmigkeit. Niemals hatten die Kirchenoberen mit dem Madrider San Antonio-Kult irgendwelche Schwierigkeiten. Doch Goya und Jovellanos ließen sich von aufklärerischen Idealen leiten, sie nahmen die Antonius-Legende zum Anlass, um vor den Gefahren des Justizirrtums zu warnen. Javier Arnaldo erzählt, wie Antonius einen fatalen Justizirrtum aufdeckte:

    " Durch eine göttliche Botschaft erfährt der Heilige Antonius von Padua, dass man seinen Vater in Lissabon anklagte, einen Menschen ermordet zu haben. Unverzüglich reiste er nach Lissabon und verlangte, man möge den Leichnam in den Gerichtssaal bringen. Antonius erweckte ihn und erreichte, dass er seinen Vater mit den Worten freisprach: "Ihr Vater ist an diesem Mord unschuldig." "

    Francisco Goya verwandelte die gesamte Decke der Kapelle – Gewölbe, Bögen, und Zwickel - in ein großartiges Farbenmeer von irdischen und himmlischen Gestalten. Die nördliche Kuppel gestaltete er mit dem zentralen Thema, der Auferstehung des Ermordeten auf Befehl des Heiligen Antonius. Man erkennt ein kreisförmig verlaufendes Eisengitter, das die konzentrische Form des Gewölbes nachzeichnet. Dahinter gruppiert sich eine aufgewühlte Menschenmenge, und in ihrer Mitte Antonius, der gerade den Toten zum Leben erweckt. In San Antonio de la Florida befreite Goya die religiösen Gewölbefresken zum ersten Mal vom barocken Illusionismus, die Figuren schweben nicht mehr im leeren Raum gen Himmel. Nein, bei Goya haben sie das Schweben verlernt, sie unterliegen nun dem Gesetz der Schwerkraft. Für Arnaldo liegt darin die künstlerische Revolution Goyas:

    " In den Darstellungen der Fresken sehen wir die Menschenmassen, die dem Heiligen Antonius dabei zusehen, wie er das Wunder vollbringt. Diese dichte Menge von Gläubigen gibt sich der gleichen Verehrung hin wie die Menschen bei den Festen zu Ehren des Heiligen Antonius. Es lässt sich sagen, dass sich das Volk, das an dem religiösen Fest teilnimmt, in den Darstellungen Goyas wieder findet. "

    Goya interessierte sich nicht für scheinhafte Inszenierungen und entrückte Himmelsgestalten. Die Figuren, die sich um den Heiligen Antonius gruppieren, kennen alle Gefühlslagen - zwischen Teilnahmslosigkeit, spontaner Freude und blankem Entsetzen. Javier Arnaldo resümiert Goyas Aufklärungsimpuls:

    " In seiner Behandlung des religiösen Sujets war Goya schlechthin revolutionär. Die Fresken von San Antonio de la Florida stehen für eine aufklärerische Haltung gegenüber den Mysterien der Religion. Goya drückte in ihnen eine Vermischung des Heiligen und Irdischen aus. Das Himmlische und Transzendente muss sich notwendig ins alltägliche Leben einfügen. Das Miteinander der himmlischen und irdischen Stadt – dies war für Goya das Wichtige. "