Überwältigend ist hier im schnellen letzten Satz des Haydn-Konzertes die grandiose Virtuosität, verblüffend aber auch, welche Vielfalt von Farbschattierungen Daniel Müller-Schott seinem Instrument sogar noch in schnellstem Tempo entlockt. Dies ist jenseits von Basis-Qualitäten, wie sauberer Intonation und Fingerfertigkeit, eins der entscheidenden Kriterien, einen durchschnittlichen Musiker von einem herausragenden zu unterscheiden. Und wenn diese Farbigkeit des Spiels dann wie bei Müller-Schott nicht einfach als Showeffekt aufgesetzt, sondern klug in den Dienst der musikalischen Interpretation gestellt wird, entstehen die großen beglückenden Momente, wo man als Zuhörer den Eindruck des "So-und-nicht-anders" gewinnt. Und wie ist es mit seiner Gestaltungskraft in langsamen Sätzen, bringt er auch hier den sonor singenden Cello-Ton, hat er den großen Atem, die nötige Spannung, ohne die solche Sätze banal wirken und regelrecht in sich zusammenfallen können? Haydns 2. Satz beantwortet diese Fragen mit einem eindeutigen Ja.
* Musikbeispiel: Joseph Haydn - 2. Satz (Ausschnitt) aus: Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 1 C-Dur
Dabei hat Daniel Müller-Schott keine Karriere als Wunderkind hinter sich. Zwar glückte ihm mit 15 Jahren, was vorher noch keinem gelang, nämlich als erster deutscher Musiker beim renommierten Moskauer Tschaikowsky-Wettbewerb den ersten Preis zu gewinnen. Doch das stieg ihm nicht zu Kopf. Er ließ sich nicht als Wunderknabe herumreichen, sondern studierte ruhig und solide weiter bei Heinrich Schiff und Steven Isserlis. Dazu sagte er im Gespräch mit der Wochenzeitung "Die Zeit" einmal mit einer gewissen Abgeklärtheit: "Wenn man Cello spielt und ein Mann ist, entwickeln sich die Dinge etwas ruhiger, als wenn man ein weiblicher Teenager ist und geigt." Ein früheres Wunderkind der Geige hatte Daniel Müller-Schott zeitweise unter ihre Fittiche genommen: Müller-Schott genoss die persönliche Förderung und Unterstützung von Anne-Sophie Mutter als Stipendiat ihrer Stiftung für junge Musiker. Und heute tritt er auch gelegentlich zusammen mit ihr auf, zum Beispiel am 26. März in Paris, wo beide mit dem Orchestre National de France unter Kurt Masur das Doppelkonzert für Violine, Cello und Orchester von Johannes Brahms spielten.
Im März erschien auch Müller-Schotts jüngste CD mit dem Konzert für Violoncello und Orchester von Aram Chatschaturjan: ein zumindest in Teilen finsteres und bedrohliches Werk, 1946 komponiert nach all den Katastrophen des 2. Weltkriegs. Zur Arbeit an dieser Komposition hatte sich Chatschaturjan weitab von Moskau in ein Künstlerhaus zurückziehen können, das im Besitz des sowjetischen Komponistenverbandes war, zu dessen Mitgliedern der aus Armenien stammende Musiker Zeit seines Lebens gehörte. Dem Sowjetregime immer eng verbunden, mit Stalinpreis und Leninorden hoch dekoriert, geriet Chatschaturjan mit diesem Cellokonzert nach Meinung der Kulturbürokraten allerdings kurzzeitig auf die schiefe Bahn: es sei zu formalistisch und dekadent, warf man ihm öffentlich und hochoffiziell vor, was den Komponisten sicherlich verbitterte, ihn aber nach außen hin zu der öffentlichen Entschuldigung veranlasste, er habe sich in seinen kurz nach dem Krieg entstandenen Werken zu weit von seiner "heimischen Sphäre" entfernt. Später, nach Stalins Tod, bezog auch Chatschaturjan wie viele andere Künstler Stellung gegen die ebenso kleinliche wie bürokratische Bevormundung durch die Politik, aber stets hat er sich mit dem Regime arrangiert. Das macht eine Auseinandersetzung mit seinem Werk bis in die Gegenwart nicht immer einfach, so dass er im Bewusstsein vieler Musikliebhaber nur als Schöpfer einiger virtuoser Showstücke und opulenter Filmmusik existiert.
Zum Cello hatte Chatschaturjan eine besondere Beziehung, war es doch das erste Musikinstrument, das er erlernt hatte. Und so überrascht es nicht, dass er ein Cellokonzert komponierte, das die Möglichkeiten des Solo-Instruments souverän herausstellt und damit für jeden Solisten, also auch für Daniel Müller-Schott, ein besonders "dankbares" Stück ist. Und trotz des düsteren Beginns, trotz der Trauermotive entwickelt Chatschaturjan auf seine unvergleichliche Art aus relativ dissonantem Grundmaterial eine üppige Klangorgie mit gesanglichen Kantilenen, eingängigen Rhythmen, fein ausgehörter Harmonik, manchmal orientalisch gewürzt, manchmal zuckersüß und hart an der Grenze zum Kitsch, aber immer sicher zusammengehalten von einem untrüglichen Sinn für Form und Variation, für gleitende Übergänge und wirkungsvolle Kontraste.
* Musikbeispiel: Aram Chatschaturjan - 1. Satz (Ausschnitt) aus: Konzert für Violoncello und Orchester
Das waren Daniel Müller-Schott und das City of Birmingham Symphony Orchestra unter der Leitung von Sakari Oramo mit einem Ausschnitt aus dem 1. Satz des Konzertes für Violoncello und Orchester von Aram Chatschaturjan. Daneben bietet diese neue CD aus dem Hause Orfeo noch Chatschaturjans Violinkonzert, mit der ebenfalls sehr beachtenswerten jungen Solistin Arabella Steinbacher. Auch hieraus zum Abschluss noch ein kurzer Ausschnitt.
* Musikbeispiel: Aram Chatschaturjan - 3. Satz (Ausschnitt) aus: Konzert für Violine und Orchester
Haydn - Cellokonzerte/Beethoven - Romanzen
Solist: Daniel Müller-Schott
Orchester: Australian Chamber Orchestra
Leitung: Richard Tognetti
Label: Orfeo
Labelcode: LC 08175
Bestellnr.: C 080 031 A
Aram Chatschaturjan - Konzert für Violine und Violoncello
Solisten: Daniel Müller-Schott
Arabella Steinbacher
Orchester: City of Birmingham Symphony Orchestra
Leitung: Sakari Oramo
Label: Orfeo
Labelcode: LC 08175
Bestellnr.: C 623 041 A