Inzwischen lohnt es sich, einmal durchzuzählen: Die Akademie der Künste in Berlin betreibt ein Grass-Archiv. Die Günter-Grass-Stiftung in Bremen unterhält eine rezeptionsgeschichtliche Forschungsstelle mit audiovisuellem Schwerpunkt. Und das stolze Grass-Haus der Grassstadt Lübeck ist gleich alles in einem: Museum, Sammlung, Dokumentation, Veranstaltungsort, unten ein Grass-Shop für Fanartikel: vom Grass-Lineal aus der Produktlinie "es gibt sie noch, die guten Dinge" bis zur Originalgrafik alles da, und oben im Dach das Grass-Stübchen mit Sekretariat: Der Dichter ist anwesend.
Grass ist bei uns, wie es kein deutscher Dichter je war. Ein Autor, der Themen setzt wie kein zweiter, und dessen ebenso bedächtige wie insistierende Einreden zur Tagespolitik in Interviews und Statements auf unvergleichliche Art immer beides sind: Tagespolitik u n d Literatur. Das ist alles "Werk", unmöglich, das eine vom andern zu trennen. Sein Urheber kann es stolz betrachten, und schön zu sehen ist, wie der Hang zur Übellaunigkeit wegen schlechter Kritikernoten in der Werkabteilung "Literatur" inzwischen einer fast leichtfüßig zu nennenden Altersheiterkeit gewichen ist: "Letzte Tänze" heißt der Grass für diesen Herbst.
Und jetzt die Nachricht vom neuen, dem dann vierten Grass-Archiv. Bang ahnt man, dass nach Göttingen noch lange nicht Schluss ist. Wird sich der Flecken Behlendorf, der tatsächliche Spätwohnsitz unseres Nobel-Schriftstellers, die Gelegenheit entgehen lassen, mit einem Grass-Museum seinen Platz in der Literaturgeschichte zu behaupten? Was mit den Grass-Adressen in Berlin, Paris, Kalkutta? Was mit dem portugiesischen Ferien- und Töpferhaus? - Bei Wolfgang Goethe, den anderen deutschen Großschriftsteller, kommen wir mit zwei Goethehäusern doch ganz gut zurecht. Vier Grass-Häuser und das zu Lebzeiten und dereinst womöglich mehr und das Danziger Denkmal obendrein: Hier drohen Auswüchse ins Museal-Archivalische, vor denen wir den großen Mahner ausnahmsweise und mit allem Respekt einmal zurückmahnen wollen: Der Hang zum Haus macht schwere Beine: gar nicht gut für späte Tänzer.
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