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Greifvogel Rotmilan
Artenschutz als vorgeschobenes Argument gegen Windräder?

Greifvogel versus Windrad: Vor allem der Rotmilan gilt als bedroht, weil er häufig mit Windrädern kollidiert. Das wissen auch Windkraftgegner, die den Vogelschutz instrumentalisieren. Dabei gibt es längst Möglichkeiten, Windkraft und Artenschutz zusammenzudenken.

Von Stephan Beuting | 07.10.2019
Ein Rotmilan (Milvus milvus) im Flug. In Deutschland brüten noch 25.000 Paare.
Mehr als die Hälfte aller Rotmilane lebt in Deutschland (imago/blickwinkel)
Für die Einen ist Windkraft die Lösung für unsere Energiewende und für nachhaltigen Naturschutz. Für andere ist Windkraft ein Problem für den Artenschutz, weil Vögel getötet werden. Und dann gibt es diejenigen, die Windkraft per se ablehnen und den Artenschutz vorschieben.
"Es gibt inzwischen auch erste Untersuchungen und Berichte, dass das Thema Artenschutz gerne genutzt wird, um Windparks zu verhindern." Das sagt Kathrin Ammermann vom Bundesamt für Naturschutz, Kompetenzzentrum Erneuerbare Energien.
Rotmilan als Windkraftopfer – wegen seiner Art zu jagen
Dabei komme immer wieder der Rotmilan ins Spiel, um den es, wie manche behaupten, schlecht stehe. Eine wirklich systematische Erfassung der getöteten Vögel insgesamt gibt es nicht. Anhaltspunkte liefern aber die Zahlen der Vogelwarte Brandenburg. Seit 2002 werden dort Windkraftopfer gesammelt und gezählt. Unter den Opfern: besonders viele Rotmilane.
"Da gibt’s eine beachtliche Liste von Arten, beim Rotmilan sind es 500 aktuell."
Dass es besonders den Rotmilan trifft, das hängt mit seiner Lebensweise zusammen.
"Durch sein Jagdverhalten, indem er nämlich nach unten schaut beim Jagen, ist er besonders oft davon betroffen, dass er mit Windkraftanlagen kollidiert, weil er sie gar nicht sieht."
Das erklärt aber nur teilweise, dass der Rotmilan in beinahe jeder Debatte um Windkraft auftaucht, sagt der Ornithologe Lars Lachmann vom Naturschutzbund Deutschland. Der Rotmilan sei auch deshalb so besonders, weil er fast nur in Deutschland vorkomme.
"Über die Hälfte der Weltpopulation lebt in Deutschland, das heißt, wenn der Vogel in Deutschland aussterben würde, würde es schlecht um diese Art stehen. Das heißt, wir haben eine ganz große Verantwortung für den Rotmilan."
Diese Verantwortung schlägt sich im Bundesnaturschutzgesetz nieder, genauer, im Tötungsverbot.
"Das absichtliche Töten von Vogelarten, von streng geschützten Vogelarten ist verboten und da zählt der Rotmilan zu."
Wenn Windkraftgegnern die Argumente ausgehen, verweisen sie auf den Rotmilan
Das Bundesnaturschutzgesetz, dass vor allem die Tiere schützen soll, schützt auf diese Weise mittlerweile aber auch Partikularinteressen von Bürgerbewegungen, die gegen Windparks mobil machen.
"Deswegen ist der Rotmilan auch für solche Leute interessant, die Windräder verhindern wollen, denen der Rotmilan eigentlich egal ist, die aber wissen, dass wenn sie sonst mit ihren Argumenten ans Ende geraten sind, dann immer noch ein Artenschutzargument zur Hand haben, wenn sie in dem Gebiet, in dem der Windpark geplant ist, noch einen Rotmilan finden."
Das Dilemma: Der Ausbau der Windkraft schadet Vögeln und Fledermäusen kurzfristig. Wenn wir aber mittel- und langfristig keine Lösung für den Klimawandel finden, sagt Kathrin Ammermann, dann schadet das Vögeln, Fledermäusen und dem Rotmilan im Speziellen insgesamt. Momentan nutzen Kläger eine rechtliche Grauzone. Die Frage, ob das Tötungsrisiko einer Windkraftanlage signifikant erhöht ist, ist schwer zu beantworten. Um die Energiewende aber zu schaffen, bräuchte es kreative Lösungen um bedrohte Arten zu schützen. Zum Beispiel immer dann, wenn in der Nähe von Windkraftanlagen Äcker umgebrochen werden. Kathrin Ammermann:
"So eine Vermeidungsmaßnahme ist zum Beispiel, dass man während der Zeit, wo gepflügt wird, die Windkraftanlage eben abstellt, dass die Rotmilane nicht durch das Pflügen angezogen werden und sich dadurch das Risiko für den Rotmilan deutlich erhöht."
Kameras könnten helfen, den Rotmilan zu erkennen und Windräder abzuschalten
In der Erprobung sind derzeit auch Kamerasysteme, die Rotmilane im Anflug erkennen und Anlagen frühzeitig abschalten.
"Es gibt inzwischen einige Versuchsstandorte, wo auch die Kameras trainiert werden. Die werden sozusagen mit künstlicher Intelligenz drauf geeicht, den Rotmilan zu erkennen. Aber es gibt noch keine, die in dem Genehmigungsverfahren zugelassen worden wäre, weil man noch nicht weiß, kann die Kamera ausreichend entfernt den Rotmilan als solchen schon erkennen und ist dann auch die Reaktion an der Anlage ausreichend sicher. Also, wird wirklich abgeschaltet."
Lars Lachmann würde sich wünschen, dass im Artenschutz weniger auf Einzel-Individuen geschaut wird, sondern mehr auf die Gesamtpopulation.
"Unser Ansatz ist es, dass man auf regionaler Ebene, wo eben auch die Verteilung der neuen Windparks geplant wird, für die betroffenen Vogel- und Fledermausarten, insbesondere für den Rotmilan, Artenschutzprogramme aufsetzt, da kann man an allen Schrauben drehen, um sicherzustellen, dass es dem Rotmilan besser geht und dann ist es auch rechtlich möglich, Windpark-Genehmigungen zu erleichtern, indem man ihnen eine Ausnahme vom Tötungsverbot zugesteht, das geht allerdings nur solange, wie sichergestellt ist, dass es der Rotmilanpopulation insgesamt nicht schlechter geht."
Lars Lachmann und Kathrin Ammermann treten aktiv für solche Maßnahmen ein, weil sie andernfalls befürchten, dass der Artenschutz ein Imageproblem bekommen könnte, wenn er nämlich großflächig dazu instrumentalisiert wird, den Umbau hin zu erneuerbaren Energien zu verhindern.