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Grenzen der Landwirtschaft
Wieviel Nahrung lässt sich nachhaltig produzieren?

Verdorrte Felder, ausgelaugte Äcker, erodierende Böden: Die stetige Steigerung der landwirtschaftlichen Erträge fordert vielerorts bereits ihren Preis. Auf der Fachkonferenz Food 2030 in Hohenheim diskutieren Experten darüber, wo die Grenzen der Nahrungsmittelproduktion liegen.

Von Volker Mrasek | 06.09.2018
    Tomaten-Ernte in der Stadt Dos Hermanas in Andalusien in Spanien
    Die Agrarwirtschaft steigert ihre Erträge stetig - obwohl das nicht sein müsste (imago/Westend61)
    Um in Zukunft neun oder zehn Milliarden Menschen zu ernähren, müsste die Agrarwirtschaft ihre Erträge eigentlich gar nicht steigern. Sie könnte es im Grunde schon heute - gemessen an den 2.000 Kilokalorien, die jeder Mensch täglich zu sich nehmen sollte, um gut versorgt zu sein. John Ingram von der Universität Oxford, ein anerkannter Experte auf dem Gebiet der globalen Nahrungsmittelerzeugung:
    "Wir ernten schon heute im globalen Durchschnitt 4.100 Kilokalorien pro Kopf. Davon geht aber ein Drittel als Abfall verloren, weil Getreide schon bei der Lagerung verfault oder wir Lebensmittel nach dem Kauf wegwerfen. Ein Fünftel der Ernten wandert in die Produktion von Biokraftstoffen und ein weiteres Drittel in die Tierfütterung. Am Ende bleiben nur noch 900 Kilokalorien pro Kopf für uns übrig."
    Das Ziel: Steigerung der Ernteerträge um 70 Prozent
    Die Ernteerträge müssten bis zum Jahr 2050 um rund 70 Prozent steigen. Davon, so Ingram, gehe die FAO aus, die Landwirtschaftsorganisation der Uno. Dabei schreibe sie aber einfach nur die bisherigen Trends der Bevölkerungszunahme und der Agrarproduktion fort. Der Brite verweist dagegen auf die schon angesprochenen Stellschrauben im System:
    "Vor allem sollte man die Abfälle und Verluste reduzieren. Man kann zum Beispiel bessere Kornspeicher in ärmeren Ländern bauen. Um Lebensmittelabfälle zu verringern, muss man sich die Catering-Industrie und private Haushalte vornehmen. Es geht darum, das nötige Problembewusstsein zu wecken. Inzwischen gibt es da auch Fortschritte."

    Als nicht nachhaltig gilt auch der hohe Fleischkonsum der Gesellschaft. Vor allem die Rinderzucht beansprucht enorme Agrarflächen und Futtermittel-Mengen.
    Der Ressourcenverbrauch der Rinderzucht ist ein Problem
    Tierisches Protein müsse deshalb stärker durch pflanzliches in der Ernährung des Menschen ersetzt werden, sagt zum Beispiel auch Franz Kampers, Strategieberater an der Universität Wageningen in den Niederlanden. In Hohenheim stellte er jetzt ein neues Strategiepapier für den Wandel im europäischen Agrar- und Ernährungssektor vor:
    "Wir brauchen definitiv Veränderungen, gerade auch beim Fleisch-Konsum. Wir sprechen hier von einer ,Protein-Umstellung'. Es gibt heute nicht nur Vegetarier, sondern auch Leute, die nur noch ab und zu Fleisch essen und stattdessen zum Beispiel mehr Gemüse. Wir nennen sie 'Flexitarier'. Eine solche Ernährungsform ist nicht nur gesünder, sondern auch umweltfreundlicher und nachhaltiger."
    Doch was, wenn die Konsumenten nicht wie gewünscht mitziehen? Es gibt auch die Idee, die Ernteerträge doch noch weiter zu steigern, aber ohne zusätzliche Umweltschäden. Man spricht hier von "nachhaltiger Intensivierung" der Landwirtschaft. Dafür geeignet sind aber nur tiefgründige und tonreiche Böden. Sie können Stickstoff-Dünger und Pestizide gut aufnehmen und zurückhalten - so dass nicht noch mehr dieser Wirkstoffe in Gewässer abfließen, wenn Landwirte auch mehr davon anwenden, um höhere Erträge zu erzielen.
    Nachhaltige Intensivierung der Landwirtschaft - ein Wunschtraum?
    Die Umweltwissenschaftlerin Jasmin Schiefer von der Universität für Bodenkultur in Wien hat überprüft, wie viele Ackerböden in Europa diese Kriterien erfüllen. Es ist nicht einmal die Hälfte:
    "Unsere Ergebnisse haben gezeigt, dass nur 40 Prozent der analysierten landwirtschaftlichen Flächen für so eine nachhaltige Intensivierung geeignet sind. Das ist eher schockierend wenig, da man bisher von 100 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen ausgegangen ist in Europa."
    An der Universität Wageningen verfolgt man neuerdings ein anderes Konzept. Es setzt auf den Anbau von Mischkulturen. Laut Frans Kampers könnte man damit nicht nur hohe Erträge erzielen, sondern auch den Zustand der Agrar-Ökosysteme verbessern:
    "Man pflanzt verschiedene Früchte auf einem Feld an, in Reihen nebeneinander. Weizen, Tomaten und Bohnen zum Beispiel. Der Vorteil ist, dass eine solche Mischkultur viel mehr Insekten anlockt. Außerdem ist sie gut für den Boden. Denn manche der Pflanzen reichern Stickstoff aus der Luft an und düngen dann quasi die anderen. Und auch Schädlinge können sich in einer solchen Kultur nicht so gut ausbreiten."
    Mischkulturen bieten Vorteile, sind aber aufwändiger zu beackern
    Das Problem ist nur: Mischkulturen zu bewirtschaften ist sehr arbeitsaufwändig und teuer. Es gibt keine landwirtschaftliche Maschinen, die so klein sind, dass man sie auf den schmalen Ackerstreifen einsetzen könnte.
    "Was wir in Europa machen können, ist, diese Maschinen zu entwickeln. Wir haben die Fertigkeiten dazu. Genau darum geht es in unserem neuen Forschungsprojekt: Wir wollen Roboter für solche Mischkulturen bauen. Technologie hilft uns hier, dass der Anbau bezahlbar wird. Und auch die Umwelt profitiert." Das, was auf dem Kongress in Hohenheim diskutiert wurde, soll in Kürze in ein Positionspapier einfließen. Mit Vorschlägen aus der Forschung, wie Europas Agrarwirtschaft in Zukunft nachhaltiger werden könnte."