Archiv


Grenzenloses Geld

Physik. - Seit am 1. Januar 2002 in Deutschland und elf weiteren EU-Ländern der Euro eingeführt wurde, kursieren die Münzen und Scheine der gemeinsamen Währung in ganz Europa. Nur ihre Rückseiten mit den länderspezifischen Symbolen verraten, aus welchem Land sie ursprünglich stammen. Während sich Sammler über exotische Exemplare im Portemonnaie freuen, wollte ein finnischer Forscher wissen, wie genau sich die unterschiedlichen Euroscheine über den Kontinent verteilen. Auf der europäischen Physikertagung diese Woche in Bern hat er seine Arbeit vorgestellt.

Von Ralf Krauter |
    Normalerweise simuliert Antti Lauri die Verteilung von Aerosolpartikeln in der Atmosphäre. Doch nebenbei widmet sich der Physik-Doktorand von der Universität Helsinki auch mal ganz irdischen Dingen - wie der Verteilung von Euroscheinen verschiedener Herkunft über ganz Europa. Das Praktische daran: Die Formeln zur Beschreibung dieser scheinbar so unterschiedlichen Vorgänge sind ziemlich ähnlich, weil der zugrunde liegende Prozess derselbe ist: Diffusion.

    " Unmittelbar nach der Euro-Einführung stammten im Prinzip alle kursierenden Scheine jeweils aus dem eigenen Land. Doch nach und nach vermischte sich das Geld. Ein Teil der Scheine wanderte ins Ausland, gleichzeitig kamen ausländische Banknoten ins Land. Mann könnte also sagen: Es gab ein anfängliches Konzentrationsgefälle, das sich nun allmählich verringert. Und wenn ein Physiker den Begriff Konzentrationsgefälle hört, dann denkt er sofort an Diffusion."

    In der Physik steht Diffusion für die spontane Verbreitung kleiner Teilchen in Richtung fallender Konzentration. Sie sorgt zum Beispiel dafür, dass sich Schmutzpartikel in der Luft gleichmäßig verteilen, weil der Dreck das Bestreben hat, dorthin zu gelangen, wo es weniger von ihm gibt. Aber was bedeutet das für den Euro?

    Bei den Banknoten, so Antti Lauris plausible Annahme, sind es vor allem die Reisenden, die für den Transport über die Ländergrenzen sorgen. Also fütterte der Finne die Diffusionsgleichung mit Eurostat-Zahlen über die Reisebewegungen zwischen den 12 Euro-Ländern. Außerdem schätzte er grob ab, wie viel Bargeld ein Reisender im Mittel dabei hat und wie viel davon er wieder zurück bringt. Die Ergebnisse seiner Modellrechnungen verglich der Physiker dann mit den Daten der Eurobilltracker-Gemeinschaft EBT.

    " Die EBT umfasst gegenwärtig etwa 60 000 Mitglieder, die auf einer Internetseite Informationen zu allen Euroscheinen eingeben, die ihnen in die Hände kommen: Seriennummer, Druckereicode und so weiter. Und natürlich auch den Ort, wo sie die Banknote bekommen haben. All diese Informationen werden in einer Datenbank gesammelt. Dadurch weiß man recht genau, wie die Euroscheine umherwandern."

    Trotz der relativ simplen Annahmen, die Lauri als Input für die Gleichungen dienten, kann sich das Ergebnis sehen lassen. Für die meisten Euroländer stimmen seine Berechnungen gut mit der Wirklichkeit überein. So auch in Deutschland: laut aktueller Eurobilltracker-Statistik sind hierzulande derzeit 60 Prozent der Scheine im Land gedruckt worden. Der Rest kommt aus den klassischen Urlaubsländern - allen voran Österreich mit 10 Prozent, gefolgt von Frankreich und Spanien.

    Seit der Euroeinführung ist der Anteil deutscher Scheine stetig gesunken - zuletzt immer langsamer, weil das Konzentrationsgefälle als treibende Kraft immer kleiner wird. Laut Computersimulation müsste sich in rund 15 Jahren ein Gleichgewicht einstellen, bei dem dann noch gut die Hälfte der kursierenden Scheine aus Deutschland stammt.

    Für Finnland selbst liegen die Diffusionsprognosen aus Helsinki allerdings ziemlich daneben. Laut Modellrechnung müsste der Anteil finnischer Scheine deutlich höher sein, als er tatsächlich ist. Krausz:

    " In Finnland sind derzeit genauso viele niederländische wie finnische Banknoten im Umlauf. Allein durch den Reiseverkehr zwischen beiden Ländern, sei das nicht zu erklären, sagt Lauri, denn so ausgeprägt sei der nun auch wieder nicht."

    Möglicherweise sind monetäre Tauschgeschäfte zwischen der niederländischen und finnischen Staatsbank dafür verantwortlich. Über deren Umfang hat Antti Lauri noch keine Zahlen. Bei den nächsten Verfeinerungen will er außerdem noch das unterschiedliche Konsumverhalten und die Kreditkartennutzung der Euro-Europäer berücksichtigen - alles Faktoren, die die weitere Vermischung der kostbaren Scheine beeinflussen.