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Grenzgänge in die Vergangenheit

Die Tage der Alten Musik in Herne, die heuer ihr 30-jähriges Bestehen feiern, üben sich im Crossover: "Grenzgänge in der Musik vom Mittelalter bis zum 21. Jahrhundert" – so ihr diesjähriges Motto, das sich in insgesamt elf Konzerten vergegenständlicht.

Von Ullrich Bohn |
    Im Grunde genommen haben wir es ja schon immer gewusst, dass die Musik eine universelle Sprache ist. Über alle Kontinente hinweg und weltumspannend. Und welcher kreative Musiker ist nicht schon mal in Versuchung geraten, die entlegendsten, vielleicht auch abwegigsten Musikkulturen miteinander zu verdrahten, sie auf ihre klangliche Kombinierbarkeit hin abzuklopfen. Crossover heißt das in der Musikszene, und wird oft mit viel Skepsis zur Kenntnis genommen. Was nicht sein muss, gestern beispielsweise, zum Auftakt der Tage Alter Musik in Herne, als dort italienischer Barock und irische Folklore eine geradezu glückhafte Verbindung eingingen.

    Denn das musikalische Puzzle kombinierte Motive aus Werken Antonio Vivaldis, aus seinen Violinkonzerten, mit traditionellen irischen Melodien, mit ihren Jigs und Reels.

    Hughes de Courson, als Arrangeur ein großer Freund solch extravaganter Musikmischungen, hat diesen inspirierenden und gleichermaßen impulsiven Klangcocktail angerührt, und zwar fernab jeder Historie, denn Vivaldi war nie in Irland. Und dennoch der irische Dudelsack und das Cembalo höchst vergnüglich in Konkurrenz traten und die Fiddle und die Barockgeige auf einmal in wunderbarer Eintracht, über alle Grenzen hinweg, miteinander musizierten, sehr zur Freude auch von Richard Lorber, dem künstlerischen Leiter des Festivals:

    "Das ist etwas Experimentelles, auch etwas Unverkrampftes. Diesem idiomatischen Klang der beiden Musikwelten nachzuhören, zu schauen, wie geht das zusammen. Das ist seht heutig, Das ist jetzt keine strenge Philologie, obwohl man nachweisen kann, das italienische Barockmusiker in Italien gewirkt haben. "

    Auch alle übrigen Konzerte des viertägigen Musikfestivals in Herne sind derartigen Grenzüberschreitungen sozusagen "Klangbrücken schlagend" auf der Spur. Und Richard Lorber hier denn auch eine Art Gesamtschau von Berührungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten der Alten Musik mit anderen Genres präsentieren will:

    "Wir gehen in Richtung Weltmusik, in Richtung Avantgarde, wir gehen in Richtung Operette und Jazz. Was wir aber nicht tun ist, ein Alte-Musik-Element und ein Avantgarde-Element einfach nur nebeneinander zu stellen, sondern die jeweiligen Programme müssen die Grenzgänge aus sich selbst heraus erzeugen."

    "Ein Beispiel, das Ensemble Accordone um den bekannten und berühmten italienischen Cembalisten Guido Morini, mit dem Sänger Marco Beasley. Die beiden versuchen, aus dem Geist des 18. Jahrhunderts heraus nachschöpferisch tätig zu werden. Morini arbeitet als Komponist unserer Zeit, aber er schreibt im Stile des 17. Jahrhunderts. Nicht als Stilkopie, sondern er versetzt sich in die Zeit zurück und arrangiert Monteverdi, Stradella und Scarlatti. "

    Und als kleine, vielleicht bohrende Speerspitze steckt auch ein wenig kritisch-satirische Selbstbetrachtung mit im Programm, wenn heute im Herner Kulturzentrum der Bogen von Domenico Scarlattis Oper "La Dirindina" zu Peter Eötvös Kammeroper "Radames" und umgekehrt geschlagen wird, beide Stücke den üblichen Wahnsinn ihres jeweiligen Bühnenalltags präsentieren und Richard Lorber damit zudem die gern zitierten Spareffekte in der Oper thematisieren möchte:

    "Das Stück heißt Radames, die einzige Gesangsrolle ist ein Countertenor, der die Rolle der Aida mit der Kopf- und die Rolle des Radames mit der Bruststimme singt. Er ist der einzige, den man nicht in diesem Opernhaus entlassen hat, sowie einige Regisseure und ein Filmregisseur kommt auch noch hinzu. Und die wollen jetzt Aida machen mit einem Sänger. Und vom Orchester sind lediglich die Tuba, das elektrische Klavier, das Horn und das Sopransaxophon übrig geblieben. Das ist der humoristische Ansatz von Peter Eötvös. Und wir haben uns gesagt, lass uns das doch mal in die Zeit eines Scarlatti zurück transportieren. Eine historisch durchaus korrekte Handlung, denn die Intermezzi der Opern des 18. Jahrhunderts wurde mit dem Instrumentarium gespielt, was vorhanden war. Und daraus entsteht jetzt eine Bearbeitung mit recht skurrilen Instrumenten für einen Domenico Scarlatti."

    Auch hier also wird der vorwiegend heitere Umgang mit der Musik propagiert, so dass bei dieser Jubiläumsausgabe selbst das bieder-nüchterne Kulturzentrum in Herne sich ein Lächeln aufsetzen dürfte.