Archiv


Grenzgänger Grieshaber

Der Künstler HAP Grieshaber gilt als Erneuerer des Holzschnitts nach dem Zweiten Weltkrieg, sowohl durch die Größe seiner Werke als auch durch ihre Eigenständigkeit und ihre expressiven Farben. Grieshaber hat sich viel mit seiner Heimat, der Schwäbischen Alp, beschäftigt - aber er war auch ein politischer Künstler. Seine Beziehung zur DDR steht im Mittelpunkt einer Ausstellung in Reutlingen.

Von Christian Gampert |
    Der Holzschneider Helmut Andreas Paul Grieshaber, genannt HAP, verstand sich als politischer Künstler. Immer galt seine Sympathie den Unterdrückten, insbesondere denen der Dritten Welt. Inwieweit allerdings Grieshabers politische Analysefähigkeit mit seinen hehren moralischen Ansprüchen Schritt halten konnte, ist eine ganz andere Frage - und sie bleibt auch in der Reutlinger Ausstellung relativ ungeklärt.

    Das Kunstmuseum Spendhaus in Reutlingen hat jetzt nämlich - im Nachklapp zum 100.Geburtstag und unter dem Titel "Grenzgänger Grieshaber" - ein kompliziertes Kapitel aufgeschlagen: Grieshaber und die DDR. Dabei ist von vornherein klar, dass die Reutlinger ihrem Hausheiligen nicht wirklich vors Schienbein treten wollen: Grieshaber arbeitete über Reutlingen auf der Achalm, und weite Teile seines Werks sind dem Spendhaus anvertraut. Allerdings drückt man sich auch nicht um die Probleme herum, die man mit Grieshabers DDR-Fahrten haben kann. 26 Einzelausstellungen (die vielen Gruppenausstellungen nicht mitgerechnet) hatte der Holzhauer in der DDR - die die proletarisch-handwerkliche Erdung des Holzschneidens liebte - zwischen 1966 und 81. Grieshaber hat sich dort nicht angebiedert, aber hat auch nicht groß den Mund aufgemacht. "Stille Diplomatie" nennt das die Ausstellung.

    1965 hatte sich Grieshaber in Leipzig an der Internationalen Buchkunstausstellung beteiligt. Daraus entstand die sogenannte Schwaben-Connection: Der Lektor Rudolf Mayer vom Dresdner "Verlag der Kunst" und der Typograf Albert Kapr, Rektor der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst, stammten aus Stuttgart, wo der im Schwarzwald und Reutlingen aufgewachsene Grieshaber studiert hatte. Man beschloss eine Zusammenarbeit: Grieshaber schnitzte in Reutlingen, gedruckt wurde in Leipzig.

    Aus dieser Kooperation entstand eine der wichtigsten Arbeiten Grieshabers, der 40-teilige "Totentanz von Basel". Künstlerisch ist das Grieshaber at his best: schablonierte, halbabstrakte Formen, die sich zu einer kantigen Gegenständlichkeit fügen. Der Bezug auf die Leiden des zweiten Weltkriegs ist klar - und trotzdem ist zu fragen, was Grieshaber fünf Jahre nach dem Mauerbau und zwei Jahre nach der Bitterfelder Konferenz bewogen hat, dem Bonzen- und Stasistaat seine Aufwartung zu machen.

    Für ihn war das Rückbesinnung auf das humanistische Erbe; nun, auf den Humanismus beriefen sich auch in der DDR Hinz und Kunz, und vor allem die Parteischriftsteller. Der politisch vermutlich naive Grieshaber reflektierte so grob, wie er schnitzte: Die allegorischen Gestalten des Totentanzes sind Figuren aus einer Welt, in der es noch Gut und Böse und moralisch erhobene Zeigefinger gab. Und in einer wichtigen Frage hat Grieshaber offenbar DDR-Positionen übernommen: Nach dem verlorenen Sechstage-Krieg der arabischen Staaten gegen Israel gab es in der DDR DIN-A-2-Handdrucke des Holzschneiders mit dem Slogan "Helft dem roten Halbmond" zu kaufen, also dem arabischen Roten Kreuz.

    So bekommen auch die wunderbar rhythmisierten, klaren Formen und Schattenrisse, die Grieshaber 1978 zum 20. Jahrestag der kubanischen Revolution gestaltet hat, einen Beigeschmack. Man kann auch mit der Darstellung von Partisanen, Verhaftungen und Hinterhalten zum Kaisergeburtstags-Dichter werden. Dazu passt, dass Grieshaber mit Hingabe politisch einwandfreie Dritte-Welt-Dichter illustrierte, am liebsten Pablo Neruda. Und irgendwann hat er sich dann in der DDR in schlechte Gesellschaft begeben: Zum 60. Jahrestag der Oktoberrevolution 1977 gestaltete er eine Mappe - zusammen mit den DDR-Staatskünstlern Bernhard Heisig, Werner Tübke und Willi Sitte. Technisch große, politisch eher Klein-Künstler. Aber im Zuge der Ost-West-Kontakte wurde damals mancher nobilitiert, dem man heute lieber aus dem Weg geht.

    Grieshaber, da muss man gerecht sein, hat aber auch manch schräge BRD-Kulturschaffende auf DDR-Biennalen geschleust, Horst Antes etwa oder Josua Reichert. Und er hat kritischen DDR-Intellektuellen bei uns die Tür aufgemacht: rührend sein Plakat zur Marbacher Lesung von Volker Braun 1980. Rührend selbstironisch aber auch eine Fotografie: HAP Grieshaber auf dem Dresdner Zwinger, mit Breschnew-Mütze und Mantel. Ja, es war kalt in Deutschland. Damals.