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Grenzgänger zwischen den Künsten

"Kaprow City" ist chaotisch. In der begehbaren Installation flimmern Bildschirme, leuchten Lampen und krachen Betten zusammen. Die Schauspieler auf der Berliner Volksbühne klettern, krabbeln und spielen aus dem Stegreif in diesem Durcheinander, notdürftig koordiniert von Regisseur Christoph Schlingensief.

Von Michael Laages |
    Christoph Schlingensiefs jüngster Traum (oder, je nach Geschmack, Alptraum) von der Kunst spielt wieder mal im Kino; oder besser: davor im Studio. "Kaprow City" ist letztlich nichts anderes als eben das - ein Studio-Komplex, auf die Theater-Drehbühne gebaut wie eine fliegende und nunmehr halt gelandete Untertasse. Von oben sieht das ein bisschen so aus wie das gute alte "Raumschiff Orion" seligen Fernseh-Angedenkens, Kommandokuppel inklusive.

    Und innerhalb dieses völlig kreuz und quer und drunter und drüber, wie der "Merz"-Bau von Kurt Schwitters, mit unterschiedlichsten Materialen en Masse zugebauten Rundbaus regiert nun zwar nicht, wie bei Orion, das 60er-Jahre-Design des futuristisch anmutenden Bügeleisens, dafür aber ein Tohuwabohu unterschiedlichsten Zeugs: Möbel hie und da und Wände aus Papier, bekritzelt mit wirrer Weisheit oder irgendwas, Hühner gackern, Video-Bildschirme flimmern, Lampen leuchten, Betten krachen zusammen, Menschen klettern und krabbeln von Raum zu Raum - Chaos pur, als Innenraum-Architektur der völligen Unübersichtlichkeit, zusammengemischt und -geknetet wie etwa eine Rumkugel.

    Ein Teil des jeweiligen Abendpublikums bekommt das innerhalb dieses Labyrinths stattfindende Gemache und Getue des Ensembles, das weitestgehend aus Schlingensiefs bewährten Laien besteht, immerhin hautnah zu spüren - diese Gruppe wandert, klettert und krabbelt ihrerseits ebenfalls durch die beständig rotierende "Kaprow City". Ein weiterer kleiner Teil der Kundschaft sitzt ordentlich aufgereiht am hinteren Rundhorizont des Theater-Bühnenraums und sieht die rotierende Rumkugel mit Theater-Wahnsinn drin immer wieder an den eigenen Augen vorüber ziehen: und erahnt durch die Blick-Schlitze der Untertassen-Architektur allemal einiges von dem, was sich mit sehr gutem Willen "Handlung" nennen ließe.

    Wir draußen im Saal nun sehen sozusagen das "fertige Produkt": für die Projektion auf der bühnenhohen Leinwand mischt das Schlingensief-Team zu wuchtigem Kino-Sound live im Studio-Raumschiff aufgenommene Bilder und Szenen mit vorproduzierten Sequenzen. "Film live" - so könnte Schliengensiefs begehbare Installation im Untertitel auch heißen; denn genau das ist der Traum des Grenzgängers zwischen den Künsten.

    Übrigens ist dieser Traum recht alt - vom Live-Film träumten, notgedrungen, mangels technischer Konservierungsmöglichkeiten, auf durchaus verwandte Art auch schon die Pioniere des Kinos, und die der Fernsehmacherei, die etwa in den 50er Jahren komplette Fernsehspiele live aus den Studios im alten Hochbunker auf dem Heiligengeistfeld in Hamburg sendeten. Damals durfte dabei allerdings gar nichts schief gehen.

    Das ist naturgemäß anders bei Schlingensief. In "Kaprow City" wird aus dem Stegreif gespielt, notdürftig koordiniert durch Regisseur Schlingensief selber (aus dem Off und mit Flüstertüten-Ansagerstimme oft und gut zu hören) sowie durch Bernhard Schütz, den einzigen richtigen Schauspieler im vielköpfigen Team. Vor allem aber wird laut und penetrant durcheinander gelärmt, gerannt und die körperliche Belastbarkeit psychisch eh schon belasteter Laien schwer strapaziert.

    Schlingensiefs vertrautes Happening-Personal ist bekanntlich ebenfalls grenzgängerisch unterwegs - vielleicht nicht unbedingt und immer zwischen den Künsten, aber allemal zwischen Wahn und sogenannter Normalität. Hilfloser allerdings als diesmal und irgendwie benutzter, missbrauchter wirkte es lange nicht mehr - in jenem szenischen Durcheinander, das wirklich keiner Geschichte folgt.

    Schon gar nicht der von Lady Di. Nur wer genau hinschaut, entdeckt ja überhaupt Hinweise auf die tragische Story vom Unfalltod der traurigen englischen Prinzessin in einem Pariser Tunnel. Und Frau Elvers-Elbertzhagen gibt sich redlich Mühe, den langen Abend über möglichst unbehelligt und ernst in die Kamera zu schauen. Einen Satz sagt sie auch: der ist aber unverständlich, akustisch. Und also: nicht der Rede wert. Ansonsten zeigt eine der wenigen zusammenhängenden Szenen eine Schamhaarrasur. Na ja.

    Gerade hat ja Schlingensiefs "Animatograph", ein ähnlich rotierendes Karrussell mit allerhand finstren Winkeln und abstrusen Bildern drin, das im vorigen Jahr im Umland von Berlin und danach auch schon in Wien zu Gast war, in Leipzig den Zorn verwirrter Eltern und das Einschreiten des städtischen Jugendamts im Museum auf sich gezogen. Das steht in Berlin jetzt eher nicht zu erwarten. Nicht nur sieht, wie von Schlingensief theoretisch und verbindlich eingefordert, nicht jeder alles an diesem Abend - es ist im Grunde auch nur zu ahnen, was zu sehen sein könnte.

    Und als echter Reiz bleibt im Grunde nur der theoretische Diskurs darüber, ob wir denn eigentlich umso mehr sehen, je näher wir rankommen, auf die Bühne oder gar ins Innere des Raumschiffs namens "Kaprow City", oder ob wir am besten versorgt sind, wenn wir nichts wirklich echtes mehr vor Augen haben: im live gemischten Leinwand-Bild, wie mit der Überwachungskamera im Supermarkt gefilmt.

    Ob's allerdings für diese Debatte wirklich den nicht unbeträchtlichen Aufwand von "Kaprow City" gebraucht hat ...